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Dienstag, 23.07.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Triumph der Unermüdlichkeit

Warum Bernd Kränzle nicht klein zu kriegen ist

Von Siegfried Zagler

Als sich Bernd Kränzle im Jahre 1972 in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Jungen Union herablassend über den damaligen CSU-Oberbürgermeisterkandidaten Ludwig Kotter äußerte, ging es anschließend um sein politisches Überleben. Es gab eine Welle der öffentlichen Empörung und explosiven innerparteilichen Druck gegen den JU-Vorsitzenden. Der Journalist, dessen Berichterstattung die Karriere Kränzles zu beenden schien, bevor sie richtig in die Gänge kam, war kein geringerer als Dieter Baur. Eines Abends, die Affäre war noch im vollen Gang, stand Bernd Kränzle vor dem Haus der Baurs und überreichte der Frau des Journalisten einen großen Strauß Roter Rosen mit der Bitte, sie solle auf ihren Mann einwirken, sodass er ihm in Zukunft gewogener sei. – Kränzle überstand diese Krise nur knapp. Damals, so kann man diese Geschichte heute auslegen, hat Bernd Kränzle seine Nagelprobe bestanden. Wenig später zog der dreißigjährige Vorsitzende der Jungen Union auf Platz 26 der CSU-Liste in den Augsburger Stadtrat ein. Er überstand die Krise unbeschädigter als es den Anschein hatte.

Vierzig Jahre später steuerte Bernd Kränzle ein zweites Mal in schwere See. Im Juni 2013 versuchte er gemeinsam mit dem Augsburger CSU-West-Kreisvorsitzenden Rolf von Hohenhau, eine ehemalige Parteifreundin bei Androhung einer Vertragsstrafe von 5.000 Euro zum Widerruf eines Leserbriefs zu veranlassen. Kränzle und Hohenhau standen daraufhin am Pranger. Die Augsburger CSU-Granden achten die Meinungsfreiheit nicht und wollen missliebige Kritiker mundtot machen, so der Vorwurf, der viele Tage redundant und in allen Varianten volkstümlicher Tiraden in Leserbriefen in der Augsburger Allgemeinen zum Ausdruck kam. Der Bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer watschte die beiden Augsburger Politiker öffentlich ab. Beide hatten angesichts der Leserbrief-Kampagne und einer fürchterlichen überregionalen Presse ihr Vorgehen längst bedauert. Bernd Kränzle erschien wieder mit einem Blumenstrauß, warf sich tief in den Staub und bat um Entschuldigung.

Kränzles Netzwerk wirkt in allen Ebenen der Stadtgesellschaft

Bernd Kränzle auf der Gegendemonstration zur Veranstaltung von pro Deutschland

Bernd Kränzle auf der Gegendemonstration zur Veranstaltung von pro Deutschland

Zwischen diesen beiden Geschichten stehen 40 Jahre politisches Leben. Steht ein langer Marsch durch die Mühen der Ebenen, stehen 20 Jahre CSU-Vorsitz in Augsburg (von 1989 bis 2009). Steht eine achtjährige Tätigkeit als kommunaler Wahlbeamter (von 1976 bis 1984 Personal- und Ordnungsreferent), steht eine fünfjährige Zugehörigkeit (1993 bis 1998) zur Bayerischen Staatsregierung als Staatssekretär unter Minister Hans Zehetmair, steht seit 1990 ein Landtagsmandat und natürlich eine 30jährige Tätigkeit als Stadtrat mit unzähligen Fraktionssitzungen, Vorstandssitzungen, Ausschusssitzungen und Entscheidungsschlachten. In 40 Jahren politischer Arbeit hat sich Bernd Kränzle ein Netz geknüpft, das in alle Schichten und alle Ebenen der Stadtgesellschaft hineinwirkt. Die vielleicht stärksten Maschen dieses Netzes: Seit 1984 ist Kränzle Vorsitzender des Bayerischen Landessportverbandes (BLSV) und Vizepräsident des Bayerischen Sportverbandes. In 40 Jahren hat der ehemalige Augsburger CSU-Chef sechs bayerische Ministerpräsidenten erlebt, unzählige Wahlkämpfe bestritten und in wichtigen städtischen Einrichtungen und Parteiämtern seine Leute positioniert. Auf seinen Fahrten zu zahlreichen täglichen Terminen quer durch die Stadt, so will es die Legende, ist sich Kränzle öfters selbst begegnet.

Von Wolfgang Pepper und Hans Breuer geprägt

Berlnd Kränzle - Foto: Marcus Ertle

Bernd Kränzle – Foto: M.Ertle

Obwohl er in einer von Franz Josef Strauß geführten CSU „politisch groß wurde“, ist Bernd Kränzle politisch stärker von den beiden Augsburger SPD-Oberbürgermeistern Wolfgang Pepper (1964 bis 1972) und Hans Breuer (1972 bis 1990) geprägt worden als von der oberbayerischen CSU-Nomenklatura. Unter Breuer war Kränzle Personal- und Ordnungsreferent. „Unser Verhältnis war immer von gegenseitigem Respekt und Fairness bestimmt“, so Hans Breuer auf Nachfrage. Mit Kränzle habe man, so Alt-OB Breuer, hervorragend zusammen arbeiten können, da „Herr Kränzle stets loyal und konstruktiv zum Wohl der Stadt gearbeitet hat.“ Als die CSU 1981 nach der ersten CSM-Abspaltung mit 20 Stadträten die Oppositionsbänke drücken musste, entwickelte sich Kränzle aus der Krise heraus zu einem harten Oppositionsführer, der aus Breuers Sicht in dieser Rolle „sehr schwer zu kalkulieren war.“

 

Auch für die eigenen Parteifreunde nicht leicht zu begreifen

Bernd Kränzle war für die politische Stadt und selbst für die eigenen Parteifreunde nie leicht zu begreifen, was auch damit zu tun hatte, dass er sich selten aus der Deckung wagte, nie allein ein Thema setzte, sondern stets vorsichtig der Schwarmtheorie vertraute. Kränzle hätte, wäre es nach der Partei gegangen, als Augsburger Oberbürgermeister Karriere machen sollen – oder als Bundestagsabgeordneter. Doch Kränzle wollte nicht die Spitze des Schwarms verlassen. In 20 Jahren Parteivorsitz verwendete er die meiste Arbeit darauf, “seinen” Laden zusammen zu halten, indem er nach seiner Auffassung eine „gute Personalpolitik“ betrieb und sich in innerparteilichen Dissens-Situationen stets für den mehrheitsfähigen Sachverhalt einsetzte. Er verkörpert mit seinem politischen Leben ein Abbild der Augsburger CSU, ein Abbild eines Bildes, das er als unermüdlich antreibender Parteisoldat selbst geschaffen hat. Die Zielrichtung seines politischen Lebenswerkes lässt sich auf einen Satz, auf ein Wort, auf drei Buchstaben reduzieren: CSU.

Die Augsburger CSU hat ihn nicht in Marmor geschlagen

Je länger man über Bernd Kränzle und seine im Dienst der Partei zirkulierende Karriere nachdenkt, desto verständlicher wird der Umstand, dass er dergestalt nachhaltigen Anfeindungen ausgesetzt war. Innerparteiliche Anfeindungen, die ihn tiefst verletzt haben. Seine Karriere an der Augsburger CSU-Spitze hat nicht dazu geführt, dass ihn die Augsburger CSU in Marmor geschlagen hat, was im Grunde für ihn spricht. Möglicherweise war es sogar die Überladung seiner Omnipräsenz, seine jahrzehntelange Macht- und Einflussfülle aus der sicheren Deckung geschützter Entscheidungsräume heraus, die ihm, dem unermüdlichen Flurarbeiter, innerparteilich eine veritable Gegnerschaft bescherte, eine Gegnerschaft, die immer stillhielt, aber nicht mehr stillhalten wollte, als sich nach Kränzles Rückzug vom Parteivorsitz herauskristallisieren sollte, dass er nicht im Traum daran dachte, sich aufs Altenteil zurückzuziehen.

Auf der falschen Seite?

Vielleicht sahen ihn nicht wenige Parteimitglieder auf der „falschen Seite“, als der damalige Ortsvorsitzende der CSU Pfersee, Max Becker, mit Unterstützung von Christian Ruck und Kurt Gribl am 8. Juni 2011 Gribl-Gegner Tobias Schley als Vorsitzenden des Kreisverbandes West herausforderte. Schley triumphierte und Ruck verlor als Konsequenz auf diese Attacke alle Parteiämter und zuletzt auch sein Bundestagsmandat. Seit dem 8. Juni 2011 stand Kränzle unter Verdacht, nicht auf der Seite von OB Gribl zu stehen. Im Forum der Augsburger Allgemeinen wurde Kränzle von Max Becker denunziert: Die OB-Findungskommision habe damals Kurt Gribl gegen den Willen von Bernd Kränzle durchgesetzt. Die Findungskommision dementierte, aber das muntere Schießen gegen Bernd Kränzle war längst angeblasen.

Kränzles einsamer Sieg gegen die Augsburger Allgemeine

Beinahe unbemerkter Schulterschluss: Bernd Kränzle und Kurt Gribl am Abend der Landtagswahl 2013

Beinahe unbemerkter Schulterschluss: Bernd Kränzle und Kurt Gribl am Abend der Landtagswahl 2013

Die Augsburger Allgemeine hatte in der Zwischenzeit Position bezogen und sich auf die innerparteilichen Gegner „ihres“ Oberbürgermeisters eingeschossen. Am härtesten wurde Kränzle bearbeitet: ein Hinterbänkler, zu alt, zu umstritten, das Auslaufmodell eines Strippenziehers, einer, der nicht wisse, dass seine Zeit abgelaufen sei. Mit der Leserbrief-Affäre schien Bernd Kränzle dieses Bild zu bestätigen. – Kränzle taumelte, fiel aber nicht. Bei der CSU-Listenaufstellung zur kommenden Kommunalwahl riskierte Kurt Gribl viel und setzte seine Vorstellungen bei den geschwächten Parteioberen durch – diesmal im Verbund mit Ministerpräsident Horst Seehofer und der Augsburger Allgemeinen. Nach dieser vorerst letzten großen Zerreißprobe kehrte unverdächtige Ruhe ein. Der Schulterschluss zwischen Gribl und Kränzle vollzog sich beinahe unbemerkt. Der Wahlkampf zur Bayerischen Landtagswahl und die Verwandten-Affäre setzten die Themen. Als am Wahlabend das Augsburger Ergebnis bekannt wurde und Bernd Kränzle besser abschnitt als bei der Wahl 2008, räumte der Chef der Lokalredaktion der Augsburger Allgemeinen anderntags seine Niederlage ein. Bernd Kränzles Netzwerk hat gegen den Kampagnen-Journalismus der Augsburger Allgemeinen obsiegt.

„Für Querelen nicht bestraft“

Trotz kontinuierlicher Negativkommentierungen über einen langen Zeitraum hinweg reagierten die Leser der Augsburger Allgemeinen nicht und wählten Bernd Kränzle mit einer Konsequenz wieder in den Landtag, als würde es „Die Zeitung“ nicht geben: „Die Querelen der letzten Jahre könnten dennoch aus dem Ergebnis herauszulesen sein. Denn in Anbetracht der enormen Zuwächse ihrer Partei in Bayern hätte mehr drin sein können“, so Alfred Schmidt zerknirscht in seinem Kommentar „Für Querelen nicht bestraft“. Am vergangenen Samstag erklärte Michael Hörmann den Lesern der Augsburger Allgemeinen seine Lesart der Augsburger Wahlergebnisse, die laut Hörmann für Augsburg einen „Stillstand“ bedeuten würden: „Der Stellenwert Augsburgs in der zukünftigen Alleinregierung bleibt jedoch äußerst bescheiden. Der bald 71-jährige Kränzle wird in München keine großen Sprünge mehr machen.“

An dieser Stelle soll gesagt sein, dass das Land Bayern von den Verhältnissen einer Bananenrepublik noch weit entfernt ist. Bayerische Steuergelder werden nicht nach Zuruf und parteipolitischen Erwägungen verteilt, was sich zum Beispiel auch an den SPD-regierten Städten in Bayern sehr schön ablesen lässt. Hörmanns Kommentar ist ein übles Foul, ein Nachtreten und wenn man so will, eine Wähler-Schelte und somit  der Tiefpunkt einer lokalen Anti-CSU-Kampagne, die sich nach Schleys Abgang auf Kränzle und Hintersberger kaprizierte. Eine Kampagne, die nicht dazu führte, dass Kränzle an Ansehen verlor, sondern eher dazu, dass die lokalpolitische Redaktion der Augsburger Allgemeinen mit aufgeblasenen Backen ihren politischen Einfluss und ihr Ansehen verspielte. Man muss kein Freund der CSU sein, um darin eine  Fortschreibung der Stadt Augsburg zu erkennen. Die Botschaft der Bayernwahl besteht auch darin, dass die Augsburger Allgemeine trotz ihrer einzigartigen Monopolstellung zusehend bei ihrer Leserschaft in Augsburg an politischen Einfluss verliert. Das mag mit einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung zu tun haben. Mit dem Relevanzverlust durch das Internet, der demographischen Situation, aber auch mit der Entwicklung der Zeitung selbst: Zu populistisch, zu holzschnittartig wurde über viele Jahre der Meinungsjournalismus der Augsburger Allgemeinen betrieben. Damit immunisierte sie ihre Leserschaft gegen ihren politischen Ton. Der ehemalige SPD-Oberbürgermeister Hans Breuer, eine moralische Instanz der Stadt, nannte die Berichterstattung „der Zeitung“ in Bezug auf Kränzle „unfair“. Breuer bezog sich dabei auf die Thematisierung seines Alters. „Das können Sie ruhig schreiben“, so Breuer.

In Drachenblut gebadet

Für Kränzle ging die Arbeit nach seinem Triumph bei der Bayern-Wahl ganz normal weiter. Er pflegte sein Netzwerk und unterstützte Volker Ullrich im Bundestagswahlkampf. Ob sich Beate Merk als Justizministerin halten werde, wollte die DAZ wissen. Kränzle wollte nichts sagen, sein Mienenspiel ließ jedoch erkennen, dass Merk wohl ausgespielt haben sollte. Bei der Frage, warum es die Augsburger Allgemeine erstmalig wagt, dergestalt kontinuierlich auf die Augsburger CSU-Spitzen loszugehen, zeigte sich Augsburgs heimlicher Kulturreferent als fähiger Selbstkritiker. Kränzles Analyse war dergestalt schonungslos und ironisch zugespitzt, dass man das ihm gegebene Versprechen, darüber nichts zu schreiben, einzuhalten hat. Nur soviel soll verraten sein: Bernd Kränzle geht davon aus, dass die gesellschaftliche Bedeutung der Personen, die die Parteispitze der Augsburger CSU bilden, nicht mehr so gegeben sei, wie das in der Vergangenheit der Fall war.

Als Landtagsabgeordneter hat Bernd Kränzle zum letzten Mal kandidiert. Im Bayerischen Landtag wird er wohl Alterspräsident werden und er wird wohl dem Ausschuss „Wissenschaft, Hochschule, Kunst und Kultur“ vorsitzen. Und es ist natürlich nicht kategorisch auszuschließen, dass Bernd Kränzle nach der Kommunalwahl für weitere drei Jahre den Fraktionsvorsitz der Rathaus-CSU einnimmt. Die Vorstellung, dass ein Politiker durch ein über Jahrzehnte gesponnenes Netzwerk und Beziehungsgeflecht unverwundbar geworden ist, könnte die Legende des Bernd Kränzle werden. Wenn sich Wirklichkeit mit Fiktion vermengt, entstehen Legenden. Sollte die Augsburger Allgemeine weiterhin ungerührt ihr Kränzle-Bashing fortsetzen und Bernd Kränzle unbelastet und unermüdlich zusammen mit Oberbürgermeister Kurt Gribl die Augsburger CSU bei der Kommunalwahl zu einem weiteren Wahlsieg führen, wäre nicht mehr ganz von der Hand zu weisen, was Frank Mardaus (SPD) nach der Bayernwahl kolportierte: „Der Mann hat in Drachenblut gebadet.“