Schon vor tausend Jahren gab’s nicht nur Heim und Herd
Der Tag der Mittelalterforschung widmete sich den „Frauen im Mittelalter“
Von Frank Heindl
Mit fünf Vorträgen aus der Mitte der universitären Beschäftigung mit dem Mittelalter stellte sich der Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte der Uni Augsburg wieder einmal der Öffentlichkeit. Leicht verständliche Einblicke in moderne Aspekte des Fachs, so die Devise, sollen auch dem Laienpublikum Zugang zu aktuellen Wissenschaftsthemen vermitteln.
Professor Martin Kaufhold, Ordinarius des Lehrstuhls für mittelalterliche Geschichte an der Universität Augsburg
„Frauen im Mittelalter“ lautete in diesem Jahr das Thema. Etwas überspitzt hatte Mittelalter-Professor Martin Kaufhold im DAZ-Interview festgestellt, es sei „eines der neuen Forschungsergebnisse … dass es im Mittelalter Frauen gab.“ Zu Beginn seines Vortrags über die „Entdeckung Amerikas und die weibliche Erfahrung in der Wikingerzeit“ wies er daraufhin, dass das gar nicht so weit hergeholt war: Noch vor zwanzig Jahren sei das Thema Frauen in der Heidelberger Mittelalter-Bibliothek unter dem Stichwort „Sitte und Brauchtum“ geführt worden. Seither hat sich einiges getan – Rolle und Bedeutung weiblichen Lebens und Handelns im Mittelalter werden, wie die Vorträge zeigten, unter mannigfaltigen Gesichtspunkten erforscht.
Kaufholds Eröffnungsvortrag etwa zeigte, dass auch bei den als Urbild der Männlichkeit überzeichneten Wikingern ganz im Gegensatz zum gängigen „Hägar“-Klischee die Frauen nicht nur Haus und Herd hüteten, sondern aktiv am politischen Handeln teilnahmen. Die Forschung übersah das Generationen lang, interessierte sich etwa beim berühmten, 1904 nahe Oslo gefundenen „Oseberg-Schiff“ vor allem für Details des Schiffsbaus und nur am Rande dafür, dass das Wikingergefährt als Grab gedient hatte, und zwar für zwei Frauen – ein deutlicher Hinweis auf deren hohe Bedeutung. Mittlerweile weisen archäologische Funde an der Küste Neufundlands darauf hin, dass viele Details der so genannten „Saga-Literatur“ nicht der Phantasie derer entsprangen, die 250 Jahre später aufschrieben, wie ihre Vorfahren nach „Vinland“, dem heutigen Nordamerika gesegelt waren. Vielmehr scheinen die Sagas in vielerlei Hinsicht die damalige Realität wiederzugeben: zum Beispiel die Tatsache, das Frauen von Anfang an in wichtiger Funktion an diesen Eroberungsfahrten teilnahmen. Freidis etwa, die Tochter Erik des Roten, scheint nicht nur tatkräftig, sondern durchaus auch höchst intrigant die Geschehnisse beeinflusst zu haben, die zur Ermordung zahlreicher Teilnehmer der Expedition führten – Freidis selbst hatte sie eingeladen.
Dr. Thomas Krüger, ebenfalls am Mittelalter-Lehrstuhl der Universität Augsburg tätig, zeigte anschließend, wie die englische Königin Edith-Mathilda in Auseinandersetzungen zwischen Papsttum und englischer Krone eingriff. Edith wechselte als Ehefrau Heinrich I. Briefe sowohl mit dem Erzbischof von Canterbury wie auch mit dem Papst und hatte erkennbaren Einfluss darauf, wie das Problem der päpstlichen Investitur im England des 12. Jahrhunderts gelöst wurde. Während nämlich die Kirche darauf bestand, Äbte und Bischöfe nur noch in eigener Regie zu ernennen, war das englische Königshaus in keiner Weise bereit, dieses Vorrecht an Rom abzugeben. 1105 kam es zu einem Kompromiss, den Edith zusammen mit dem König vorbereitet hatte. Gleichberechtigt, darüber darf man sich keine Illusionen machen, war Edith deshalb noch lange nicht. Ihren Einfluss auf Papst und Erzbischof erreichte sie unter anderem dadurch, dass sie sich als unterlegene und hilfsbedürftige Frau darstellte. Das war augenscheinlich eine List, auf die auch die großen Männer des Mittelalters hereinfielen.
Während die ersten beiden Vorträge in der Uni gehalten wurden, ging es später in der Innenstadt weiter – im Maximilianmuseum. Hier begann Susanne Lepsius, vom Wintersemester an Professorin am Lehrstuhl für Rechtsgeschichte in München. Anhand rechtshistorischer Quellen aus dem Florenz des beginnenden 15. Jahrhunderts analysierte sie juristische Streitereien um die Mitgift von Frauen. Im Spannungsfeld zwischen kanonischen (kirchlichem) und tradierten römischen Recht schuf die Florentiner Herrschaft damals eigene Rechtsstatuten, deren sozialgeschichtlich relevanten Details manchmal – und genau wie heute – vor Gericht geklärt werden mussten. Modern gesprochen ging es um den Versorgungsausgleich für verwitwete Frauen, und Lepsius konnte zeigen, dass das Mitgiftsystem für Frauen ein gesichertes eigenes Vermögen geschaffen hat. Es diente dazu, nach dem Tod des Mannes die Familie zu unterhalten und sicherte so die Stellung der Frau ab.
Professor Werner Williams von der Uni Augsburg widmete sich anschließend der Frauenmystik im 15. Jahrhundert. Die Beurteilung von Frauen, die von sich glaubten, mit Jesus, Gott und den Heiligen in Zwiesprache zu stehen, war von Zeiten und Interessen abhängig. Die heilige Brigitta von Schweden etwa hatte starken Einfluss auf die Politik der Zeit – ihr war es mit zu verdanken, dass Papst Urban Avignon verließ und das Papsttum wieder nach Rom führte. Gleichzeitig forderte Brigitta nachdrücklich eine Kirchenreform – weshalb ihre Heiligsprechung von den Anhängern dieser Reform 40 Jahre nach ihrem Tod „rücksichtslos durchgeboxt“ wurde, so Williams.
Den Schlussvortrag schließlich hielt Martina Hartmann, Professorin in Heidelberg, zum Thema „Königinnen im frühen Mittelalter“. Die Königinnen der Goten, Merowinger, Langobarden, so machte sie deutlich, hatten auch als Frauen großen Handlungsspielraum – vor allem dann, wenn ihre Männer starben und der jeweilige Thronfolger noch nicht mündig war. In solchen Zwischenzeiten konnten sie Machtpositionen einnehmen, verschwanden allerdings danach schnell und spurlos von der Bildfläche – in vielen Fällen sind weder Todesjahr noch -ort bekannt. In ihrem Schlusswort tauchte dann vieles wieder auf, was Martin Kaufhold zu Beginn des Tages über die Wikingerfrauen gesagt hatte: Die Königinnen des Frühmittelalters standen mitten im politischen Geschehen, und so schreckten sie auch nicht vor Mord und Intrige zurück. Ebenso war der Mord an der Königin durchaus kein Tabu – ein Problem, das später dadurch gelöst wurde, dass missliebige Regentinnen ins Kloster eingewiesen wurden. Dort konnten sie, jeden Einflusses beraubt, immerhin gefahrlos ihren Lebensabend verbringen.
Im vergangenen Jahr hatte der Tag der Mittelalterforschung „Augsburg im Mittelalter“ zum Thema. Die damaligen Vorträge sind, von Martin Kaufhold herausgegeben, seit dieser Woche in einem gleichnamigen Buch nachzulesen. Es ist im Wißner Verlag erschienen und kostet 9,80 Euro.