Sinfoniekonzert: Folklore in vielen Schattierungen
Das 6. Sinfoniekonzert der Spielzeit versprach „Folklore – neu gehört“. Gastdirigent Peter Rundel und Solistin Ruth Kilius spielten mit den Facetten der neuen Musik.
Von Halrun Reinholz
Der Einstieg war beschwingt: Als erstes Stück des „folkloristischen“ Konzerts spielten die Augsburger Philharmoniker das “Concert Românesc” von György Ligeti. Mit einem Anklang an die „Lerche“, virtuosen Streicherpartien und mitreißenden Rhythmen gab Ligeti hier wieder, was er seit seiner Kindheit in dem seit 1918 zu Rumänien gehörenden Siebenbürgen aufgeschnappt hatte und später als Musiker professionell untersuchte: die Klänge der Volksmusik, die sich von der seiner ungarischen Landsleute deutlich unterschied. Kaum zu glauben, dass diese Musik im stalinistischen Ungarn der 50er Jahre als subversiv galt und nicht aufgeführt werden durfte. Denn selbstverständlich hatte der Komponist mit diesen Klängen experimentiert, sie nicht zum linientreuen Lobgesang im Stil des sozialistischen Realismus ausgestattet. „Schräge“ Harmonien und Dissonanzen waren da nicht vorgesehen. Ligeti ersann für sich den Begriff der „schwarzen“ Musik mit „Schwebungen“, d.h. Interferenzmustern übereinandergeschichteter Stimmen. Sie stand zwischen der „roten“ (der „schönen“ modal-konsonanten) und der „grünen“ (dissonanten) Musik.
Nach dieser Systematik gehört das zweite Stück des Abends, Luciano Berios „Voci“, eindeutig in die „grüne“ Kategorie. Der Sizilianer Berio ist nur zwei Jahre jünger als Ligeti, verarbeitet aber die Folklore seiner Heimat vollkommen anders als Ligeti. Für ihn besteht der kreative Akt darin, das transkribierte Material – Arbeiterlieder, Schlaflieder, Ausrufe von Straßenverkäufern (abbagnate) – zu dekonstruieren und vollkommen neu zusammen zu setzen. Dies allerdings zu Lasten der Hörgewohnheiten des Konzertpublikums. Schon die Vorgabe, dass zwei „Instrumentalgruppen“ die Begleitung der Soloviola übernahmen, erforderte erst einmal eine Umbaupause. Gastdirigent Peter Rundel, bekannt als Experte für Neue Musik, führte Musiker und Publikum konzentriert und präzise durch das doch recht opulente mehrsätzige Werk. Solistin Ruth Kilius, „Artist in Residence“, zeigte souverän, dass sie mit ihrer Bratsche die moderne Musiksprache beherrscht. Das Publikum spendete ausdauernd Applaus, doch verleiteten die schrägen Töne nicht zu einer Zugaben-Euphorie.
Nach der Pause folgte auch wieder „Schräges“: Strawinskys Feuervogel. Als Ballettmusik schon den Zeitgenossen des Komponisten bekannt – doch nicht in Russland, sondern in Paris aufgeführt. Ein erzähltes Märchen, gemacht für die szenische Umsetzung. Auch Strawinsky entsprach nicht den harmoniesüchtigen Vorgaben der realsozialistischen Stalinisten. Das gewählte Programm brachte dem Publikum zum Bewusstsein, wie unterschiedlich Komponisten Klänge ihrer Umgebung wahrnehmen und zu Eigenem gestalten.