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Dienstag, 19.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Uraufführung am Staatstheater: Die nötige Folter

Die Bühne sieht aus wie ein Laboratorium, oder auch wie ein OP. Ein „Chirurg“ und Assistenten mit Widdermasken manipulieren an einer Frau herum, die schließlich wie im Tiefschlaf an einem Tisch sitzt. Ein Mann liegt in einem Stein, in den seine Umrisse eingekerbt sind. Einer sitzt in einem Glaskasten. Videos zeigen Pferdebilder oder eine Frau mit einer Axt. Die Uraufführung des Stücks „Die nötige Folter“ von Dietmar Dath zeigt sich eindringlich apokalyptisch.

Von Halrun Reinholz

Die nötige Folter auf der Brechtbühne: Ein wirres, oft kaum durchschaubares Geflecht © Jan-Pieter Fuhr

Protagonistin ist die Künstlerin Doro Coppe (Linda Elsner), die unter dem Einfluss des Neurowissenschaftlers Hark (Andrej Kaminski) einen von diesem entwickelten Algorithmus in der Kunst anwendet, mit dessen Hilfe die Wahrnehmung des Menschen manipuliert werden kann. Doch in der Manier des Zauberlehrlings weitet die Künstlerin die Erkenntnisse auch außerhalb der Kunst bei Menschen an, mit denen sie in irgendeiner Weise eine Rechnung offen hat: ihre Galeristin Eva (Natalie Hünig) und die ehemaligen Geliebten Sven (Sebastian Baumgart) und Baqil (Anatol Käbisch). 

Das alles wissen die Zuschauer jedoch nicht und es dauert eine ganze Weile, bis das vermeintliche Chaos eine gewisse Struktur entwickelt und die Zuschauer einem Handlungsstrang folgen können. Im Glaskasten sitzt Hark selbst, er ist verantwortlich für den „Ablauf“, der die einstigen Freunde von Doro dazu bringen soll, ihre Schuld an ihr zu bekennen und dadurch zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Immer wieder werden sie vom „Stier“ (Brutalo mit Metzgercharme und Stirnlampe: Kai Windhövel) aus einem komaähnlichen Schlaf geweckt, unsanft befragt und wieder in den Schlaf versetzt. 

„Die nötige Folter“ dient der Aufbereitung von Verdrängtem und Schiefgelaufenem und erfolgt unter der vorgegebenen Prämisse, dass sich „Doro“ das Leben genommen hat. Diese steckt als Teil des Ablaufs jedoch unter der Widdermaske und kann nicht sprechen, also nicht ins Geschehen eingreifen. Letztlich läuft der Versuch aus dem Ruder und es bleibt für die Protagonisten nur die Option, das „schnelle“ oder das „langsame“  Gift zu wählen – den Herz- oder den Hirntod.

Ein wirres, oft kaum durchschaubares Geflecht, das der Autor in die Runde wirft. Regisseur André Bücker gelingt es immerhin, das krude Geschehen in der Manier eines Computer-Spiels zeitgemäß auf die Bühne zu bringen. Unterstützt von den starken Musik-Einlagen von Lilijan Waworka, den Videoprojektionen von heimspiel und den Ausstattungsideen von Jan Steigert und Suse Tobisch entsteht ein berauschender Gesamteindruck, dem von den ausnahmslos hervorragenden Darstellern Leben eingehaucht wird. 

Dennoch überzeugt der Plot nicht, fehlt es der Handlung an Stringenz. Vor allem die Chaos-Szene mit dem wilden Durcheinander an Text von allen Seiten lässt Spannung und Ernsthaftigkeit vermissen. Schade, denn die Idee der Manipulation von Wahrnehmung ist zweifellos ein Thema fürs Theater, das mehr als einen comichaften Scherenschnitt verdient hätte . – Dank der fabelhaften Umsetzung und vor allem der Darsteller dennoch ein  tolles Theatererlebnis in der neuen Brechtbühne beim Gaskessel.