„Uns bleibt kein anderer Weg“
Flüchtlinge in der Flakkaserne weiter im Hungerstreik
Von Frank Heindl
Ahmed (Name von der Redaktion geändert) ist das abschreckende Beispiel. Ahmeds Augen sind rot unterlaufen. Der Boden seines Zimmers in der Flüchtlingsunterkunft in der Neusässer Straße 206 starrt von Schmutz, leere Flaschen liegen herum. Ahmed ist mal mürrisch, mal redselig, auch latent aggressiv. Und Besuchern gegenüber nicht gerade höflich. Ahmed nimmt, laut eigener Auskunft, am Hungerstreik der Augsburger Flüchtlinge „manchmal teil“ und „manchmal nicht“. Auf seinem Tisch gammelt ein vertrockneter Rest von irgendetwas Essbarem. Immerhin: er spricht deutsch. Ansonsten ist mit Ahmed nicht viel anzufangen.
„Wenn Sie den Flüchtlingen statt der Essenspakete Bargeld geben, dann haben Sie doch auch keine Garantie, dass sie sich vernünftig ernähren“, sagt der CSU-Stadtrat und Landtagsabgeordnete Johannes Hintersberger. Rashid könnte sein Paradebeispiel sein. Der Grüne Reiner Erben hält dagegen, gerade bei der CSU müsse man überprüfen, welches Menschenbild der herrschenden Politik zugrunde liege – die Flüchtlinge in den Lagern könnten sehr wohl für sich selbst Verantwortung übernehmen. Erben kennt Ahmed nicht, aber seine Sachkenntnis ist unbestritten: Er ist Geschäftsführer der Organisation „Tür an Tür“, die in Augsburg Flüchtlinge betreut. Bei „Tür an Tür“ bekommt auch Deutschunterricht, wer nicht als Asylbewerber anerkannt ist, wenn das Geld auch längst nicht für alle reicht. Doch an Flüchtlinge mit Deutschkenntnissen muss man sich halten, wenn man in der Flakkaserne (so der Kurzbegriff für die Flüchtlingsunterkunft in der Neusässser Straße) zu Besuch ist. Mit den übrigen kann man es auf Englisch probieren, falls man nicht zufällig afrikanische Sprachen spricht.
Einige Bewohner sind bereits im Krankenhaus
Saidou Kamara ist das Positivbeispiel. Der Journalist aus Sierra Leone, Anhänger der einstigen Regierungs-, jetzt Oppositionspartei und daher politisch verfolgt, strotzt vor Energie. Doch auch er wendet diese Energie nun gegen den eigenen Körper und damit gegen die vielerlei Unzumutbarkeiten seines Lebens in der Flüchtlingsunterkunft. Kamara nimmt am Hungerstreik teil, hat nach eigenen Angaben seit zehn Tagen außer Wasser und Erdnüssen nichts mehr zu sich genommen. „Es ist schwer“, sagt er, es sei überhaupt nicht in Ordnung, zu hungern. „Aber uns bleibt kein anderer Weg.“ Bereits am vergangenen Freitag nahm das Rote Kreuz sechs Bewohner der Flakkaserne vorsorglich mit ins Krankenhaus, denn seit Donnerstag vorvergangener Woche verweigern Kamara und – nach Angaben der Flüchtlinge – mindestens 200 weitere Bewohner der Flakkaserne die Annahme der Essenspakete, die ihnen die Regierung von Schwaben, der bayerischen Asylgesetzgebung folgend, zur Verfügung stellt.
Das hat gleich für heftigen Unmut gesorgt. „Die Essensliste ist vom Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit zusammengestellt“, betont der Abgeordnete Hintersberger. Es gebe „umfangreiche Bestelllisten“, aus denen die Flüchtlinge ihr Essen auswählen könnten, es sei unverständlich und nicht vermittelbar, dass die Menschen damit nicht zufrieden seien. – „Die Kritik an den Essenspaketen ist absolut berechtigt“, sagt dagegen Matthias Schopf-Emrich. Er ist Flüchtlingsberater beim Diakonischen Werk und einer von fünf Vereinsvorsitzenden bei “Tür an Tür”. Zum Einen werde das Essensangebot, über einen längeren Zeitraum betrachtet, „langweilig und fad“. Vor allem aber liege das Problem in der „Reglementierung der Leute“ – es scheint ein Grundbedürfnis der Menschen in aller Welt zu sein, sich ihre Lebensmittel selbst auszuwählen. Wem dies verweigert wird, der fühlt sich unterdrückt, rechtlos, entwürdigt. Empört halten afrikanische Flüchtlinge in der Flakkaserne beispielsweise deutsche Dosenbohnen aus dem Supermarkt vor die Fotoapparate der Journalisten: Diese Bohnen seien hart, solche gebe es in Afrika nicht. Und was den Afghanen schmecke, das bekomme nicht unbedingt einem Mann aus Somalia.
Zuständigkeiten und Auslegungsspielräume
Es gehe „nicht um die Essenspakete, sondern um die menschenunwürdigen Lebensbedingungen“, betont denn auch Stadträtin Ulrike Bahr (SPD). Sie finde es gefährlich, aber auch „sehr mutig“, mit einem Hungerstreik für „dringend nötige Veränderungen“ zu kämpfen. Vertreter der Stadt müssten sich mit der Regierung von Schwaben zusammensetzen und nach Lösungen suchen. Doch auch dort mag man nicht für alle Probleme verantwortlich gemacht werden. Gesetzlich ist die Regierung zwar für die Unterbringung der Flüchtlinge zuständig. Für eine Änderung der Regelung aber, nach der die Flüchtlinge Essenspakete und kein Bargeld bekommen, sei man „eigentlich der falsche Ansprechpartner“, betont Gitta Schmid-Göller, Sachgebietsleiterin für Flüchtlingsbetreuung und Integration bei der Regierung von Schwaben. Im Asylbewerberleistungsgesetz sei „der Vorrang des Sachleistungsprinzips“ festgelegt – bundesweit. Dem widerspricht wiederum Flüchtlingsberater Mathias Schopf-Emrich: Es gebe da offensichtlich einen großen Auslegungsspielraum, der in Bayern sehr restriktiv gehandhabt werde: In manchen Bundesländern würden Gutscheine, in anderen Bargeld verteilt, im Nachbarland Baden-Württemberg etwa dürften die Landkreise selbständig darüber entscheiden. Die Regierung von Schwaben sei zu bedauern, sie bemühe sich sehr, werde aber tatsächlich „von der Regierung allein gelassen.“
Am dringendsten ist, da sind sich alle Beobachter von CSU bis “Tür an Tür” einig, die Lösung der Unterbringungsfrage – die heruntergekommenen Gemeinschaftsküchen in der Flakkaserne beispielsweise spotten tatsächlich jeder Beschreibung. „Dezentrale Unterbringung“ heißt das Zauberwort. In der Tat versprechen sich Betreuer wie Politiker großes, wenn Asylbewerber in kleineren Anlagen mit geringerer Zimmerbelegung untergebracht würden. „Man kann nicht erwarten, dass die Selbstverwaltung in einem großen Lager wie der Flakkaserne funktioniert. Dort, wo wir kleinere Gruppen schon haben, läuft alles viel besser“, sagt Reiner Erben. Wenn beispielsweise klar ist, wer in der Küche nicht sauber gemacht hat, kann man mit dem Verantwortlichen reden. In der Flakkaserne dagegen gibt es zwei Uralt-Herde für vierzig Männer. Wenn in einem anderen Trakt ein Herd ausfällt – und das passiert regelmäßig – kommen die Nachbarn herüber. „Das ist wie in einer Wohngemeinschaft“, sagt Erben. Sprich: Wenn’s zu viele sind und man sich nicht einig ist, dann funktioniert das gemeinsame Leben nicht, es gibt Streit, Unordnung, Vandalismus.
Beschlüsse ohne Folgen
Und die Politik war sich ja auch schon mal einig, dass solche Massenlager aufgelöst gehören. Vom 14.7.2010 stammt der Landtagsbeschluss, in dem Mindeststandards festgelegt wurden, nach denen beispielsweise jeder Flüchtling Anspruch auf sieben Quadratmeter Wohnraum in einem maximal von zwei Personen belegten Zimmer haben soll. Geändert hat sich seit diesem Beschluss gar nichts – er gilt nur für neu zu schaffende Unterkünfte. In der Flakkaserne hausen deshalb teilweise bis zu sechs und mehr Menschen in einem Zimmer. Männer, die sich kaum kennen, haben zum Teil Schlafstätten, die ehebettähnlich aneinandergestellt sind. Doch die Regierung von Schwaben findet nach Angaben von Frau Schmid-Göller keine geeigneten Unterkünfte. Billig müssten diese sein, und der Vermieter muss bereit sein, Flüchtlinge unterzubringen.
Der Druck auf die Bewohner wächst derweil, zurzeit sind in Augsburg wieder 800 Asylbewerber untergebracht. Das ist nicht zu vergleichen mit den 90er-Jahren, als es mehr als 2.000 waren. Doch es hat dazu geführt, dass nun wieder viele Räume in den Baracken voll belegt sind. „Wir haben Trakte öffnen müssen, die wir noch nie benutzt haben“, sagt Schmid-Göller. Der äußere Eindruck ist entsprechend: Nicht einmal Schuhabstreifer oder Gummimatten liegen vor den Eingängen zu den Trakten. Als am vergangenen Freitag der erste Schnee fiel, waren die Gänge schon nach kurzer Zeit nass und schmutzig. Wen das nicht depressiv stimmt, der muss eine robuste Natur haben – doch viele der Bewohner der Flakkaserne sind psychisch angeschlagen, leiden unter Flucht-und Kriegstraumata. Und für viele ist es nicht der erste Winter hier, manche fristen in Augsburg schon jahrelang ihr Dasein unter solch katastrophalen Bedingungen.
Perspektivlosigkeit, Überbelegung, Stress
So richtig verwundern kann es also niemanden, dass die Flüchtlinge die Geduld verlieren. Die völlige Perspektivlosigkeit angesichts von Asylverfahren, die sich jahrelang hinziehen, missfällt nicht nur ihnen. CSU-Mann Hintersberger, der viele Problemfälle des Asylrechts aus dem Petitionsausschuss des Landtags kennt, der allerletzten Station, die gescheiterte Asylbewerber anrufen können, zieht allerdings andere Schlüsse als die Flüchtlinge: Man müsse den abgelehnten Bewerbern wohl schon früher klarmachen, dass sie hier kein Bleiberecht bekämen und es deshalb vernünftiger sei, anderswo eine Perspektive zu suchen. Solch eine Argumentation charakterisiert Reiner Erben als „die zynische Abschreckungspolitik der Staatsregierung“, der man mit klaren Forderungen begegnen müsse. Vor allem gehe es um die Umsetzung von Beschlüssen, die längst gefasst seien und von denen die Regierung jetzt, angesichts momentan wieder steigender Flüchtlingszahlen, nichts mehr wissen wolle.
„Die Flüchtlinge reagieren mit ihrem Hungerstreik vor allem auf den Stress durch die Überbelegung“, konstatiert Berater Schopf-Emrich. Die Regierung von Schwaben brauche die Unterstützung der Politik, gefragt sei beispielsweise das Sozialministerium von Christine Haderthauer. Und Reiner Erben betont, eine Untersuchung von „Tür an Tür“ habe ergeben, dass 20 Prozent der Flüchtlinge Akademiker seien, die durchaus Arbeit finden könnten. Zum Beispiel unser Positivbeispiel: der Journalist Saidou Kamara. Er wolle arbeiten, betont er immer und immer wieder. Sein Leben sei Lernen, er wolle doch seine Zeit nicht verschwenden. Er wolle Geld verdienen, Steuern zahlen, sich integrieren. Stolz hält er einen Stapel von Zertifikaten in die Kamera, die er in Augsburg erworben hat. Deutschkurse, Kurse in der Altenpflege und vieles mehr, wir zählen 17 Bescheinigungen. Kamara hat all diese Weiterbildungen mit Hilfe von „Tür an Tür“ gemacht – die Asylgesetze machen es staatlichen Institutionen unmöglich, Flüchtlinge zu fördern. Und sie verhindern, dass Kamara eine Arbeit aufnimmt.
Große Hoffnungen und ein paar Jahre Unterschied
Deshalb also wohl Hungerstreik, nicht wegen der Essenspakete, die allenfalls den Katalysator bilden für all den Frust. „Wir werden weiter kämpfen“, betont der sanftmütige, freundliche Kamara, „das ist doch eine Demokratie hier, oder?“ Aus Sierra Leone musste er fliehen, weil er für die Freiheit war. In Deutschland muss er an einem Hungerstreik teilnehmen, um für das zu kämpfen, was er als sein Menschenrecht ansieht: das Recht, zu arbeiten, die Hoffnung, in würdiger Umgebung zu wohnen, sein Essen selbst auszusuchen.
Und ganz am Schluss der schreckliche Verdacht, unser Positivbeispiel Kamara könnte sich womöglich nur durch ein paar Jahre Zeitunterschied von seinem negativen Gegenpart unterscheiden. Ganz hinten, in seinem Einzelzimmer, sitzt Ahmed. „Die wollen, dass ich ins Gefängnis komme, aber ich gehe nicht“, hatte er gesagt. Auf Deutsch. Denn auch Ahmed ist mit Hoffnungen hierhergekommen, damals, vor mehr als zehn Jahren. Er wollte lernen, arbeiten, ein besseres Leben haben. Niemand sollte ihm Vorwürfe machen.