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Dienstag, 26.11.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

POSITION

Sebastian Seidel: In Augsburg muss ein großer, kulturpolitischer Wurf entwickelt werden

Die „Augsburger freie Theaterlandschaft“: von links nach rechts Sebastian Seidl (Sensemble), Volker Stöhr (Junges Theater), Sven Moussong, (Moussong Theater); Matthias Klösl (Theaterwerkstatt), Susanne Reng (Junges Theater), Matthias Fischer (Märchenzelt), Lisa Bühler (bluespost productions), Eric Leif Young (theter ensemble), Ferdi Degirmencioglu (Theater interkultur), Gaby Beyer (Klextheater), Leonie Pichler (bluespot productions), Karla Andrä (Fakstheater) und Josef Holzhauser (Fakstheater). Auf dem Foto nicht vertreten: das Theater Fritz & Freunde (Foto: „Die Freien Theater Augsburgs“).

Ob die freien Theater in Augsburg besonders unterstützt werden oder nicht, soll im Rahmen einer Veranstaltungsreihe verschiedener Kulturschaffender (“Ständige Konferenz”) im kommenden Herbst geklärt werden. Nicht ein Akteur, sondern der Aktivposten der Freien Theaterszene, Sebastian Seidel, fordert in der DAZ einen visionären Entwicklungsplan 2030 für die gesamte freie Theaterszene. Es gehe dabei um nicht viel weniger als um die Zukunft der freien Theater.

Stellungnahme von Dr. Sebastian Seidel:

Die freien darstellenden Künste in Deutschland haben sich längst zu einer etablierten und gesellschaftsrelevanten Impulskraft für Theater, Tanz und Performance entwickelt. Mittlerweile werden rund ein Viertel aller Produktionen frei produziert (und dabei nicht eingerechnet sind die Produktionen der sogenannten Privattheater). 

Gespielt wird auch in Augsburg mit einer enormen Experimentierfreude, die weit über das topographische Verständnis von „Bühne“ hinausreicht. Die freie Theaterszene öffnet aufgrund ihrer Flexibilität und Mobilität andere Handlungsräume und kann auf aktuelle gesellschaftliche Fragestellungen wendiger reagieren als die „großen Flaggschiffe“ der Theaterhäuser.

Während aber Stadt- und Staatstheater mit Ensemblebetrieb für ihre Arbeit adäquat ausgestattet sind, Gehälter und Honorare entsprechend den Tarifverträgen erhöht werden und der Unterhalt und die Sanierung der Spielstätten Millionen verschlingen, muss um das kulturpolitische Bewusstsein für eine entsprechende Förderung der freien Theaterszene Jahr für Jahr neu gekämpft werden. 

Neben einer kontinuierlichen Erhöhung der Fördermittel braucht es vor allem auch die Stärkung von Strukturen, durch die ein nachhaltiges Produzieren für die Künstler*innen erst möglich wird, und damit geht es auch um die Ausarbeitung ausdifferenzierter Fördermodule. 

In Städten wie Leipzig, München, Hamburg und Berlin ist es in den vergangenen Jahren gelungen, die Förderungen erheblich (z.B. in Leipzig um 1,6 Millionen / München um 1,3 Millionen) zu erhöhen. Auch in Augsburg wurden zur Förderung der „Theaterlandschaft“ erste wichtige Schritte zur Sicherung des vielfältigen Angebots unternommen. Dabei aber darf es nicht stehenbleiben!

Jetzt muss in Augsburg ein großer, kulturpolitischer Wurf entwickelt werden, der zwei Dinge enthalten muss:

  1. Visionärer Entwicklungsplan 2030 für die gesamte freie Theaterszene, um nicht in einigen Jahren wieder von vorne beginnen zu müssen. Dabei geht es neben den Finanzen auch um bezahlbare Räume in einer immer teurer werdenden Stadt! (Stichworte sind faire Bezahlung, Mindesthonorar, soziale Absicherung, Mieten).
  2. Durchlässige, transparente und flexible Förderstrukturen, die einerseits nachhaltiges künstlerisches Arbeiten erlauben und sogleich andererseits den Einstieg hoffentlich nachwachsender Gruppen ermöglichen, die es dringend braucht! (Stichworte sind Nachwuchsförderung, Konzeptionsförderung, Projektförderung, Wiederaufnahme-Förderung, institutionelle Förderung – bundesweite Vergleichsvorlagen dafür hat der Bundesverband Freie Darstellende Künste geliefert).

Das Ziel muss sein, die freien darstellenden Künste auch in Augsburg so zu stärken, dass sie sich vor allem darauf konzentrieren können, was sie ästhetisch ausmacht: Immer neue Inszenierungen und Narrative hervorbringen, die von der Komplexität des Zusammenlebens in einer offenen Gesellschaft erzählen und auf ein breites, kulturell und sozial divergierendes Publikum hin orientiert sind.


Sebastian Seidel studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie an der Universität Augsburg und an der University at Albany. Bis 1999 leitete er das Germanistentheater an der Universität Augsburg. Nach dem Studium gründete er 1996 das S’ensemble Theater (heute Sensemble Theater), dessen Leiter er bis heute ist.