Stadtregierung: Eine 100 Tage-Bilanz der DAZ
Nach nicht ganz 100 Tagen zog die neue Stadtregierung mittels einer neunundzwanzigseitigen Presseerklärung eine Art Bilanz und ließ mit Verlautbarungen der einzelnen Referenten anklingen, wie es in naher Zukunft weitergehen soll.
Eine Analyse von DAZ-Herausgeber Siegfried Zagler
Die neue Stadtregierung im Augsburger Rathaus lässt noch keine Handschrift erkennen und hat sich mit der Aufwandsentschädigungsaffäre selbst schwer beschädigt
Zusammengefasst stehen die Themen Asylunterkünfte, Schulsanierungen, Neustrukturierung der städtischen Altenhilfe, Sanierung des Theaters (Großes Haus), Überführung des Klinikums zur Universitätsklinik, Schaffung von bezahlbarem Wohnraum und der Fortgang des Hauptbahnhof-Umbaus „an oberster Stelle des Arbeitsprogramms“, wie es im Text von Oberbürgermeister Kurt Gribl heißt. Nichts Neues also: In Augsburg wird unter der Ägide Gribl gebaut, saniert und überführt.
„Mit CSU, SPD und den Grünen haben die drei stärksten Fraktionen im Rathaus politische und gestalterische Verantwortung für die Stadt übernommen. Entsprechend sind auch die Referate besetzt. Eine solche Konstellation steht für Konsens, nicht für Ausgrenzung. Ich bin der Auffassung, dass im Rathaus einer Stadt die Sacharbeit an erster Stelle stehen muss. Da kann es nur von Vorteil sein, parteiübergreifend gemeinsame Ziele zu vereinbaren. Das haben wir getan und zwar so, dass sich alle Partner mit ihrer ganz speziellen Handschrift in den interfraktionellen Kooperationsvereinbarungen wiederfinden“, so Kurt Gribl mit Blick auf die mittelfristige Planung der Stadtpolitik. Dass die Stadtregierung mit ihren erfahrenen „Bauministern“ Kurt Gribl und Gerd Merkle in der Lage sein sollte, ein Sanierungs- und Bauprogramm abzuarbeiten, sollte selbstverständlich sein. Wie sieht es aber mit der politischen Bilanz der ersten 100 Tage aus? Die Antwort ist eindeutig: Sie fällt schwach aus!
I
Mit der Aufwandsentschädigungsaffäre hat sich die CSU/SPD-Regierungskoalition ohne Not, aber mit unvergleichlicher Dreistigkeit dergestalt selbst bereichert, sodass man sich in den ersten 100 Tagen gegen den Eindruck wehren muss, dass die Stadt Augsburg von Politikern „regiert“ wird, die nicht mehr im Sinn haben als ihr eigenes Fort- und Auskommen. Schlechter kann man sich in der Politik selbst nicht darstellen. Der beißende Geruch dieser Affäre wird den verantwortlichen Fraktionsvorstehern sehr lange in den Kleidern stecken. Kurt Gribls Credo, dass in dieser Stadtratsperiode die Sacharbeit im Mittelpunkt stehe, erhielt somit den Anstrich eines Selbstbedienungsladens.
II
Vom gebeutelten Führungspersonal des Zentralklinikums kamen deutliche Signale, dass die ökonomische Sanierung des Klinikums auf Kosten des Personals und somit zwangsläufig auf Kosten der Patienten gehe. Bis zu diesem Zeitpunkt galt das von Alexander Schmidtke vorangetriebene Projekt als politische Erfolgsstory, die in den zurückliegenden Wochen die ersten großen Dellen erhielt. Chefsanierer Schmidtke räumte eigene Fehler ein. Kurt Gribl, der Schmidtke einsetzte und ihm weiter den Rücken stärkt, musste in seinen zweiten 100 Tagen Krisengespräche moderieren.
III
Die Affäre „WM-Feier in der Maximilianstraße“ offenbarte einen leichtfertigen Umgang des Ordnungsreferenten mit der Sicherheit des öffentlichen Raums. Beschädigt wurden nicht nur die Kunstschätze der Brunnen, sondern in erster Linie das Vertrauen in Ordnungsreferent Dirk Wurm, der im Nachgang dieser Veranstaltung die Vorgänge und Risiken der Beteiligten kleinredete. Wäre eine Person oder mehrere Personen (schwer) verletzt worden, während sich Wurm feiernd unter den 20.000 Flashmobbern befand, wäre Wurm als Ordnungsreferent kaum noch zu halten gewesen. Man hätte in diesem (glücklicherweise nicht eingetretenen) Fall vom „Reiser-Effekt“ sprechen müssen. Ein über Stunden hinweg rechtsfreier Raum im Stadtzentrum ist auch nach dem Gewinn einer Fußball-WM kein gutes Zeugnis für eine Stadtregierung.
IV
Die Augsburger Stadtbücherei ist eine Dauerbaustelle, aber nicht nur wegen der personellen Unterbesetzung dieser städtischen Einrichtung. Es mangelt an allen Ecken und Enden. Kurt Idrizovic („Freunde der Stadtbücherei“) spricht von einer „Krise“, weil das neu erstellte Konzept unterlaufen werde. Von vier Schulleitern wurde in der „AZ vor Ort – Lechhausen“ die temporäre Schließung der Lechhauser Stadtteilbücherei kritisiert. Lösungen seien gefragt, so der Grundton dieser Berichterstattung. Der zuständige Referent dafür ist Hermann Köhler, der nach der Neuausrichtung der Referate nun auch für die Stadtbücherei zuständig ist. Köhler ist nach der Wahl mehr als ein „Schulsanierungsreferent“. Die Stadtbücherei ist durch den teuren Neubau zu einem politischen Thema erster Güte geworden. Die mobile Bücherei, der städtische Bücherbus steht im August ebenfalls still. Von Köhler war in Sachen Stadtbücherei bisher nichts zu hören.
V
Das Gleiche lässt sich zu Reiner Erben sagen, der sich ebenfalls noch in seiner Rolle als Integrations- und Nachhaltigkeitsreferent der Stadt Augsburg finden muss. Dass sich Newcomer Erben als Umweltreferent Zeit zur Einarbeitung nimmt, ist verständlich, dass er aber als Grüner nach drei Monaten immer noch nicht genau weiß, wie es mit Kresslesmühle weitergehen soll, ist befremdlich. Erben hat als führende Kraft der Opposition von der Stadtregierung stets Konzepte eingefordert, weshalb man neugierig sein darf, wie Erben die Bereiche Frieden, Interkultur, Integration und bürgerschaftliches Engagement konzeptionell trennen beziehungsweise zusammenführen will. Die komplexen Bereiche „Integration/Interkultur“ und „Nachhaltigkeit“ gehören nun zum Job des Grünen Umweltreferenten, der zu den Vorgängen auf der aggressiven Anti-Israel-Demonstration in erster Linie durch sein hartnäckiges Schweigen auffiel. Es handelt sich nämlich in der Tat um einen unerträglichen Vorgang, wenn auf dem Augsburger Rathausplatz eine große Demonstration mit einer antisemitistischen Grundfärbung stattfindet und der dafür zuständige Referent schweigt, aber nach der Sommerpause Experten zu Diskussionsrunden zusammenführen möchte. Das ist keine Haltung. Dass in dieser Angelegenheit der einfache Stadtrat Peter Grab im Alleingang mit seiner Muse Anna Tabak den Mut aufbringen musste, eine erfolgreiche Gegenveranstaltung zu organisieren, ist ein schwerer Makel in Erbens Bilanz der ersten 100 Tage. Interessant ist in diesem Zusammenhang ebenfalls der Umstand, dass innerhalb der Regierungsfraktionen nur der Grüne Stadtrat Cemal Bozoglu auf seiner Facebookseite (!) ein sehr engagiertes Statement abgab. Falls die Stadt Augsburg gegenüber dem großen nationalistischen Erdogan-Block keine entschiedene Sprache und Haltung findet und sich in Augsburg innerhalb der großen türkischen Community eine antisemitische Grundstimmung breitmachen sollte, wäre zu konstatieren, dass die städtische Integrationspolitik gescheitert ist.
VI
Mit Thomas Weitzel sitzt nun knapp 100 Tage ein Experte in Sachen Kultur in der Stadtregierung. Weitzel ist Kulturreferent und hat mit dem Nachlass der Ära Grab zu kämpfen. Er muss aufpassen, dass er in der Kulturpolitik den Hut aufhat und nicht ins Räderwerk der Fraktionen gerät. Die Signale, die Weitzel im Background aussendet, geben Anlass zur Hoffnung, dass sich die Kulturpolitik in Augsburg zum Besseren wendet. Weitzel hat den abstrusen Vordirigierwettbewerb „Wer wird Generalmusikdirektor“ gestoppt und eine Neuausschreibung gestartet. Er hat mit diversen Personalrochaden Priorisierungen erkennen lassen und das von den Grünen geforderte Hearing zur Zukunft des Theaters eingetütet. In Sachen Theatersanierung hatte Weitzel ebenfalls keine Zeit zur Einarbeitung. Wenn die Fragen des Theaterbetriebs während der Sanierungsarbeiten geklärt sind, sollte das Projekt ohnehin in Gänze dem Baureferat zugeschrieben werden. Mit der „schwierigsten aller Personalien“, nämlich mit Bertolt Brecht, hat er ganz andere Pläne als sein Vorgänger Grab. Es sieht derzeit so aus, als könnte sich Weitzel damit durchsetzen. Was bei Weitzel bisher in den ersten 100 Tagen fehlte, ist die klare Ansprache. Einem parteilosen Newcomer aus dem Kulturamt sollte man das in den ersten 100 Tagen nachsehen. Langfristig ist zu sagen, dass Kompetenz in der Öffentlichkeit nicht über Umsetzungsintelligenz, sondern über klare Ansprachen wahrgenommen wird. Aus dem Kulturreferat kamen in den ersten 100 Tagen jedenfalls vielversprechende Signale.
VII
Der neue Sozialreferent Stefan Kiefer war als OB-Kandidat die Hoffnung der SPD, die als große Verliererin aus der Stadtratswahl hervorging. Kiefer musste diese politische Niederlage nicht nur persönlich verdauen, sondern auch zusehen, dass daraus kein persönlicher Niederschlag aus den Reihen der Parteifreunde folgte. Kiefer ist seit dem 2. Mai nun mit sehr unterschiedlichen Aufgabenstellungen beschäftigt. Zum einen muss er in seiner Eigenschaft als Sozialreferent dafür sorgen, dass das soziale Profil der Stadt an Schärfe gewinnt, zum anderen muss er in seiner Eigenschaft als Bürgermeister dafür sorgen, die Stadt angemessen zu vertreten. Er muss (hinter vorgehaltener Hand) mit der Bedeutsamkeit dieser beiden Ämter versuchen, die verlorene Reputation der SPD ein wenig zu reparieren. Kiefer war und ist der einzige SPD-Politiker mit Format. Falls er es nicht versteht, in seinen Ämtern zu glänzen, droht die SPD in die Bedeutungslosigkeit abzugleiten. Der aktuelle Eindruck: Kiefer muss zwischen einem starken Oberbürgermeister und einer schwachen SPD seine Rolle noch finden.
VIII
Die neue Finanzreferentin/Wirtschaftsreferentin machte in einer großformatigen Anzeige für eine Brauerei in Zusmarshausen Werbung und sorgte damit für Unmut bei der Opposition und Kopfschütteln in der Stadtgesellschaft sowie bei Augsburger Brauern. Kurt Gribl verteidigte den Fauxpas mit der Feststellung, dass auch er kein Problem hätte, für heimische Produkte zu werben. Wo fängt bei Kurt Gribl ein heimisches Produkt an? Zusmarshausen ist eine halbe Autostunde entfernt.
IX
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es sich beim Kollegialorgan Stadtrat um ein von der Stadtgesellschaft gewähltes Gremium handelt, das in erster Linie von Parteipolitikern besetzt wird. Aus diesem Grund hat auch eine politische Bewertung zu erfolgen. Die Grünen sind ihrer moderaten Ja- und Neinsager-Rolle weder das gute Gewissen der Stadtregierung noch ein Teil der Opposition. Sie sind, so die Einschätzung der DAZ, auf dem besten Weg in die Belanglosigkeit eines Juniorpartners. Die SPD befindet sich in Augsburg im Zustand der Selbstauflösung. Die SPD-Fraktion im Rathaus scheint diesen Prozess beschleunigen zu wollen. Ordnungsreferent Dirk Wurm (SPD) gab bisher keine gute Figur ab und Stefan Kiefer (SPD) müht sich redlich, ohne bisher Glanz verbreiten zu können. Hermann Köhler (CSU) hat mit der Stadtbücherei ein dickes Brett zu bohren, Reiner Erben (Grüne) außerhalb des Umweltressorts ein Tretminenfeld zu bestellen. Beide haben damit noch nicht angefangen. Thomas Weitzel hat das Zeug zu einem Topreferenten, muss sich aber politisch mehr zutrauen. Baureferent Gerd Merkle macht so weiter wie bisher, er führt seine Baustellen fort.
Oberbürgermeister Kurt Gribl ist der neue starke Mann in der Stadtregierung. Er hat sie in seiner jetzigen Form erfunden, um sich selbst zu stärken. Die Gegnerschaft in der eigenen Fraktion ist ruhig gestellt, die Rathausopposition ist nur noch im Kleingruppenformat vorhanden. Ruhiger lässt es sich politisch kaum arbeiten. Die Frage, die sich dabei aufdrängt: Welche Werke und Projekte mit Bedeutung sind jemals in aller Ruhe entstanden? Die aktuelle Konstellation hat bisher im negativen Sinne dazu geführt, dass sich die Regierungskoalition Dinge traut, die sie in einer normalen Konstellation nicht zu denken gewagt hätte. Gewicht existiert nicht ohne Gegengewicht. Bei einer Regierung ohne Opposition besteht die Gefahr, dass sie implodiert.
» Stadtregierung zieht 100 Tage-Bilanz (pdf, 72 kB)