Stuttgart 21: Claudia Roth contra Christian Ruck
Der Schlagabtausch zwischen den Augsburger Bundestagsabgeordneten bezüglich des umstrittenen Großbauprojektes Stuttgart 21 geht in die zweite Runde. In ihrem Antwortschreiben an Christian Ruck (CSU) hat Claudia Roth (Grüne) die Einschätzung Rucks, dass Roth die Verkehrsinteressen Augsburgs nicht wichtig nehme, als „freche Unterstellung” bezeichnet.
Von Siegfried Zagler
Aufhänger des Briefes an Ruck ist ein Schreiben Rucks an Roth, in dem der Augsburger CSU-Chef und Bundestagsabgeordnete den Grünen und speziell Roth ein geringes Verantwortungsgefühl hinsichtlich der verkehrlichen Belange der Region Augsburg attestierte. Laut Ruck würde ein Verzicht auf die Schnellstrecke Stuttgart-Ulm der großräumige Verkehr im Korridor Rhein/Ruhr beziehungsweise Rhein/Main in Richtung München auf die dann deutlich schnellere Strecke Frankfurt-Nürnberg-Ingolstadt-München verlagert werden. „Eine solche Entwicklung wäre zwangsläufig – und absolut fatal für Augsburg und die Region“, so Ruck in seinem Schreiben an Roth, in dem er keinerlei Planungsalternative sieht, die eine Neubaustrecke Stuttgart-Ulm ohne das Projekt Stuttgart 21 ermöglichen könnte. Am vergangenen Donnerstag konterte Roth und forderte Ruck auf, als „Augsburger Abgeordneter alle Fakten rational zu bewerten und keinen Luftschlössern nachzuhängen“.
„Ein Projekt mit solch niedrigem Nutzenvorteil müsste abgebrochen werden “
Es sei ein Skandal, so Roth, dass bereits mit dem Abriss des alten Stuttgarter Hauptbahnhofes begonnen wurde, obwohl weder Stuttgart 21 noch der Neubau der Strecke Wendlingen-Ulm-Augsburg planungstechnisch in trockenen Tüchern sei, da für drei Abschnitte von Stuttgart 21 und vier Abschnitte der Neubaustrecke keine rechtskräftige Planfeststellung vorliege. „Die Beschlüsse zum Bau von Stuttgart 21 und der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm-Augsburg sind auf der Grundlage alter, überholter Zahlen zustande gekommen, die die tatsächlichen und zu erwartenden Kostensteigerungen nicht abdecken“, so Roth. Nach deren Auffassung das Durchziehen des unsinnigen Projektes „katastrophale Folgen“ nach sich ziehen würde. – Die Grünen lehnen das „Großprojekt Stuttgart 21 aus verkehrstechnischen, volkswirtschaftlichen und ökologischen Gründen ab“, wie es im Schreiben von Roth heißt. Zudem gebe es verlässliche Informationen, nach denen die Neuberechnung der Schienenprojekte durch den Bund ein Nutzen-Kosten-Verhältnis von unter 1 ergebe, was bedeute, dass der Nutzen des Umbaus durch die entstehenden Kosten vollständig zunichte gemacht werde. „Der Grund, warum dieses Gutachten bis heute unter Verschluss gehalten wird, ist, dass ein Projekt mit solch niedrigem Nutzenvorteil abgebrochen werden müsste“, so Roth. Weshalb aus rein politischen Gründen an der Planung festgehalten werde – und „nicht wie vorgeschoben aus verkehrstechnischen oder wirtschaftlichen Gründen“, so Roth.
„Täglich gehen zehntausende Stuttgarter Bürger auf die Straße, weil sie die Milliarden-Verschwendung öffentlicher Mittel für ein Prestigeprojekt mit hohen ökologischen und baulichen Risiken und zweifelhaftem verkehrlichen Nutzen ablehnen. Die Wut richte sich gegen eine Politik, die über die Köpfe der Menschen Beschlüsse fasse und stur exekutiere.
„Eine Verbesserung der Planung ist möglich“
Um nicht, wie es Ruck formulierte aufs „Abstellgleis“ gestellt zu werden, sei für Augsburg eine verbesserte Anbindung an Ulm und Stuttgart durch eine verantwortungsbewusst und sinnvoll geplante Neubautrasse wichtig, die rational und nicht mit politischem Dünkel geplant werde. Die derzeit im Planfeststellungsverfahren beantragte Trassenführung ist, hinsichtlich der baulichen, ökologischen und
wirtschaftlichen Risiken, die kostenmäßig teuerste mögliche Trasse. Für den Güterverkehr sei die Trasse durch engere Kurven und steilere Steigungsstrecken sogar weniger gut geeignet als die Bestandsstrecke über die Geislinger Steige. „Da die Planfeststellung jedoch nicht abgeschlossen ist, sind Verbesserungen der Planung möglich“, so Roth. Bundesminister Ramsauer müsse jetzt die Reißleine ziehen und die Neubaustrecke und damit auch Stuttgart 21 stoppen.
„Augenwischerei und Stimmenfang“
In die öffentliche Briefdebatte der Protagonisten Ruck und Roth mischten sich am Wochenende Miriam Gruß (FDP) und der Kreisverband der Linken ein. Gruß forderte gestern Roth in einem Schreiben auf, „beim Thema Stuttgart 21 zur Sachlichkeit zurückzukehren“. Roths inszenierte Kampagne sei Augenwischerei und diene ausschließlich dem Stimmenfang. „Stuttgart 21 bringt Vorteile für unsere Region und macht das Reisen mit der Bahn deutlich attraktiver und daran sollte auch Roth ein besonderes Interesse haben. Seien es mehr ICE-Verbindungen oder eine erhebliche Fahrzeitverkürzung in Richtung Stuttgart. Augsburg Stadt und Land profitiert von dem Großprojekt“, so Gruß. Ganz ohne inhaltliche Aussagen, aber dafür mit marxistischen Worthülsen, kommentierte der Vorstandsvorsitzende der Augsburger Linken, Rainer Nödel, die gewalttätigen Vorkommnisse bei den Demonstrationen am vergangenen Donnerstag. „Wenn die neoliberale Regierung der Konzerne und des Großkapitals die Maske fallen lässt“, führe das eben zu Gewalt seitens der Polizei. „Das kann nicht Demokratie sein“, so Nödel. Von den beiden Augsburger Bundestagsabgeordneten Heinz Paula (SPD) und Alexander Süßmair (Linke) sind im Zwist um Stuttgart 21 noch keine Stellungnahmen bekannt.