DAZ - Unabhängige Internetzeitung für Politik und Kultur
Samstag, 02.11.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Unsere weltliche Vertretung juckt uns nicht besonders

Warum wir in Bayern seit mehr als einem halben Jahrhundert immer die gleiche Partei wählen

Von Siegfried Zagler

“Sagen wir mal so: wenn nächste Woche Aliens landen, gibt es eine gute Chance, dass ich deren Kultur besser verstehe als Bayern“, so der ehemalige Klassensprecher des Web 2.0 nach einem kurzen Blick auf die ersten Hochrechnungen der Bayerischen Landtagswahl. Die Rede ist von Sascha Lobo. Wenn man Lobo zitiert, ohne dabei seinen Kopf abzubilden, wissen die wenigsten, um wen es sich handelt. Lobo ist eine grimmig daher blickende Kunstfigur, die sich mit albernen Publikationen und mit allerlei narzistischen Geplapper bei nicht wenigen Medien unter umgekehrten Vorzeichen ähnliche Aufmerksamkeitswerte erarbeitet hat, wie seinerzeit ein gewisser Karl-Theodor zu Guttenberg. Sascha Lobo ist in etwa „auf seiner Scholle“ auf einem ähnlich hohen Erkenntnisniveau wie unser Bundestrainer Jogi Löw auf seiner, weshalb es unbedingt notwendig ist, dass man dem jungen Schwadroneur mit der Gockel-Frisur ein wenig die bayerische Kultur erklärt.

Hier in Bayern gehen die Uhren seit vielen Jahrzehnten anders. Hier sind die Lüfte reiner und die Seen blauer als im Rest der Republik. In Bayern tragen die Männer Lederhosen und die Frauen ein Dirndl,  und das nicht nur 14 Tage auf der Wiesn (Oktoberfest), sondern jeden Tag und bereits am Morgen bei der Weißwurst. In Bayern gehen die meisten Leute unter der Woche nach dem Frühstück gemütlich zur Arbeit. Am Samstag ist Hausputz und am Sonntag Gottesdienst. Bayern ist nämlich traditionell ausgerichtet, weshalb es hierzulande zum Alltagswissen gehört, dass der Heilige Geist viele Dinge erledigen kann. Der „Weihnachtsmann“ heißt bei uns Christkind und vor kurzem waren wir noch Papst. Fast alle unsere Volksstämme sind spirituell sehr begabt, weshalb uns unsere weltliche Vertretung nicht besonders juckt. Das ist der wahre Grund dafür, warum wir sicherheitshalber immer die gleiche  Partei wählen. Sie heißt „Christlich Soziale Union“.

Das ist keine Monarchie, sondern eine ganz normale Partei, die wir auch abwatschen können, wenn uns danach ist, wie zum Beispiel vor fünf Jahren, als wir ihr einen Koalitionspartner verpassten, weil sie uns das Rauchen im Bierzelt verbieten wollte. Dagegen sind ihre jüngeren Verfehlungen wie die Verwandtenaffäre, der Justizskandals um Gustl Mollath, das Auftreten von Innenminister Hans-Peter Friedrich im NSA-Skandal, die Milliardenverluste beim Hypo-Alpe-Adria-Deal, das Hin und Her bei den Studiengebühren ein Klacks. Wir wählen immer die gleiche Partei, weil wir wollen, dass alles so bleibt wie es ist. Dazu gehören natürlich auch Skandale. Damit die Skandale auch skandalisiert werden, wählen wir auch eine Opposition. Die Opposition darf natürlich nicht zu schwach sein, sonst wären die Skandale nicht annähernd so unterhaltsam.

Das nennt man Konservatismus. Das ist eine gute Sache und gar nicht schwer zu verstehen. Wir in Bayern wollen nämlich unsere Politiker bei einer Wahl nicht für ihre vergangenen Taten belohnen und wir wollen sie nicht für ihre vergangenen Untaten bestrafen. Belohnung und Strafe sind nichts weiter als eine hilflose Kinderei. Dafür sind bei uns zwei bis drei Zeitungen zuständig. Sie zu lesen ist ein Vergnügen, das am Wahltag endet. Am Wahltag beschäftigt uns Bayern nur eine Frage, und zwar unabhängig von weltanschaulichen Dingen und dem üblichen Gerechtigkeitsgedöns: Wer kann uns in den nächsten fünf Jahren am besten regieren? Falls das dem strengen Herrn Lobo zu pauschal (oder zu komplex) sein sollte, dann dringt vielleicht diese Vereinfachung verständlicher durch den Gehörgang des Alienexperten: Wer kann am besten dafür sorgen, dass in Bayern die meisten Menschen weiterhin nach dem Frühstück zur Arbeit gehen? Gemütlich zur Arbeit gehen ist unser Ding. Alles andere ist uns ziemlich Wurst.