Und Brecht war doch ein Frauenverschlinger!
Im Musiclett von Peter Dempf und Wolfgang Lackerschmid kommt der Dichter nicht gut weg
Von Frank Heindl
Wie kann er nur, dieser Peter Dempf! Haben wir denn nicht ein Brechtfestival hinter uns, in dem es den Initiatoren erklärtermaßen darum ging, das gängige Brechtbild nicht nur zu hinterfragen, sondern es auch gründlich zu überarbeiten? Haben nicht Festivalleiter Joachim Lang und sein wissenschaftlicher Kompagnon Jan Knopf mit aller Entschiedenheit argumentiert, Brecht sei – unter anderem – eben kein „Frauenverschlinger“ gewesen! Ein Filou möglicherweise, ein Schwerenöter, aber einer, der seine Beziehungen ernst nahm, dem es um Austausch, Partnerschaft, Synthese ging!
Und nun also der Augsburger Schriftsteller Peter Dempf: Schreibt dem Augsburger Musiker Wolfgang Lackerschmid Texte für ein „Musiclett“, die dieser für seine Frau Stefanie Schlesinger vertont. Und in diesen Texten wird der erst kürzlich von seinen Sünden reingewaschene „BB” erneut mit allem konfrontiert, was man nicht mehr sagen sollte: „Ein Frauenverschleißer“ sei er gewesen, singt Frau Schlesinger, pausenlos monologisiert habe er und fast nie zugehört, und während sie seinen Sohn Frank zur Welt gebracht habe, habe jener schon mit einer anderen poussiert …
Die „Wunde Brecht“ war 1955 noch nicht verheilt
Des Rätsels Lösung liegt wohl in der Perspektive. Auf dem Brechtfestival Anfang des Jahres wurde unter anderem Heinrich Breloers Film „Bi und Bidi“ von 1978 gezeigt – eine Dokumentation, in der die damals 77jährige Paula Banholzer, von Brecht fünfzig Jahre zuvor zärtlich „Bi“ genannt, sich erinnerte – großmütig, verzeihend, verständnisvoll. Dempf hat sich an eine andere Quelle gehalten: In ihrer Autobiographie, sagt er, zeige sich viel deutlicher, „dass sie die Wunde Brecht lange nicht schließen konnte.“ Banholzer sei es – im Gegensatz zu den meisten anderen Frauen um Brecht – schließlich gelungen, sich von dem Dichter wieder zu lösen. Dafür aber habe sie einleuchtende Gründe gehabt, die sie auch deutlich formulieren konnte.
Dempfs Perspektive wirkt sich aufs „Musiclett“ – so nennt er diese Kleinform des Musicals für eine Sängerin und einen Musiker – deutlich aus. Im S’ensemble-Theater – es ist die 30. Uraufführung auf dieser Bühne! – wird uns nicht die selbstbewusst gereifte, abgeklärte Paula Banholzer aus Breloers Film präsentiert, sondern jene mit einem Augsburger Kaufmann verheiratete 55jahrige, die sie bei Brechts Tod 1956 war – da waren die Wunden möglicherweise noch nicht so gut verheilt. Eine nachdenkliche „Bi“ zeigt Dempf, eine, die sich an ihrer Vergangenheit abarbeitet, am frühen Tod des Kindes leidet, das sie mit Brecht gezeugt hatte (Frank Banholzer starb 1943, 25-jährig, an der Ostfront), die sich traurig und gequält an die Zeiten erinnert, als sie von den Eltern des Hauses verwiesen wurde, mit 17 schon Mutter.
Viel Trauer, wenig Wut
Schade, dass Dempf ihr nur viel Trauer, nicht aber im gleichen Maße Wut zugesteht. „Jetzt ist er tot, der Hund“, eröffnet ihr der Ehemann, der eben aus der Zeitung von Brechts Tod erfahren hat, und verlässt dann das Zimmer. Dempf Stück zeigt – unter der Regie von Sebastian Seidel – im Anschluss eine innerliche Frau, die beim Tischdecken im gutbürgerlichen Wohnzimmer, beim Abnehmen der Wäsche auf dem Balkon, in Erinnerungen wühlt, mal traurig, mal froh, und nur ab und zu auch mal ärgerlich ihren Ex einen „Mistkerl“ nennt. Wolfgang Lackerschmid hat dazu Songs geschrieben, die er auf einem elektronischen Keyboard begleitet, das mal E-Piano, mal Klavinett und mal Klavier sein kann, und die mal nach Blues, mal nach Midnight-Jazz klingen, und manchmal auch ein bisschen nach Kurt Weill. Stefanie Schlesinger pendelt zwischen diesen Genres ohne Übergangsschwierigkeiten – vor allem verblüfft sie, wenn sie metallisch kalt und vibratolos in den Weillschen Duktus verfällt und diesen expressiven Stil singt, den man fast als „brechtisch“ bezeichnen könnte, weil man ihn so gut von Gisela Mays Brecht-Interpretationen kennt.
Was man vom Pianisten, der abseits hinter einem Gaze-Vorhang musiziert, fraglos erwarten kann, ist für eine Sängerin nicht selbstverständlich: Stefanie Schlesinger singt und agiert 75 Minuten lang nonstop, und sie hätte wohl auch eine selbstbewusster auftretende Paula Banholzer gut bewältigt. So war’s am Ende doch viel Jammern um und wenig Aufbegehren gegen den bösen Brecht, aber eine deutliche Lektion dahingehend, dass der große Bertolt Brecht zumindest zu gewissen Zeiten eben doch als Frauenverschlinger empfunden wurde!
Weitere Termine: 19., 20., 26. und 27. November, 3., 4., 10. und 11. Dezember, dann wieder im April und Mai 2011.
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