Nachruf
Sybille Schiller ist tot
Die Augsburger Kulturjournalistin, Sängerin, Schauspielerin und Kunstsammlerin Sybille Schiller ist tot.
Die Kunst der Bewertung der Kunst zählt zu den Aufgaben des Kulturjournalismus, dessen Protagonisten zu den einflussreichen „Kunstmachern“ gehören und deshalb von Künstlern tief verachtet werden oder hoch geschätzt, wie Sybille Schiller, deren Signatur (sysch) zu einem Branding der besonderen Art in der lokalen Kunstszene zählte.
Viele Jahre schrieb Schiller für die Augsburger Allgemeine Ausstellungsbesprechungen, Theaterkritiken, Künstlerporträts u.v.m. Einige Jahre ging sie dieser Tätigkeit auch für das Augsburg Journal nach. In den vergangenen 30 Jahren hat „die Schiller“ höchstens eine Handvoll Theaterpremieren versäumt, noch weniger Ausstellungen verpasst und lange vor Facebook, Instagram und Co. bildete sie ein Netzwerk, in dem niemand fehlte, der in Augsburg etwas mit Kunst zu tun hatte.
Als sie ihren 70. Geburtstag feierte, sang im Herrenhaus zu Bannacker vor 120 geladenen Gästen Star-Tenor Gerhard Siegel, den sie natürlich kannte, weil er in Augsburg studierte. Schiller hier, Schiller dort, die ehemals Unvermeidliche hatte sich im Lauf der Jahrzehnte durch ihre Unverwüstlichkeit und ihre unschlagbare Präsenz eine Aura der Wirksamkeit im kollektiven Gedächtnis des lokalen Feuilletons erarbeitet. „Es schillert“ ist zu einem Qualitätsmerkmal avanciert. Eine ungewöhnliche Karriere, dergestalt ungewöhnlich, dass „die Schiller“, käme sie bei Martin Walser als Romanfigur vor, als Fiktion nicht glaubwürdig gewesen wäre. Während andere Journalisten jenseits der „Demarkationslinie Rentenalter“ nur noch selten und ausgewählt ihre Feder ins Tintenfass tauchen, befand sich Sybille Schiller in den Jahren jenseits der 65 auf dem Höhepunkt ihrer Schaffenskraft. Im November 2017 erhielt sie von den Städtischen Kunstsammlungen einen besonderen Ritterschlag:
Im Museumscafé und im Liebertzimmer des Augsburger Schaezlerpalais zeigte Sybille Schiller ihre private Kunstsammlung: „Geerbt – Geschenkt – Gekauft“.
Geboren wurde Sybille Schiller am 17. September 1947 in Magdeburg. Ihre Eltern legten Wert darauf, dass sie in einen christlichen Kindergarten kam, was in der DDR unüblich war. Sie floh mit ihren Eltern und kam 1956 nach Augsburg. Nach der Schulzeit begann sie in Augsburg und beim Evangelischen Presseverband in München eine Lehre als Buchhändlerin und schloss sie erfolgreich ab. Zu Beginn der 1970er Jahre legte sie auf dem Zweiten Bildungsweg am Bayernkolleg in Schweinfurt das Abitur ab. An der Universität Augsburg studierte sie Deutsch und Geschichte. Durch ihre Heirat mit dem Klavierpädagogen Heinrich Schiller, einem ehemaligen Schulfreund, kam Sybille Schiller auch ihrem Wunsch nach einem künstlerischen Leben näher. Von 1978 bis 1983 bekam das Ehepaar Schiller drei Söhne.
Sybille Schiller schien allgegenwärtig: Sie machte Pressearbeit für das diakonische Werk und schrieb für das evangelische Gemeindeblatt. Beim Weka-Verlag arbeitete sie als Lektorin. Anschließend machte sie sich eine Weile als Reden-Schreiberin selbständig. Für den Kognosverlag verfasste sie das Buch „Unternehmen Kirche“. Jahrzehntelang schrieb sie als feste freie Mitarbeiterin der Augsburger Allgemeinen unzählige Artikel und Rezensionen. Die gläubige Protestantin engagierte sich auch auf vielfältige Weise für die Ökumene. Das Alter schien ihr nichts anhaben zu können.
Sybille Schiller verstarb am Donnerstagabend unerwartet in ihrem Haus im Spickel an den Folgen eines Aneurysmas.