Staatsregierung: Gribl kritisiert Koalitionsvertrag
Trotz des CSU-Desasters bei der Landtagswahl ist Markus Söder wieder Ministerpräsident, trotz erosionsartiger Verluste kann er weitermachen wie gewohnt, nämlich im Eilschritt: Am Freitag vor einer Woche fanden die Koalitionsverhandlungen mit den Freien Wählern ihr Ende. Am Sonntag wurde der Koalitionsvertrag von den Parteigremien abgesegnet, am Montag unterzeichnet. Am Dienstag wurde Söder vom Landtag als Ministerpräsident wiedergewählt.
Von Siegfried Zagler
Obwohl das desaströse CSU-Wahlergebnis kaum mehr als drei Wochen zurückliegt, hat Söder mit seiner Sündenbockstrategie (“Berlin ist schuld”) das politische Erdbeben in Bayern (10,5 Prozentpunkte verloren, auf 37,2 Prozent gesunken) offenbar unbeschadet überstanden. So scheint es zumindest, wenn man in die zufriedenen Mienen von Markus Söder und seinem Koalitionspartner Hubert Aiwanger blickt. Man könne ein stabiles “Weiter so” anbieten. Auch von seinen Hau-Ruck-Aktionen und Wahlkampf-Versprechungen, die Aiwanger noch vor der Wahl verspottete, muss Söder nicht abrücken: Kreuze, Grenzpolizei und Raumfahrtprogramm mögen gestrig und lächerlich wirken: Diese Maßnahmen bleiben bestehen. Nicht einmal beim Familiengeld muss Söder Zugeständnisse machen. Die Freien Wähler, die eine kostenfreie Kinderbetreuung als Bedingung für eine Koalition mit der CSU in Stein gemeißelt hatten, gaben diese Position auf und nickten ab, dass es zum Familiengeld lediglich 100 Euro pro Monat mehr für die Kinderbetreuung geben soll.
Grüne Überschriften, pechschwarze Inhalte
Die Opposition im Landtag kritisiert den Koalitionsvertrag scharf. Es gebe keine Visionen, keine gesellschaftlichen Zielvereinbarungen, es gehe einfach so weiter wie bisher. Die Grünen sehen zwar “grüne Überschriften, aber nur pechschwarze Inhalte”, so Landeschefin Sigi Hagl. Lippenbekenntnisse zum Artenschutz, keine Agrarwende, keine ernsthafte Begrenzung des Flächenverbrauchs. Das einzig Konkrete sei die Zahl, dass die CO₂-Emissionen bis 2050 auf weniger als zwei Tonnen pro Jahr und Einwohner herunterzuschrauben sind. “Zurzeit seien es 5,6 Tonnen”, wie die Süddeutsche vom Umweltministerium erfuhr. 2050 wird Söder seinen 83. Geburtstag feiern. Niemand wird ihn zur Rechenschaft ziehen, wenn das Ziel nicht erreicht werden sollte.
Ein großes Rauschen von Wollen und Sollen
Der Rest ist nach Auffassung der Opposition ein großes Rauschen von “Wollen und Sollen”. Ein Beispiel von vielen: “Wir wollen sorgsamer mit der Fläche umgehen”, wie es im Koalitionsvertrag heißt. Man wolle also den Flächenverbrauch auf die fünf Hektar pro Tag reduzieren, die die Grünen in ihrem nicht zugelassenen Volksbegehren anvisiert hatten. Söder, Aiwanger und Co. hatten diesen Wert vor der Wahl noch als “illusorisch” bezeichnet, deshalb ist wohl im Regierungssprech von einer anzustrebenden “Richtgröße” die Rede. Außerdem sollen zehn Prozent der staatlichen Waldflächen dauerhaft nicht mehr bewirtschaftet werden. Ein Beleg dafür, wie wenig diese Regierung will: Zehn Prozent werden in den Bayerischen Staatsforsten schon lange nicht mehr bewirtschaftet, was man auf der Internetseite der Bayerischen Staatsforsten erfahren kann. Vieles im Koalitionsvertrag lehnt sich am bereits Vorhandenen an, wie die Ausgaben für den sozialen Wohnungsbau. Gänzlich nebulös sind die Formulierungen bei der Pflege. “Wir schaffen die Bedingungen für eine menschenwürdige und liebevolle Pflege”, heißt es im Papier, ohne dass angeführt wird, wie das Fachpersonal für 1000 neue Pflegeplätze und 500 Kurzzeitpflegeplätze geschaffen bzw. gefunden werden soll.
Kurt Gribl zählt zu den Kritikern des Koalitionsvertrags
Paradoxerweise zählt ausgerechnet Augsburgs Oberbürgermeister, der als CSU-Vize mit am Verhandlungstisch der Koalitionäre saß, zu den Kritikern des Koalitionspapiers. Zwar müsse man anerkennen, so Gribl diplomatisch, dass es eine Leistung sei, innerhalb eines kurzen Zeitkorridors so viele Ziele zu Papier zu bringen. Allerdings seien manche Ziele formuliert, “ohne dass wir wissen, wie sie umgesetzt werden sollen und welche Rolle dabei die Kommunen zu spielen hätten”, so Kurt Gribl (CSU) in seiner Eigenschaft als bayerischer Städtetagspräsident und Augsburger Oberbürgermeister. Wie zum Beispiel der soziale Wohnungsbau und das Versprechen eines 365-Euro-Jahrestickets des ÖPNV für Großstädte finanziert werden sollen, sei nicht hinterlegt.
“Wenn bei der Kinderbetreuung die Beitragsfreiheit kommt, darf dies nicht zu Lasten der Städte und Gemeinden gehen”, so Gribl. Die Kommunen hätten ohnehin mit dem Ausbau der Kinderbetreuung starke Herausforderungen zu bewältigen. Der Freistaat müsse sich aus Sicht des bayerischen Städtetages stärker für eine beschleunigte Ausbildung von Erziehern einsetzen. Richtig hilfreich wären auch aus der Sicht der chronisch klammen Städte eine deutliche Zuschusserhöhung des Freistaats für die kommunalen Betriebs- und Personalkosten, die bisher zirka zu einem Drittel von den Haushalten der Kommunen bezahlt werden.
“Über all dem schwebt die Frage der Finanzierung …
“Besonders brennen den Städten die Themen Schaffung von Wohnungen und Mobilisierung von Bauland für günstigen Wohnraum, Verbesserung der Mobilität und des öffentlichen Nahverkehrs, Bildung und Kinderbetreuung, die Digitalisierung, ein leistungsfähiges Netz an Glasfaser-Datenverbindungen und Mobilfunk auf den Nägeln. Über all dem schwebt die Frage nach der Finanzierung dieser großen Herausforderungen.” So Gribl wörtlich auf der Homepage des bayerischen Städtetages. So drastisch hat noch nie ein CSU-Vize ein Politikkonzept einer bayerischen Regierungsmannschaft kritisiert, die am kommenden Montag vereidigt werden soll.
… die Mittel werden in der Praxis nicht genügen”
Auch bei der Verbesserung der Infrastruktur der Schulen seien viele Fragen im Koalitionsvertrag nicht behandelt. “Damit alle Kinder in allen Schulen Bayerns gleiche Chancen erhalten, braucht es einheitliche Standards für das digitale Klassenzimmer und ein pädagogisches Gesamtkonzept”, so Gribl im Stil eines Oppositionspolitikers. Als ungenügend bezeichnete Gribl auch die Ausgleichszahlungen für die abgeschafften Straßenausbaubeträge, die in regelmäßige Beitragszahlungen umgewandelt wurden. “Der Koalitionsvertrag stellt zwar Mittel in Höhe von 100 Millionen Euro im Jahr 2019 und 150 Millionen Euro im Jahr 2020 in Aussicht, allerdings werden die Mittel in der Praxis nicht genügen”, so Gribl. Auch das angekündigte Förderprogramm zur Sanierung kommunaler Schwimmbäder sei ungenügend.