Stadtrat schickt das Pulvergäßchen auf den historischen Prüfstand
Straßenumbenennungsantrag vertagt
Auf Wunsch des Ordens der „Barmherzigen Schwestern” und zweier weiterer Antragsteller soll der neue Platz, der derzeit an der ehemaligen Rückseite des Alten Hauptkrankenhauses entsteht, „Vinzenz-von-Paul-Platz“ heißen. Der Orden hat das Alte Hauptkrankenhaus von der Stadt erworben und baut das Gebäude aktuell in eine moderne Klinik um. Das an diesem neuen Platz angrenzende Pulvergäßchen solle, so der Wunsch des Ordens, umbenannt werden und ebenfalls den Namen des Schutzpatrons des Ordens tragen. Aus dem Pulvergäßchen soll der Vinzenz-von-Paul-Weg werden. Der Stadtrat stimmte dem ersten Anliegen der „Barmherzigen Schwestern“ zu. Der Straßenumbenennungsantrag, also der „Vinzenz-von-Paul-Weg“, wurde vertagt.
Hobby-historische Science Fiction
Grund dafür war eine mit viel Chuzpe vorgetragene Rede des Stadtrats Rainer Schönberg. Ein Vortrag, der auf einen anonym verfassten Artikel auf der Homepage des „Jüdisch Historischen Vereins“ verwies. Ein Verein, von dem es nicht viel mehr als eben diese Homepage und eine Postfach-Adresse zu geben scheint. Der Artikel ist ein Pamphlet eines Hobbyhistorikers über die Geschichte des Schießpulvers, das nicht in China, sondern möglicherweise in Augsburg erfunden worden sein soll. Und zwar von einem jüdischen Bürger mit grünem Turban namens Tipsiles, der mit seiner Erfindung die damaligen Belagerer in die Flucht getrieben haben soll. Aus dieser Legende sei der Name des Augsburger Pulvergäßchens herleitbar.
Schönberg folgerte daraus, dass das Pulvergäßchen eine große historische Bedeutung habe, die man als Stadt zu pflegen und nicht unter den Teppich kehren dürfe. Schönbergs Vortrag fußte eins zu eins auf den haarsträubenden Science-Fiction-Ausführungen des anonymen Autors auf einer Homepage – und dennoch ließ Schönberg einen leicht irritierten, aber nicht unbeeindruckten Stadtrat zurück. „Herr Süßmair, in Ihrer Haut möchte ich nicht stecken, nun haben Sie die Wahl zwischen Katholizismus und der Erfindung des Schießpulvers“, so OB Kurt Gribl, der den Linken Stadtrat mit dieser Bemerkung hochzog, weil Süßmair kurz davor gegen die Stadt gewettert hatte, da sie beim Innovationspark dafür sorge, dass sich in der „City of Peace“ die Rüstungsindustrie niederlasse.
Das Stadtarchiv soll die historische Relevanz des Pulvergäßchens prüfen
Der Stadtrat hat nun die Verwaltung beauftragt, zu prüfen, ob an der Geschichte mit dem Juden Tipsiles etwas dran ist, um sich nach der Sommerpause erneut dem Umbenennungswunsch der Barmherzigen Schwestern zu widmen. Die Historiker des Stadtarchivs sollen die historische Relevanz des Pulvergäßchens prüfen. Bisher ist nur eine zuverlässige Quelle bekannt. Christoph J. Haid schreibt in seinem Augsburger Straßennamen-Standardwerk aus dem Jahr 1833: „Das Pulvergäßchen hat seinen Namen von der daselbst im Jahre 1398 erbauten Stadt-Pulvermühle, welche der Rath 1434 nahe an das Oblatterthor verlegte. Im Jahre 1749 wurde diese Pulvermühle an die Straße nach Friedberg durch Phil. Jakob Dempfle transferirt.“ Da der Namensgeber des Pulvergäßchens, also die Pulvermühle nur 36 Jahre an dem Ort stand, an den heute das Pulvergäßchen erinnert, ist für das Vermessungsamt „die historische Bedeutung des Pulvergäßchens eher gering“, wie es in der Beschlussvorlage hieß. Man darf gespannt sein, ob sich die Historiker des Stadtarchivs dieser Bewertung anschließen.
» Jüdisch Historischer Verein Augsburg: Wie der Jude Tipsiles in Augsburg das Schießpulver erfand