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Samstag, 15.02.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Sechs Oscars für „Hurt Locker“

Überraschung aus dem Bauch der Unterhaltungsindustrie

von Siegfried Zagler

„Mitten im Chaos des Krieges gleicht der verwüstet Irak dem Vorhof der Hölle. Terror Angst und Elend regieren. Fernab ihrer Heimat geraten die Mitglieder eines Bombenräumkommandos in ein hinterhältiges gefährliches Spiel. An diesem bedrohlichen Ort, an dem die Nerven ununterbrochen bis zum Zerbersten gespannt sind, müssen die jungen amerikanischen Soldaten lernen, ihre persönlichen Konflikte zu schlichten. Denn Zusammenhalt ist der einzige Ausweg aus dem Inferno des Krieges…“

Das ist kein Werbetext zu einem Computerspiel, sondern der offizielle Netz-Teaser des deutschen Verleihers des in Los Angeles mit sechs Oscars prämierten Bigelow-Films „Hurt Locker – Tödliches Kommando“.

Um es direkt zu sagen: Die Oscarschwemme ist nicht nachvollziehbar und gehört zu den schwer verständlichen Überraschungen aus dem Bauch der Unterhaltungsindustrie. Kathryn Bigelows Kriegsfilm hat dokumentarische Züge, kommt beinahe ohne Story aus und hat eine simple Botschaft: „Krieg ist Droge“. Im Gegensatz zum ähnlich gelagerten „Deer Hunter“ (Michael Cimino, 1979), verzichtet „Hurt Locker“ auf psychologisierende Dramaturgie. Bei Wyler, Cimino, Stone, Spielberg – um nur eine handvoll große Hollywood-Regisseure zu nennen, die sich thematisch der lebenslangen Traumatisierung der amerikanischen Soldateska widmeten, existiert die Welt ohne Krieg in Frieden und Freiheit mit dem Recht auf Glück als hoffnungsvolle Option, als Wirklichkeit, nach der man sich sehnt – als Traum, für den es in den Krieg zu ziehen lohnt. Francis Ford Coppolas „Apokalypse Now“ (1979) hat daraus einen Alptraum skizziert. „Hurt Locker“ beginnt mit dem Zitat „Der Rausch des Kampfes wird oft zu einer mächtigen und tödlichen Sucht. Denn Krieg ist eine Droge.“ Und sonst? 

„Gibt es ein Leben vor dem Tod?“

Bei Bigelows Protagonisten kommt die „drogenfreie Welt“ als Gegenentwurf nicht mehr vor. Die jungen Männer „in den besten Jahren ihres Lebens“ sind bei Bigelow nirgendwo zu Hause. In Bagdad leben sie von Einsatz zu Einsatz, von Adrenalinschub zu Adrenalinschub und zählen ihre Diensttage, doch die bessere Welt, wo immer das sein soll, evoziert keine Sehnsüchte nach Glück und bürgerlichen Wohlstand, sondern verflüchtigt sich in einen tristen Zustand ohne Rausch. Das ist vielleicht das Betörende, das Irritierende an Bigelows Film. Krieg ist in jedem Fall eine Reise ohne Wiederkehr. Am Ende gelingt es dem zurückgekehrten Soldat William James (Jeremy Renner) im Supermarkt nur mit Widerwillen aus einem Supermarktregal eine Packung Corn-Flakes auszuwählen. Soldat William James kommt ohne die Droge Krieg nicht mehr zurecht. Die Dialoge sind auf Funktionalität reduziert und zuweilen platt, Kamera und Schnittregie suggerieren semidokumentarisches Kino, dessen Serien-Ästhetik eher dem DVD-Markt entspricht. Im amerikanischen wie im europäischen Kinomarkt wurde das das 15 Millionen Dollar Werk vom Publikum nahezu ignoriert. „Hurt Locker“ ist ein hartes und sperriges Stück Kino über die fatale wie abhängig machende Hinwendung zu einem Leben in permanenter Todesnähe. „Gibt es ein Leben vor dem Tod?“, fragt sich Franz Biberkopf in „Berlin Alexanderplatz“. Bigelow verzichtet in „Hurt Locker“ auf Sinnfragen, sondern sendet Botschaft: „Es gibt kein Leben nach dem Krieg“.

In Augsburg im Thalia.