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Donnerstag, 18.04.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Stadt erinnert an Reichspogromnacht

Am 9. November jährte sich zum 75. Mal die Reichspogromnacht, auch verharmlosend “Reichskristallnacht” genannt, weil unter anderem zahlreiche Scheiben jüdischer Geschäfte, Synagogen und Privathäuser zerstört wurden. Auch die Augsburger Synagoge brannte.



Angeblich hatte sich der Volkszorn entladen, als das am 7. November 1938 erfolgte Attentat des 17-jährigen Herschel Grynspan auf den Legationssekretär der Deutschen Botschaft in Paris, Ernst Eduard vom Rath, bekannt wurde. In Wahrheit jedoch waren die Pogrome von NSDAP und SA lange geplant und sollten die systematische Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Deutschen einleiten. Nicht nur Scheiben gingen zu Bruch, mehrere hundert jüdische BürgerInnen wurden getötet, Tausende in Konzentrationslager abgeführt, etwa 270 Synagogen wurden niedergebrannt oder verwüstet, jüdische Friedhöfe geschändet. Die Täter waren meist ortsfremde SA-Mitglieder. Weil der wirtschaftliche Schaden der Anschläge unermesslich hoch war, kam Göring auf die perfide Idee, die Opfer der Pogrome für die “Wiederherstellung des Straßenbildes” zahlen zu lassen. Für das Attentat des jungen Herschel Grynspan, der seinen Eltern zugefügtes Unrecht sühnen wollte, hatten die jüdischen BürgerInnen zusätzlich eine Sondersteuer zu entrichten.

Auch in Augsburg brannte die Synagoge. Die Inneneinrichtung wurde von etwa 30 Nationalsozialisten zerstört, die Synagoge angezündet. Die herbei gerufene Feuerwehr löschte den Brand jedoch, um die Nachbargebäude – private und kommunale Großbauten, sowie eine Tankstelle – zu retten. Während des Krieges wurde die Synagoge unter anderem als Requisitenlager des Stadttheaters zweckentfremdet. Bis Kriegsende wurden jüdische Bürger in sieben Transporten in die Konzentrationslager Auschwitz, Riga und Theresienstadt und in das Transit-Ghetto Piaski deportiert. Genaue Angaben über die Zahl der Überlebenden gibt es nicht. Nur wenige sind nach Augsburg zurück gekehrt.

Ein besonderer Zeitzeuge konnte gewonnen werden

In Erinnerung an die nationalsozialistische Schreckensherrschaft laden Oberbürgermeister Dr. Kurt Gribl und die Israelitische Kultusgemeinde Schwaben Augsburg zur gemeinsamen Gedenkstunde ein. In diesem Jahr konnte ein besonderer Zeitzeuge gewonnen werden. Es ist der Rabbiner Professor Dr. Walter Jacob, Pittsburg/USA. Er hat als 8jähriger Knabe1938 in Augsburg die sogenannte „Reichskristallnacht“ und ihre Folgen miterlebt, weil sein Vater Ernst Jacob zu dieser Zeit der Rabbiner in der Augsburger Synagoge in der Halderstrasse war. Der Familie gelang nach 1938 die Flucht in die USA, wo Walter Jacob in der langen Tradition seiner Familie ebenfalls zum Rabbiner ausgebildet und zu einem der bedeutendsten Vertreter des liberalen Judentums weltweit wurde. Er hatte maßgeblichen Anteil an der Wiederbelebung des liberalen Judentums in Deutschland und der Gründung des Abraham-Geiger-Kollegs in Potsdam, als dessen Präsident er die ersten im Nachkriegs-Deutschland wieder ausgebildeten Rabbiner ordiniert hat. Die Veranstaltung findet heute Abend in der Augsburger Synagoge statt.