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Dienstag, 23.07.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Slapstick ohne innere Logik

Juli Zehs „Der Kaktus“ in der Brechtbühne

Von Frank Heindl

Premiere am Sonntag: Unter Fabian Alders Regie kam „Der Kaktus“ von Juli Zeh auf die Bretter der Brechtbühne – als Komödie zwischen Farce und Slapstick, ohne Identifikationsfigur, ohne Gut und Böse, ohne Happyend.

Die GSG9 tickt aus – der Gefangene bleibt cool. Klaus Müller als Dürrmann, der Sukkulent Gigantea saguaro als Terrorist.

Die GSG9 tickt aus – der Gefangene bleibt cool. Klaus Müller als Dürrmann, der Sukkulent Gigantea saguaro als Terrorist.


Wer es sich wie die junge Autorin Juli Zeh zur Aufgabe gemacht hat, den Überwachungsstaat in all seinen Facetten zu bekämpfen, der mag sich bisweilen sehr alleine vorkommen – und dann mag das Gefühl entstehen, dass alle spinnen: Vom kleinen Streifen­beamten über den knallharten GSG9-Mann und den altge­dienten Kommissar bis hin zu BKA, Verfassungs­schutz und dem ganzen „System“ haben in Zehs Stück alle einen gewaltigen Schuss, ausge­nommen ist da nur die Nachwuchs­polizistin Susi (Olga Nasfeter) – die hat dafür Abitur und die Klugheit mit Löffeln gefressen.

Einen Terroristen haben sie eingefangen, Gigantea saguaro mit Namen, haben ihn auf die Wache geschleppt, und nun wird er verhört. Zunächst vom übergeschnappten GSG9-Mann mit Star-Wars-Faible (Klaus Müller) und dem unterbelichteten, türkischstämmigen Jungpolizisten Cem (Toomas Täht). Dass der Angeklagte beim Verhör recht unkooperativ ist, mag an den Drohungen der Beamten liegen („Alles was Sie sagen, wird gegen Sie verwendet!“), vielleicht aber auch daran, dass die beiden im Übereifer des Gefechts statt eines gefährlichen Islamisten einen stacheligen Sukkulenten verhaftet haben – einen unter Naturschutz stehenden Kaktus, den die Natur schon zum Opfer geformt hat: Hilf- und wortlos steht er da, ergeben die Arme nach oben gereckt.

Harmloser Slapstick im Bürocontainer

Was folgt, ist zunächst harmloser Slapstick in liebevoll detailliert gestaltetem Ambiente: Nikolaus Frinke hat einen Bürocontainer auf die Bühne gestellt, unterm Megaphon ist der Aschenbecher versteckt, im Spind hat Cem nicht die obligatorische Kaffee-, sondern die seinem Migrationshintergrund geschuldete Teemaschine untergebracht. Wer Schmierpapier braucht, reißt es sich aus dem NSU-Ordner, wer gerade nichts Wichtiges zu tun hat, schreddert ein paar Akten. Durch die videoüberwachten Gänge draußen irrt, ausgesperrt und auf der Suche nach einem Starthilfekabel, Kommissar Wieser (Eberhard Peiker), dem die neue Zeit über den Kopf gewachsen ist: „Und dass ihr mir keine Dummheiten macht, Kinder!“ Und Polizeianwärterin Susi kann mit allerhand klugen Sprüchen aus dem Staatsbürgerunterricht gegen die geballte Ignoranz der beiden Männer nichts ausrichten.

Geständnisse erpressen, bis die Drähte schmoren: Klaus Müller, Toomas Täht, Olga Nasfeter und Ute Fielder (von links) bei der Elektrofolter (Fotos: Nik Schölzel).

Geständnisse erpressen, bis die Drähte schmoren: Klaus Müller, Toomas Täht, Olga Nasfeter und Ute Fielder (von links) bei der Elektrofolter (Fotos: Nik Schölzel).


All der Slapstick, das Gehampel und die Sprüche der beiden Trottel Dürrmann und Cem ist nahe daran, dem Zuschauer zu viel zu werden. Völlig überzogen ist das, mehr Phrase als Witz, mehr Klischee als Parodie, mehr Klamotte als Komödie, mehr Comedy als Boulevardtheater, mehr doof als erhellend. Doch Autorin Zeh und Regisseur Alder drehen nochmal kräftig an der Schraube: Als Dr. Schmidt vom BKA (Ute Fiedler) hinzukommt, eskaliert die Situation. Der „Terrorist“ soll gestehen, denn die Beamtin unterstellt ihm Wissen über einen geplanten Bombenanschlag auf den Münchner Flughafen: „Menschen, die ich beruflich vor mir sehe, sind Terroristen.“ 2.000 Opfer befürchtet die Dame, ein paar Sätze weiter sind es schon 3-, dann 5-, später 25.000. So paranoid unter Druck gesetzt, lassen die Polizisten ihre Zurückhaltung fallen, das Starthilfekabel wird zum Instrument der Elektrofolter. Und der Gefangene – „Rede, du verdammte Mistsau!“ – hat plötzlich ein schwarzes Tuch überm Kopf und sieht wie die Folteropfer im irakischen Abu-Ghraib-Gefängnis aus. Dann beginnen die Drähte zu schmoren, werden ihm in unkontrollierter Wut die Arme abgehackt.

Meister Yoda rettet die Situation

Dass das durchgedrehte Team am Ende doch noch zur Besinnung kommt, ist indes nicht Susis aufgeklärtem rationalem Denken zu verdanken, sondern der Tatsache, dass GSG9-Dürrmann zu viel „Star Wars“ geguckt und dabei die Pseudo-Weisheiten der Jedi-Ritter internalisiert hat: „Niemals zu dem er werde, den er bekämpft“, zitiert Dürrmann Meister Yoda und besiegt so die Anziehungskraft der dunklen Seite der Macht. Alle sind zu Tränen gerührt, doch es ist zu spät: Nicht nur ist der Kaktus arg ramponiert, nun schlägt auch noch „das System“ zu, mit Blendgranaten und scharfen Waffen – am Ende sind alle tot und es herrscht Ratlosigkeit.

Und zwar beim Publikum ob des allzu holprigen Verlaufs dieses Plots. Wie aus dem Ordnungsfanatiker Dürrmann wegen ein paar Jedi-Assoziationen ein pathetischer Verteidiger der Demokratie wird, warum Frau Schmidt vom BKA sich plötzlich ebenfalls zur Verteidigerin einer Staatform mausert, deren Zweck sie noch kurz zuvor nicht erklären konnte – „Demokratie ist ein Verfahren, um – “, tja, was denn? – diese Wandlungen erklärt die Inszenierung nicht. Aber auch eine Farce, besonders eine politische, braucht doch eine innere Logik, selbst bei Laurel & Hardy waltet eine Psychologie, die dem Zuschauer klar macht, warum wer wem den Finger ins Auge sticht. Nicht so in Zehs Stück: Die Figuren sind über lange Phasen hinweg witzig gezeichnet, die sich steigernde Absurdität gebiert manchen ausgezeichneten Lacher. Und auch die Tatsache, dass einem aufgrund der drastischen Abu-Ghraib-Analogie dieses Lachen allmählich im Hals stecken bleibt, gehört zu den guten Seiten dieser Inszenierung.

Dass es keine Helden gibt, nur dümmliche Täter, und dass Juli Zeh uns daher kein Happyend liefern mag – das geht in Ordnung. Ab dann allerdings wird’s zunächst dünn, dann unlogisch und schließlich rätselhaft. Wer das „System“ ist, das am Ende gleich alle Beteiligten niedermetzelt, bleibt ungeklärt. Diese Pointe ist nicht mehr absurd in Sinne einer gelungenen Farce, sondern im Sinne eines nicht zu Ende gedachten Stücks. Trotzdem wohlwollender Applaus.