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Freitag, 22.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Kommentar

Stadtrat: Bringt Moravcik die SPD zurück in die Spur?

Warum der Fraktionswechsel von Christian Moravcik interessant werden könnte

Kommentar von Siegfried Zagler

Ein Parteiaustritt eines angesehenen Politkers aus weltanschaulichen Gründen ist zu akzeptieren. Wenn sich Partei und Person im Lauf der Jahre auseinanderleben, dann ist es völlig in Ordnung, wenn ein gewählter Mandatsträger seine Partei verlässt und sein Mandat niederlegt, damit jemand aus der Liste dieser Partei nachrücken kann. Wechselt er aber die Partei und behält sein Mandat, dann ist das Wählerbetrug. Christian Moravcik ist von der Grünen Fraktion zur SPD-Fraktion gewechselt. Damit hat er alle Wähler veräppelt, die ihn 2014 auf der Grünen Liste gewählt haben. Wenn er gute Gründe für seinen Wechsel hat, dann sollte er sie seinen Wählern ausführlich erklären.

Wenn man von einer zukunftsfähigen Partei mit großen Zuwachsraten zu einer Partei wechselt, die im Sterben liegt, dann muss man gute Gründe haben – und die hat Christian Moravcik. Der Grüne Finanzexperte gilt als rigoroser Gegner der aktuellen Schuldenpolitik der Augsburger Stadtregierung. Wie er im großen DAZ-Interview vor einiger Zeit ausführte, sieht Moravcik die Finanzpolitik der Stadt Augsburg deshalb sehr kritisch, weil sie kommenden Generationen kaum noch politischen Handlungs- und Gestaltungsspielraum überlässt. Diese Position hat Moravcik als zentralen Punkt im Grünen Wahlprogramm 2014 ausgearbeitet. Doch kaum saßen die Grünen mit am Regierungstisch, fügten sie sich dem Schuldenprogramm der CSU/SPD. Noch nie hat sich die Stadt Augsburg stärker verschuldet und in politischer Übereinkunft mehr Personal eingestellt als in den vergangenen vier Jahren.

Die Grünen haben das nicht nur widerwillig mitgetragen, sondern durchaus auch forciert, indem sie bisher jedem Haushalt mit wohlwollenden Statements zugestimmt haben. Die Augsburger Grünen sind eine gesunde Partei mit einer lebendigen Mitgliederschaft, aber sie hat es zerrissen, als Oberbürgermeister Kurt Gribl die Fusion zwischen Erdgas-Schwaben und der Energiesparte der Stadtwerke anstrebte: Die Grüne Fraktion war mehrheitlich dafür, die Partei mehrheitlich dagegen. Moravcik war ein profilierter Fusionsgegner, der zusammen mit seiner (damaligen) Partei auch starke Anteile hatte, dass die Fusionsunternehmung an einem Bürgerentscheid scheiterte. Die damaligen Fronten gingen nicht zimperlich miteinander um, die Wunden sind längst vernarbt, aber nicht verheilt. Deshalb muss man aber nicht von den Grünen zur SPD wechseln.

Moravcik wurde von seiner Fraktion kaltgestellt. Nicht mehr als stellvertretender Fraktionsvorsitzender bestätigt und auch nicht wieder gewählt, als er sich kürzlich erneut um das Amt bemühte. Mit diesen Kränkungen kann und will er bei den Grünen nicht weitermachen. Das ist verständlich, doch da es ihn nun zu der „Walking-Dead-Fraktion“ namens SPD verschlagen hat, soll an dieser Stelle festgehalten werden, dass Moravcik kein Linker ist, sondern auch zur FDP passen würde. Ihn interessiert mehr das aktuell Machbare als die Vision dahinter. Die SPD ist für den ehemaligen Grünen aber gerade deshalb kein Problem, weil die SPD nämlich eine Politik macht, die genauso gut die CSU oder die FDP und ja natürlich auch die Grünen machen könnten. Eine kleinteilige Politik ohne große Versprechungen und ohne gesellschaftspolitische Visionen, eine Politik, die im Grunde immer nur auf gesellschaftliche Entwicklungen reagiert, aber eben keine (mehr) anstrebt.

Den größten Schmerz, den die Augsburger Grünen auszuhalten haben, hat ihnen Moravcik nun zugefügt. Sein Fraktionswechsel halbiert möglicherweise den Einfluss der Grünen im politischen Tagesgeschäft. Moravcik hatte seinerzeit als Grüner seinen Sitz im Finanzausschuss mit medienwirksamem Tam-Tam niedergelegt – aus Protest gegen die Schuldenpolitik des Regierungsbündnisses. Nun kehrt Moravcik wieder in den Finanzausschuss zurück – mit einem anderen Parteibuch, doch ohne dass sich etwas an der desaströsen Finanzpolitik des Dreierbündnisses verändert hätte.

Daraus lassen sich zwei Dinge schlussfolgern: Entweder ist Moravciks narzzistische Kränkung dergestalt schmerzvoll, dass ihm seine politische Glaubwürdigkeit unwichtig geworden ist und er nur noch von seinen Verletzungen und Rachegefühlen geleitet wird, oder die SPD und Moravcik sind einen Deal eingegangen. Letzteres ist zwar unwahrscheinlich, aber immerhin möglich.

So müsste der Deal aussehen: Die SPD verlässt das Regierungsbündnis und entschuldigt sich bei ihren Wählern für ihr Postengeschacher und ihre nicht mehr sichtbare sozialdemokratische Handschrift in der Stadt Augsburg, distanziert sich von Sozialreferent Kiefer, studiert ihr Wahlprogramm von 2014 und führt ihren ehemaligen Wählern und Sympathisanten mit einer knallharten Oppositionspolitik in den kommenden 15 Monaten die Defizite der Stadtregierung vor Augen. Das ist – by the way – nicht besonders schwer.

Würde das geschehen, hätte Moravciks Fraktionswechsel nicht den Ludergeruch des Wählerbetrugs, sondern einen tieferen Sinn. Der Gestaltungsverlust der SPD in einer Stadt wie Augsburg ist ein dramatischer Vorgang, der der politischen Stadt großen Schaden zufügt. Nur eine diskursfähige Sozialdemokratie ist in der Lage, den politischen Verfall der Stadt Augsburg zu entschleunigen. Die Augsburger SPD müsste sich dafür in jeder Hinsicht radikal erneuern. Mit Christian Moravcik hat die SPD nun einen Mann in ihren Reihen, der dieser Notwendigkeit einen Schub verpassen könnte.