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Dienstag, 19.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

MEINUNG

Theatersanierung: Ein Angriff der Gegenwart auf die Zukunftsfähigkeit der Stadt Augsburg

Warum das Theatersanierungsprojekt der Stadt Augsburg gescheitert ist

Kommentar von Siegfried Zagler

Foto: ©  S. Kerpf/Stadt Augsburg

Den christlichen Kirchen laufen die Gläubigen davon. Gründe dafür gibt es genug. Die Geschichte vom Gottvater, der seinen Sohn auf die Erde schickt, um die Menschen von ihren Sünden zu befreien, überzeugt im aufgeklärten Europa längst nicht mehr und das gedruckte Vermächtnis, die Bibel, liest sich 2020 wie ein Treatment zu einer Netflix-Fantasy-Saga. Und dennoch käme niemand auf die Idee, die seelsorgerische Arbeit der Kirchen in Frage zu stellen, die Caritas, die Diakonie, die Krankenhäuser.

Das wohltuende Wirken der Kirchen in der Behindertenseelsorge, in der Altenseelsorge sowie in der Trauerarbeit stand noch nicht ernsthaft in der Kritik, ebenso ihre Tempelanlagen, die als Kunstwerke auf unsere Kulturgeschichte, unsere Vergangenheit verweisen. Was wäre die Stadt Ulm ohne Münster, München ohne die Frauenkirche und Paris ohne Notre Dame? Was wäre Augsburg ohne seine Religionsgeschichte, ohne St. Anna, ohne St. Ulrich und ohne den Dom? Womit wir beim Thema wären, nämlich beim Augsburger Stadttheater, das von Markus Söder in einem beispiellosen Wahlkampfakt im April 2018 zum Staatstheater erklärt wurde.

Niemand bestreitet die seelsorgerische Wirkung eines Philharmonischen Orchesters 

Analog zur Struktur der Kirchen hat sich im Lauf der jüngeren Geschichte die Struktur des deutschen Theatersystems nachhaltig in die kulturelle Identität der Städte hineinverwebt, sodass sie auch in von Diversität und kulturellem Wandel gezeichneten Gesellschaften schwer wegzudenken ist. Kaum jemand in Augsburg bestreitet das wohltuende Wirken des Philharmonischen Orchesters, des Balletts oder des Schauspiels. Niemand hat vor, diese „Form der Seelsorge“ abzuschaffen. Niemand stellt das Fortbestehen des Großen Hauses am Kennedyplatz in Frage. Man soll die Kirche im Dorf lassen, sagt der Volksmund.

Ein kräftiges „Noch geht das!“, sollte man hinzufügen, denn wenn die aktuelle Stadtregierung mit dem Gesamtprojekt taktisch weiter so verfährt, wie es bei der Vorgängerregierung der Fall war, dann ist zu befürchten, dass selbst der Fortbestand des Großen Hauses nicht mehr gesichert ist.

Die Stadt Augsburg steht nämlich vor einem tiefen Abgrund, den sie selbst ausgehoben hat. 235 Millionen Euro sollte die Sanierung gemäß der ersten Entwurfsplanungen (2014/2015) des Münchner Büros Achatz kosten. Diese Summe wurde seitens der Staatskanzlei und des damaligen Augsburger OBs wohl aus politischen Gründen auf knapp 187 Millionen Euro heruntergebrochen. Anschließend veränderte sich die Planung bei den Neubauten aus Kostengründen fortlaufend, sodass kaum jemand verbindliche Aussagen darüber machen konnte, wie denn die Planung am Kennedyplatz inhaltlich fortgeführt werden solle.

Wurde der Stadtrat irreführend informiert?

Die Stadt selbst stellt das allerdings bis heute (Stand: 29. Juni 2020 vormittag) unverdrossen auf ihrer Homepage anders dar: „Mit dem Grundsatzbeschluss I vom Juli 2015 konnten Einsparungen festgelegt werden, ohne das Konzept inhaltlich zu ändern. Dadurch konnte eine Reduzierung der Sanierungskosten auf rund 189 Millionen Euro erreicht werden. Mit dem Grundsatzbeschluss III von 2016, hat der Stadtrat die Konzeptplanung „Generalsanierung und Neubau Staatstheater Augsburg“ mit einem Kostenrahmen von 186,3 Mio. Euro für Bauteil 1 und Bauteil 2 beschlossen.“

Architekt Volker Schafitel hebt im DAZ-Gespräch hervor, dass seitens der Stadt stets so informiert wurde, dass die Stadträte annehmen mussten, dass in die Gesamtkosten die erwarteten Baupreiserhöhungen bereits eingepreist seien.

Der epochemachende Grundsatzbeschluss, den die Stadt ebenso wie das damalige Dreierbündnis als Meilenstein ihrer Kulturpolitik anführte, hat sich zu einem Mühlstein verwandelt. Seit der städtischen Pressekonferenz am 19. Juni 2020 befindet sich das Projekt offiziell außerhalb des Grundsatzbeschlusses, da ebenda für das Bauteil II deutlich erhöhte Summen aufgefahren wurden. Für die Neubauten, die insbesondere das neue Schauspielhaus, die Verwaltung und die Werkstätten beherbergen sollen, waren ursprünglich 72 Millionen Euro aufgerufen worden. Eine Summe, die sich später aufgrund von „erstaunlichen Merkwürdigkeiten“, wie Brandschutz und hohem Grundwasserstand auf 125 Millionen Euro erhöhte, die aber nach einem Aufschrei der Politik durch Umplanungen auf 92 Millionen Euro reduziert werden sollte. Dann kam ein langes Schweigen, wohl auch aus politischen Gründen, denn vor der Kommunalwahl am 15. März hätten die neuen Zahlen in erster Linie der OB-Kandidatin Eva Weber (CSU) geschadet.

235 Millionen wurden auf politische 186 Millionen herunter gerechnet – Heute geht man von 321 Millionen aus – Und das Ende der Fahnenstange ist noch nicht erreicht

Wolle man ein funktionsfähiges Gebäude, komme man bei 115 Millionen für den Erweiterungsbau heraus, so wird Baureferent Merkle in der Augsburger Allgemeinen zitiert. Somit liegt die Gesamtsanierung für das Großes Haus und Neubauten bei heute 246 Millionen Euro. Rechnet man die Baupreissteigerungen für die kommenden Jahre ein, käme man bestenfalls auf 283,1 Millionen Euro (2,5 Prozent Steigerung) beziehungsweise auf bis zu 321,4 Millionen Euro (Preissteigerung um fünf Prozent). Da bei den Ausschreibungen weitere Preissteigerungen zu erwarten sind, schätzen von der DAZ befragte Experten das Projekt inzwischen auf 400 Millionen + x. Das sind Summen, die politisch längst nicht mehr vermittelbar sind und dem Gesamtprojekt die gesellschaftliche Legitimation entziehen.

Stoppt ein Bürgerbegehren das Projekt …

Damit ist die Katze aus dem Sack. Und damit ist auch das aktuelle Projekt gescheitert, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Sollte der Stadtrat in der kommenden Juli-Sitzung kein Moratorium beschließen, um sich von diesem Gesamtprojekt eine gewisse Zeit zu verabschieden, um sich mit neuen Ideen, einer besseren Planung und und einem seriösen Kostenplan und vor allem mit einem ernstzunehmenden inhaltlichen Theaterkonzept erneut heranzuwagen, dann wird das Projekt wohl mit einem Bürgerbegehren gestoppt, und zwar von Personen, die wissen, wie es geht. Das ist keine Spekulation und schon gar keine leere Drohung, sondern eine kaum missverständliche Ankündigung, die in der Pressemitteilung von der Gruppierung (AIB) des Neustadtrats Bruno Marcon nachzulesen ist.

… oder die Regierung von Schwaben …

Möglicherweise wird das Projekt aber nicht durch ein langwieriges Bürgerbegehren, also durch ein Verfahren von unten, sondern über Nacht von oben gestoppt – lediglich mit einem gesenkten Daumen. Gemeint ist die Regierung von Schwaben, die als Aufsichtsbehörde noch weit vor der Coronakrise eine Anfrage der damaligen Finanzreferentin Eva Weber über eine Kreditaufnahme von 40 Millionen Euro zum Erwerb des Osramgeländes abschlägig beschied. Die Aufsichtsbehörde begründete ihr No-Go unmissverständlich: Im Gegensatz zur Schulsanierung sei die Entwicklung von Grundstücken keine Pflichtaufgabe, es bestehe keine Verpflichtung zum Erwerb des Areals. Es müsse vielmehr mit Blick auf die kommenden Generationen ein geordneter Schuldenabbau erfolgen, um die finanzielle Leistungsfähigkeit der Stadt zu erhalten. Außerdem führte die Regierung von Schwaben ins Feld, dass eine Refinanzierung nur vage einschätzbar sei, da mit Bodenbelastungen zu rechnen sei, also mit Folgekosten, die nicht zu kalkulieren sind. Das war im November 2019, als es der Wirtschaft in der Region noch gut ging und Schlüsselzuweisungen des Freistaats in dreistelligen Millionenbeträgen in die Stadtkasse sprudelten.

… oder gar die Vernunft der politischen Kaste?

Die Wirtschaftslage und die damit verbundene Finanzsituation der Stadt Augsburg sind nach der vermeintlich überstandenen Coronakrise unsicherer denn je. Die Stadt spricht nach einem ersten Kassensturz von einem Fehlbetrag über 50 Millionen Euro. Die kommunalen Hilfspakete des Bundes sind noch nicht ausgehandelt und speziell der Stadt Augsburg stehen milliardenschwere Pflichtaufgaben ins Haus, wie zum Beispiel die Schulsanierungen. 420 Millionen Euro Schulden hat die Stadt zusätzlich noch abzuarbeiten. Eine Theatersanierung ist keine kommunale Pflichtaufgabe. In diesem haushalterischen Kontext ist es unvorstellbar, dass die Regierung von Schwaben eine weitere Kreditaufnahme zum Zwecke der Theatersanierung zulässt. Und aus dem laufenden städtischen Haushalt heraus ist die Kostenexplosion nicht zu stemmen. Da es bisher in keiner deutschen Grammatik einen Komparativ von „gescheitert“ gibt, soll er hier Premiere haben: Von allen bekannten Großprojekten in Deutschland ist nur der Berliner Flughafen gescheiterter als die Augsburger Theatersanierung.

Aktuell schließt die ratlos wirkende Stadtspitze Augen, Mund und Ohren und hofft darauf, dass das finanzielle Desaster, das sie selbst zu verantworten hat, sich in Luft auflöst. Jeder Alptraum hat ein Ende: eine Erfahrung der Finanzkrise, eine Erfahrung der skandalösen CFS-Sanierung. Doch im Gegensatz zu allen überstandenen Desastern erzählt das Narrativ der Augsburger Theatersanierung ein Paradoxon jenseits aller Erfahrung: Je teuerer das Projekt wurde, desto verschachtelter und vermurkster wurde die Planung. Die old-school-Planung von 2014 ist ohne digitalisierte 3-D-Bühnentechnik, sie gleicht beim Großen Haus eher einer Erhaltsplanung von denkmalgeschützem Interieur als einer modernen Fortschreibung. Eine verbesserte Akkustik oder eine neuartige Bühnentechnik sind nicht vorgesehen. Das neue „Schauspielhaus“ soll eine Art Mehrzweckhalle werden, in der auch theaterferne Veranstaltungen stattfinden können. Eine Idee der Grünen, die der damalige Kulturreferent Thomas Weitzel begeistert aufgriff. Schlimmer geht es kaum.

Es geht nicht um die Zukunft des Theaterstandorts, sondern um die Zukunftsfähigkeit der Gesamtstadt

Die Frage, die nun im Raum steht, lautet: In welcher Verfassung muss eine Stadtregierung sein, die eine dergestalt gescheiterte Planung weiter verfolgt? Wenn etwas an der finanziellen Wirklichkeit vorbei Geplantes eine Art Angriff der Gegenwart auf die Gestaltungszukunft der Stadt Augsburg bedeutet, dann werden die durchaus verständlichen Partikularinteressen der Theaterleute obsolet. Dann sind die Verantwortungsinstanzen des Gemeinwohls gefragt. Es steht nämlich nicht die Zukunft des Theaterstandortes Augsburg auf dem Spiel. Gutes Theater kann auch in einer Bruchbude stattfinden. Es geht um die Zukunftsfähigkeit der Gesamtstadt, die von der Theatersanierung zu stark beeinträchtigt wird.

Die Hoffnung besteht nun darin, dass sich die politisch Verantwortlichen von dem Projekt lösen können, und zwar mit ihrem eigenen Verstand und eben dem Mut ihn auch dann zu gebrauchen, wenn die Scham sich dagegen wehrt. Sollte das nicht geschehen, sollte der Irrsinn wünschenswerterweise von den dafür vorgesehenen Regulativen gestoppt werden, also von der Regierung von Schwaben oder/und von einem Bürgerbegehren.