„Unendlicher Spaß“ ein Gastspiel zum Abschluss des Brechtfestivals
Da das Ende des Brechtfestivals diesmal auf das Faschingswochenende fiel, scheint es nur konsequent, dass Festivalleiter Patrick Wengenroth sich mit einem „Unendlichen Spaß“ aus der „Faschingshochburg“ Augsburg verabschiedet.
Von Halrun Reinholz
Doch es war wohl kaum seine Absicht, sich ins Faschingstreiben einzuklinken (es wäre sowieso nicht aufgefallen). Dennoch vertraute er auf die nachhallende Wirkung des Gastspiels von Thomas Lensing und seiner Truppe, denn damit endete, ohne weitere Fanfarenstöße, das Brechtfestival 2019 und damit auch die dreijährige „Spielzeit“ von Wengenroth.
Ein „unendlicher Spaß“ über vier Stunden? Das fragt man sich, noch mit dem Sitzfleisch-Erlebnis von „Europe City“ in den Knochen. Vorlage für das Bühnenspektakel ist ein 1500 Seiten dicker Roman aus dem Jahr 1996 von David Foster Wallace, der menschliche Interaktionen und Verhaltensweisen der gegenwärtigen (oder auch zukünftigen) Gesellschaft auf satirische Weise vorführt. Schon die Vorlage besteht aus ineinander verschachtelten Erzählzentren, die die „leistungsorientierte Erschöpfungsgesellschaft“, vor allem in ihrer nordamerikanischen Ausprägung, porträtieren.
Der aus der Schweiz stammende freie Regisseur Thorsten Lensing bringt „Scherben“ dieses Romans mit einer hochkarätigen Schauspieltruppe auf die Bühne, erstmals vor etwa einem Jahr in den Sophiensälen Berlins. Da ist einerseits die Familie Incadenza, deren Familienvater, Gründer einer Tennisakademie, sich mit einer Mikrowelle das Leben genommen hat und zum Schluss als „Geist“ wieder auftaucht. Die drei Söhne sind alle dem Leistungsdenken der US-Gesellschaft unterworfen: Orin als Footballstar, Hal als hochbegabter Tenniscrack, selbst der mehrfach behinderte Mario reussiert als erfolgreicher Filmemacher. Er allein ist es aber auch, der sich durch seine Behinderung dem Druck entziehen kann, während die anderen beiden mit verschiedenen Strategien versuchen, sich und ihre Traumata durchs Leben zu lavieren, Ansprüchen zu genügen und selbst die Traumatherapie als Prüfung zu begreifen, die man „bestehen“ muss.
Parallel dazu spielt ein Handlungsstrang in einer Suchtklinik mit Entzugssprechstunde. Skurrile Typen schildern Auswüchse ihrer Medikamentenabhängigkeit, Alkohol-, Sex- oder Drogensucht. Das braucht Zeit und die vier Stunden sind nicht zu hoch gegriffen, denn die Dialoge kommen stringent und kurzweilig, bitter und scharf daher. Und witzig. „Unendlicher Spaß“ ist keine dröge Darstellung einer kaputten Gesellschaft. Der Finger wird in die Wunde gelegt, aber nicht mahnend erhoben. Es ist satirisch, aber dennoch keine Aneinanderreihung von Sketchen.
Die Komik steht und fällt aber auch mit den Darstellern, die durchwegs erste Liga sind. Außer Heiko Pinkowski, der als ehemaliger Schmerzmittelabhängiger und Krimineller nun den „Entzugsbetreuer“ gibt und in der Handlung vielschichtig präsent ist, sind alle Rollen mehrfach besetzt und verlangen den Schauspielern ein Höchstmaß an Flexibilität und Bühnenpräsenz ab. Ursina Lardi ist als „Teenager“ Hal Incadenza ebenso überzeugend wie in diversen Frauenrollen (köstlich als Krankenschwester!). Jasna Fritzi Bauer brilliert als Drogensüchtige und als verschleierte Radiomoderatorin. André Jung ist der stille Behinderte Mario Incadenza, entzückt aber auch (sprachlich authentisch) als Schweizer beim Morgenkreis der Therapierunde. Sebastian Blomberg wird vor allem als Vogel in Erinnerung bleiben, der im Whirlpool von Orin Incadenza einen Herzinfarkt erleidet und bühnenwirksam verendet. Und Devid Striesow zeigt sich sowohl als Weiberheld Orin Incadenza, als auch als vielfach zwanghafter Suchtpatient. Ein (fast) unendlicher Spaß, fürwahr, auch wenn das Lachen zuweilen planmäßig im Hals stecken blieb.