Moderne Musik: Publikum feiert Stadttheater Augsburg
Solaris: Die Entdeckung unserer Abgründe
Mit der deutschen Erstaufführung der Oper „Solaris“ von Dai Fujikura wird die Bühne im Martinipark zur Raumstation – und somit zu einem Kunstwerk, das uns in die Tiefen unserer Abgründe blicken lässt
Von Halrun Reinholz
Über die ganze Bühnenbreite ein Guck-Kasten in der Form eines Eisenbahnwaggons. Auf Stelzen erhöht und fahrbar – so viel Bühnentechnik war schon lange nicht mehr im Martinipark. Die Konstruktion (Bühne: Robert Schweer) hatte den Vorteil, dass sich das Orchester mal wieder gefühlt im Orchestergraben befand. Mit dieser ungewöhnlichen Produktion – einer Oper nach dem Roman von Stanislaw Lem, die erst 2015 in Paris uraufgeführt wurde – löst das Theater Augsburg seinen Vorsatz ein, auch das zeitgenössische Musiktheater im Auge zu haben. Der Science-Fiction Roman von Stanislaw Lem erschien bereits 1961. Schauplatz der Handlung ist die Raumstation Solaris, die an einem rätselhaften Ozean liegt. Dieser spielt eine Schlüsselrolle für die Handlung, die mit der Ankunft des Psychologen Kris Kelvin (Wiard Witholt) einsetzt. Er stellt fest, dass die Forscher der Raumstation psychische Auffälligkeiten zeigen und wird auch selbst damit konfrontiert, dass ihm plötzlich seine längst verstorbene Frau Hari (Jihyun Cecilia Lee) begegnet, für deren Freitod er sich immer noch schuldig fühlt.
Auch die anderen Kollegen haben solche „Besucher“, Projektionen, die der Ozean aus den besonders traumatischen Erinnerungen der Forscher formt. So wird die Erforschung des Ozean-Rätsels vor allem zu einer Suche nach dem eigenen Ich. Kein Wunder, dass dieser dichte und kluge Roman bereits zahlreiche Bearbeitungen für die Bühne erfahren hat und auch zweimal verfilmt wurde (von Andrei Tarkowski 1972 und von Steven Soderbergh 2002). Doch auch als Opernsujet war er offenbar wiederholt reizvoll. 1996 wurde eine Kammeroper von Michael Obst bei der Münchner Biennale uraufgeführt. 2012 dann bei den Bregenzer Festspielen die Oper von Detlev Glanert. Die Oper des japanischen Komponisten Dai Fujikura setzt auf ein kleines Orchester und auf elektronische Verfremdungseffekte, die die komplexe Gefühlssituation der Charaktere ausleuchten.
Die Musiker unter der Leitung von Lancelot Fuhry haben sichtlich Spaß an der zwar weitgehend atonalen, aber sehr intensiven und vielschichtigen Musik, die mit der Bühnenaktion effektvoll abgestimmt ist. Dirk Schmeding inszeniert dicht, aber zurückhaltend, ohne überzogene Knall-Attitüden, die das Sujet durchaus hergegeben hätte. Auch die fast schon obligaten Videoprojektionen halten sich in Grenzen und sind deshalb umso wirkungsmächtiger. Stark die Leistung der Sänger, die durchgehend gefordert sind. Neben den Hauptdarstellern Roman Poboinyi als Snaur, Stanislav Sergeev als Gibarian überzeugt auch der Gast Alexander York mit der Off-Stimme von Kelvin, die den inneren Monolog der Figur psychologisiert und einfühlsam öffnet.
Der erstaunliche Effekt für die Zuschauer: Diese Oper ist unterhaltsam! Nur selten ist bei neuer Musik mit so einer enthusiastischen Publikumsreaktion zu rechnen, die schon bei der Premiere überraschte. Auch in der zweiten Vorstellung lang anhaltender Applaus für die Sänger, aber auch für ein in jeder Hinsicht spannendes Theatererlebnis.
Foto: Solaris im Martinipark (c) Jan-Pieter Fuhr