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Mittwoch, 02.10.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Theater: Soviel Aufbruch war selten

Der neue Spielplan des Augsburger Theaters ist auf der Höhe der Zeit

Von Frank Heindl



Geschichte und Gegenwart: Mit dem Theaterabend „Operation Big Week“ als künstlerischer „Mahnwache“ werden Neonazi-Aufmärsche nicht nur vor, sondern auch im Theater in den Blick geraten.


„Intolleranza 1960“ – Luigi Nono schrieb das Entstehungsjahr in den Titel seiner Oper. Bei einem Stück, das zeitbezogen gemeint war, aber mittlerweile auch schon gut 50 Jahre auf dem Buckel hat, muss man einen gewissen Aktualitätsverlust befürchten. Weit gefehlt: Das Mammutprojekt, mit dem Intendantin Juliane Votteler in die Musiktheater-Saison 2013/14 starten wird, passt mit seinem Appell an Toleranz und Mitmenschlichkeit ebenso in die Gegenwart wie mit seinen kritischen Tönen gegen Fremdenfeindlichkeit, Aufrüstung, Fanatismus und seiner Aufforderung zum Widerstand – viele große Worte und Ansprüche, deren Inszenierung und Deutung nicht nur den Regisseur Ludger Engels, sondern Vottelers gesamtes Haus vor eine schwierige Aufgabe stellt.

„Think big“ scheint dabei Vottelers Losung nicht nur in der konkreten Planung der Oper zu sein, sondern auch, was Wirkung und Bedeutung für Augsburg und sein Publikum anbelangt. Es gehe ihr mit diesem und anderen Aspekten des Spielplans für die nächste Saison auch um die „Öffnung des Hauses in die Stadt hinein“, betont die Intendantin – und greift damit eine Forderung auf, die in letzter Zeit vielfach ans Augsburger Theater gestellt wurde. Um diesen Anspruch zu unterstreichen, wird „Intolleranza“ unter anderem von einem Symposium und „performativen Aktionen“ begleitet. Wegen des großen Aufwands kann die Inszenierung nicht, wie sonst üblich, über die Spielzeit gespielt werden – stattdessen gibt es einen Block von acht Aufführungen zwischen 27. September und 12. Oktober.

Zeichen von Aufklärung und Widerstand

Spielplan 2013/14 im Terminkalenderformat

Spielplan 2013/14 im Terminkalenderformat


Nonos „Intolleranza 1960“ ist aber längst nicht die einzige Inszenierung, in der sich die Eingangstüren des Großen Hauses am Kennedyplatz wie auch der Brechtbühne weit öffnen für Gegenwärtiges. Die erste Premiere der nächsten Spielzeit ist mit Henry Ibsens „John Gabriel Borkman“ von 1896. Regisseur Anaraki hätte die Chance, aus dem Drama um den gescheiterten Banker und Spekulanten allerlei naheliegenden Gegenwartsbezug herauszuholen – muss er aber nicht, denn dafür bietet auch der weitere Spielplan vielerlei Möglichkeiten. „Mein Freund der Baum“ etwa, eine Performance, für die Schauspieldirektor Markus Trabusch die Gruppe „SKART“ aus Gießen engagiert hat. Das „postdramatische Performance-Kollektiv“ entstammt dem Gießener Studiengang für angewandte Theaterwissenschaft, der solche bahnbrechenden Ensembles wie „She She Pop“, „Rimini Protokoll“ und „Monster Truck“ hervorgebracht und beeinflusst hat. „SKART“ will in Augsburg ein Stück auf die Brechtbühne bringen, in dem es um die Geschichte und Gegenwart von Protestkulturen gehen soll.

Auch Hans-Werner Kroesinger hat in Gießen studiert und gehört mittlerweile zu den wichtigsten Vertretern des so genannten dokumentarischen Theaters. Den Regisseur haben Trabusch und Votteler für ein heikles Thema engagiert: Er wird mit „Operation Big Week“ einen Theaterabend zur Augsburger Bombennacht inszenieren. Auch bei diesem Stück sieht Juliane Votteler einen Wirkungsanspruch, der deutlich über die Bretter der Brechtbühne hinausreicht: sie spricht von einer Art künstlerischer „Mahnwache“, die nicht nur Vergangenheit analysieren, sondern Gegenwart beeinflussen soll – Votteler hat dabei jene Neonazi-Aufmärsche im Blick, die regelmäßig zu diesem Datum direkt vor den Fenstern ihres Theaters stattfinden und denen sie ein deutliches Zeichen von Aufklärung und Widerstand entgegensetzen möchte.

Ein Theater der Einmischung, das öffentliche Belange diskutiert

Damit noch immer nicht genug: Mit „Res Publica“ (Premiere im Mai 2014) steht ein weiterer eher schwer kalkulierbarer Posten im Neuen Spielplan – so schwer kalkulierbar, dass es noch keinen Aufführungstermin und auch keine weiteren Angaben im Spielplan gibt. Ein Künstlerkollektiv aus Berlin, so viel steht fest, soll in der Brechtbühne ein „theatrales Projekt“ verwirklichen, in dem von der Augsburger Firma Kuka ausgeliehene Industrieroboter eine tragende Rolle spielen – ebenso wie menschliche Stimmen und eine Tänzerin. Und der Titel, man könnte ihn mit „Republik“ ebenso wie mit „öffentliche Belange“ übersetzen, lässt vermuten, dass auch hier ein gewisser Bezug zu Gegenwart und Politik entstehen könnte – und in Augsburg ein Theater der Einmischung.

Soviel Gegenwart und Einmischung in aktuelle Probleme – wie steht’s mit dem kulturellen Erbe, dessen Bewahrung sich die Theater doch ebenfalls auf die Fahnen geschrieben haben? Der neue Spielplan kann auch in dieser Hinsicht zufriedenstellen: Neben Ibsen steht auch eine der absoluten Größen der Theatergeschichte auf dem Programm – von William Shakespare wird im Großen Haus in knapp einem Jahr (Premiere am 5. April 2014) der „Hamlet“ zu sehen sein, Markus Trabusch wird ihn inszenieren. Ebenfalls unter der Regie des Schauspieldirektors kommt schon im Oktober ein „bayerischer Klassiker“ auf die Bühne: „Der Brandner Kaspar und das ewig‘ Leben“.

Im Zentrum bürgerschaftlicher Debatten

Daneben gibt es – nach den Erfolgen mit dem „wunderbaren Waschsalon“ und dem „Weißen Album“ – einmal mehr einen vom Schauspielensemble präsentierten Liederabend unter dem Titel „Die Bekenntnisse der Marion Krotowski“, inszeniert von Schauspieler Friedel, der in der laufenden Saison als Mackie Messer im Gastspiel der Dresdener Dreigroschenoper zu sehen war. Apropos Brecht: Zum Brechtfestival wird im Großen Haus diesmal „Der gute Mensch von Sezuan“ zu sehen sein. Und dann gibt es im kommenden Februar noch „Verrücktes Blut“  – nochmal ein sehr aktuelles Thema: In der Produktion aus dem Berliner Theater „Ballhaus Naunystraße“ geht es darum, grob gesagt, wie man Migranten deutsches Kulturgut vermittelt. Und ob man das überhaupt muss. Und ob man, wenn’s dabei Schwierigkeiten gibt, auch eine Waffe verwenden und Geiseln nehmen darf. In der vergangenen Saison hätte man in Augsburg gerne ein Gastspiel der Berliner gehabt – das ließ sich nicht verwirklichen, nun inszeniert man selbst.

Ein Theater, das keinem Brennpunkt ausweicht, wünschen sich viele Augsburger. Ein Theater, das sich selbst in den Brennpunkt sozialer, bürgerschaftlicher, politischer Konflikte und Debatten stellt – es wäre genau die passende Entwicklung, um die Rede vom verkrusteten, abgeschotteten, nur noch der Vergangenheit anhängenden Theater Lügen zu strafen. Viele in dieser Hinsicht kritische Stimmen werden mit Vottelers neuem Spielplan zunächst einmal verstummen. Abzuwarten gilt es nun, ob die künstlerische Umsetzung den hoch gesetzten Ansprüchen gerecht werden wird. Und, vor allem, ob das Publikum mitzieht. Die Zahl der Abonnenten ist letzthin gestiegen, dem Augenschein nach allerdings zunächst wegen Robert Conns erfolgreichem Ballett. Die Hoffnung wäre, dass der engagierte Kurs des Theaters neues Publikum anspricht. Soviel Aufbruch lohnt sich ja nur, wenn viele mitkommen.

» Spielplan 2013/14 (pdf 4,2 MB, via Theater Augsburg)



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