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Montag, 22.07.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Oper

“The Rake`s Progress” im Martinipark – der Teufel in vergnüglicher Aktion

Sehr oft steht sie nicht auf den Spielplänen, die einzige Oper von Igor Strawinsky. Am Augsburger Staatstheater hat man sich entschieden, „Rake`s Progress“, 1951 in Venedig uraufgeführt, dem Publikum nach geraumer Zeit mal wieder vorzustellen. Auch wenn der Sturm auf den Martinipark angesichts des den meisten Operngängern Unbekannten eher verhalten ist, lohnt der Besuch sich allemal, denn die Oper ist in jeder Hinsicht ein ansprechendes (und auch anspruchsvolles) Vergnügen.

von Halrun Reinholz

Strawinsky hat zwar auch hier seine eigene moderne Musiksprache, aber bei der Konzeption dieser Oper orientierte er sich, wie er selber schreibt, an der Nummernoper aus dem 18. Jahrhundert. Es gibt also Rezitative und Arien, Duette, Trios und Chöre. Regisseur Jan Eßinger nimmt diese Vorgabe beim Wort. Seine Inszenierung bewegt sich linear von Szene zu Szene, die Drehbühne zeigt, wie auf einer Puppenbühne, ein farbenfrohes (und ansonsten sehr britisches) Interieur nach dem anderen (Bühnenbild: Nikolaus Webern).
Schon beim Einsatz der Ouvertüre hebt sich eine Gestalt aus dem Zuschauerraum und geht auf die Bühne, um den Vorhang aufzuziehen und den Blick auf das Geschehen freizugeben. Der gediegene Anzugträger ist, wie sich alsbald zeigt, Nick Shadow (Shin Yeo), der im Lauf der Handlung immer offensichtlicher zum Teufel mutiert – zuletzt mit Hörnern, die ihm aus der Glatze sprießen, und sogar Ziegenfüßen. Das Spiel mit Klischees zieht sich auch sonst durch das Stück, mit sehr bunten, unkonventionellen bis queeren Kostümen (Lena Brexendorff) und Anspielungen wie „Pay Papst“, wo der Auktionator Sellem (Claudio Zazzaro), dem die graue Menge der Chorsänger flehend Geld entgegenhält, die hohe Geistlichkeit auf die Schippe nimmt.

Tom (Sung min Song) beim Frühstück mit seiner Ehefrau Baba Turk (Kate Allen) (c) Jan-Peter Fuhr

Tom (Sung min Song) beim Frühstück mit seiner Ehefrau Baba Turk (Kate Allen) (c) Jan Peter-Fuhr

Ein Rake ist derjenige, der auf vermeintliche Glücksbringer hereinfällt
Wo der Teufel ist, ist auch der Faust nicht weit. Hier heißt er Tom Rakewell (Sung min Song) – ein junger Mann, der in der Eingangsszene in einem paradiesischen Gartenambiente unter einem Hortensienbusch mit seiner Angebeteten Anne Trulove (Jihyun Cecilia Lee) Zukunftspläne schmiedet. Vater Trulove (Avtandil Kaspeli) gibt dem Paar seinen Segen, sähe es aber gern, wenn der Schwiegersohn in spe eine sichere Stelle hätte, die er ihm in der Firma eines Freundes vermitteln könnte. Doch Tom lehnt ab und spekuliert auf „Fortuna“, diese zeigt sich auch umgehend in der Person von Nick Shadow, der ihm die Nachricht von einem beachtlichen Erbe überbringt und ihn damit nach London lockt.
Hier enden auch schon die faustischen Parallelen, denn Tom strebt nicht nach Wissen und Erkenntnis, sondern nach schnellem Reichtum, der ihm sozusagen zufliegt. Er nimmt alles mit, was Nick Shadow ihm anbietet: das Bordell von Mother Goose (Natalya Boeva), die ihn persönlich verführt und die Vernunftehe mit der Schaustellerin Baba Turk (großartig und sehr differenziert: Kate Allen). Sein Name, Rakewell, beinhaltet den Begriff „Rake“, was im Deutschen oft als „Wüstling“ übersetzt wird. Doch Tom ist kein Wüstling, er ist einer, der sich treiben lässt und hofft, dass ihm die gebratenen Tauben in den Mund fliegen. Die eigentliche Bedeutung des Begriffs wird in einer Definition aus dem 18. Jahrhundert deutlich: „Ein Rake unter den Menschen ist derjenige, der im ständigen Missbrauch seiner Vernunft lebt.“ Der, um auch den Bogen zum Heute zu schlagen, auf die Wunderversprechen der vermeintlichen Glücksbringer hereinfällt.

Nick Shadow (Shin Yeo, Mitte in Rot) führt Tom Rakewell (Sung min Song, vorne links) ins Londoner Nachtleben ein (c) Jan-Peter Fuhr

Nick Shadow (Shin Yeo, Mitte in Rot) führt Tom Rakewell (Sung min Song, vorne links) ins Londoner Nachtleben ein (c) Jan-Peter Fuhr

“Der Teufel findet Arbeit für die Müßigen”
Dieses Konzept muss scheitern. Als Anne in London erscheint, um Tom zu suchen, erwacht sein schlechtes Gewissen, und er will etwas tun, um sich Annes wieder würdig zu erweisen. Nick Shadow präsentiert ihm eine Maschine, die aus Steinen Brot macht, womit man den Welthunger besiegen könnte. Auch dieses Projekt funktioniert nicht und Nick Shadow fordert in einer skurril-britischen Friedhofsszene Toms Seele als verdienten Lohn für seinen Einsatz. Annes Gesang aus dem Hintergrund rettet ihn davor, doch Nick kann ihn noch zum Wahnsinn verfluchen. Anne besucht ihn im Irrenhaus und singt ihn in den Schlaf, doch das Happy End muss ausbleiben.
Damit ist die Oper aber noch nicht zu Ende, denn zum Schluss treten alle noch einmal auf (Nick Shadow nun in der vollen Teufelsgestalt), um die Moral von der Geschichte zu verkünden: „Der Teufel findet Arbeit für die Müßigen. Für jeden von uns“. Die Rakes dieser Welt sind bis heute nicht ausgestorben.