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Samstag, 23.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Stark: „Sommernachtstraum“ im Stadttheater

Verworrene Verhältnisse: Christoph Mehler gelingt in Augsburg eine mitreißende Shakespeare-Inszenierung

Von Frank Heindl



Noch am Tag zuvor, beim Lesen des Stücks, der heimliche Gedanke: Wäre doch schön, mal wieder einen Shakespeare zu sehen, der dem wunderbaren Text Vorrang einräumt vor der Interpretation. Und dann ein Premierenabend im Großen Haus, der ein genaues Gegenteil dieses – zugegeben: etwas zweifelhaften – Wunsches lieferte: Ein „Sommernachtstraum“ auf der Metaebene, eine Deutung, die sich nur eine oder zwei der vielen Geschichten herauspickt, die der große Engländer in dieser Komödie erzählt. Und die dabei doch – ins Schwarze? – nun ja: jedenfalls in eines der möglichen Ziele trifft.

Schon klar – wer den Sommernachtstraum auf die Bühne bringen will, muss sich entscheiden: Für eine von  unzählbar vielen Deutungen; für eine von den, wie gesagt, vielen Geschichten, die der Autor anbietet; auch für einen Ort in der facettenreichen Inszenierungsgeschichte des Stücks; und nicht zuletzt für eine Aufführungsdauer: Die ungekürzte Fassung würde unzumutbare sechs Stunden in Anspruch nehmen.

Regisseur Christoph Mehler hat sich in diesem Koordinatensystem deutlich verortet: Zum Einen mit einer Entscheidung für den erotischen Kern des Sommernachtstraums, für Entfesselung von Liebeslust und Begierde in der mythischen Dichte jener Mittsommernacht, in der Elfen und Geister ihr (Un-)Wesen und mit den Menschen Schabernack treiben. Zum Anderen für die Parodie dieser – teilweise drogeninduzierten – Geschehnisse und ihrer triebgesteuerten Protagonisten durch die zur Schauspielerei hochgradig unbegabte Handwerkertruppe, die jenes für Shakespeare so typische „Spiel im Spiel“ liefert, in dem die Rahmenhandlung hinterlistig kommentiert, ironisiert, durch das sie in Frage und in andere Zusammenhänge gestellt wird.



Schneller Sex und Zauberdrogen


Während am athenischen Königshof Theseus und Hippolyta ihre Hochzeit vorbereiten, fliehen Lysander und Hermia in die Wälder, weil die Obrigkeiten ihre Verbindung nicht gutheißen. Hermia ist Demetrius versprochen, der ihnen in den Wald folgt und wiederum verfolgt wird von Helena, die ihn liebt, die er aber nicht ausstehen kann. Die dunkle Abgeschiedenheit der athenischen Forste gibt Anlass und Gelegenheit für ein paar schnelle Sex-Nummern, bevor die Verhältnisse noch verworrener werden: Im Walde treiben nämlich auch Elfen ihr Unwesen, die in beinahe ebenso komplizierte Liebeshändel verstrickt sind und sich außerdem im Mischen von den Geist verwirrenden Tränken auskennen. Ihre antiken Zauberdrogen sorgen dafür, dass sich nun jeder Betroffene in genau den unsäglich verliebt, den er beim Aufwachen erblickt – notfalls in einen Esel.

In diesem Zauberwald wird alles Eins: Die sex- und vergnügungssüchtige Athener Jugend, deren ahnungslose und ebenso vereinigungs-versessenen Eltern, die alles „geil“ findenden Elfen. Und auch die Schauspieler: Eine Schar sich maßlos überschätzender Handwerker, die ebenda ein aufs Schrecklichste zusammengeschustertes Theatermachwerk proben, die vor Dummheit strotzen und die doch der festen Überzeugung sind, mit der geplanten Vorführung vor dem König zu Geld kommen zu können. Eine Wald-Gesellschaft also, die in vielerlei Hinsicht mehr oder weniger der unseren ähnelt.

25 Rollen für sieben Schauspieler

Regisseur Mehler greift zu mehreren Tricks, um die Gemeinsamkeiten der Handelnden deutlich zu machen: Er lässt an die 25 Rollen von genau sieben Schauspielern darstellen und die Szenen nahtlos ineinander übergehen, gut 90 Minuten lang und ohne Pause. Das bewirkt eine gewisse – und gewiss beabsichtigte – Unübersichtlichkeit: Wer ist jetzt gerade wer? Die Bühne ist ein zunächst ausgangsloser, nach hinten sich verengenden, grauer und völlig leerer Schacht (Bühne und Köstume: Jennifer Hörr), der, apropos inszenierungsgeschichtliche Verortung, auch als Reminiszenz an den für den Sommernachtstraum maßgeblichen Regisseur Peter Brook verstanden werden könnte (bei ihm war’s ein leerer weißer Raum). Außerdem verschärft die Regie noch Shakespeares Jargon: Schon der Autor lässt die verliebten Athener in einfachsten Versen leiern und Phrasen dreschen – Mehler setzt prollige Sprechweise, derbe Sprüche und zotiges Auftreten obendrauf. Und schließlich besetzt er auch die Frauenrollen mit Männern – so werden fürs Publikum aus Liebesverirrungen auch noch Gender-Wirren.

Dieses Durcheinander und die teils sehr deutlichen Sex-Szenen waren einigen Zuschauern zu viel – nicht wenige verließen während des Stücks die Vorführung, während eine andere Fraktion ihrer Begeisterung mitunter per Szenenapplaus Luft machte. In der Tat war die schauspielerische Leistung fulminant. Gegen die These, dass man einer Schwulenkomödie beiwohnte, spricht zum Beispiel die Leistung von Sebastian Baumgart und David Dumas, die ihre Frauenrollen, wie drastisch sexuell auch immer, so differenziert zu deuten wissen, dass keine Spur von „Männer-in-Frauenkleidern“-Peinlichkeit aufkommen kann, sondern, im Gegenteil, ein Gender-übergreifendes Gefühl entsteht: Eigentlich doch völlig nebensächlich, ob es um Mann/Mann, Frau/Frau oder Mann/Frau geht!



Die Antwort auf unsere Fragen – ein Schulterzucken




S
hakespeares Komik aufzufrischen gelingt Mehler auch durch andere Feinheiten der unfeinen Art: Etwa, wenn im Zug der fortschreitenden Verwirrung die Reaktion anfangs der Helena, später von immer mehr Beteiligten sich auf ein sprachlich stark reduziertes, dafür umso öfter wiederholtes „Häh?“ beschränkt. Am Ende senkt sich, vielleicht etwas zu schnell und unvermittelt, ein mit Hieronymus Boschs „Garten der Lüste“ bebilderter Vorhang vor dem Geschehen und die depperte Schauspielertruppe darf ihre himmelschreiend primitive Sicht auf das ewige Liebesproblem darlegen: Zwei Tote innerhalb weniger Minuten sind da zu verbuchen, was den Beweis dafür liefern könnte, dass ein deftiger Sinnesrausch dann doch die bessere Lösung, eine Komödie auf jeden Fall dem Drama vorzuziehen ist.

Wie wir das jetzt alles interpretieren sollen? Ist’s der Elf Puck oder König Theseus (beide: Anton Koelbl), der stumm und bewegungslos das Publikum lange auf Antwort warten lässt?  Fragen bleiben schließlich: Kann diese Inszenierung verstehen, wer den Text nicht kennt? Wurde Shakespeare zu sehr „verrätselt“? Und warum spricht der Narr aus „Was ihr wollt“ das Schlusswort?  Puck/Theseus sagt nichts, zuckt nur mit den Achseln – Licht aus. Das könnte auf Shakespearisch heißen: Wir haben die Fragen gestellt, die Antworten müsst ihr finden. Viel Applaus und danach viele angeregte Diskussionen über einen starken, mit- und bisweilen hinreißenden, in jedem Fall sehenswerten Shakespeare.

Foto oben:  Mann oder Frau – ist das denn wichtig? Hauptsache zupackend! Alexander Darkow als Demetrius, David Dumas als Helena und Tjark Bernau als Lysander.

Foto unten: Tolle Schauspieler spielen dämlich-unfähige Schauspieler: Von links Sebastian Baumgart, Gregor Trakis, Klaus Müller, Alexander Darkow, Tjark Bernau, David Dumas; im Hintergrund Anton Koelbl als Puck (Fotos: Kai Wido Meyer).