Schöne Bilder, schöne Musik
„minimal music“ und Ballett in der H2-Klanghalle
Von Frank Heindl
Draußen grauenhaftes Wetter: Schnee, Regen, Schneematsch. Drinnen brennt das Feuer im Holzofen und Mikael Blomkvist kämpft im Folterkeller ums Überleben. Wird Lisbeth Salander rechtzeitig zurück sein? Das bleibt ungeklärt, denn man muss raus. In die Nässe. Schnell ins Auto, ab ins tim. tim? Von wegen! Hier ist gar nichts los, und da fällt’s einem wie Schuppen von den Augen: Das Konzert ist eine Querstraße weiter, im H2. Nochmal raus, nochmal fahren, nochmal durch den Regen. Gerade noch geschafft: Das Presseticket liegt an der Abendkasse, aber die Sitzplätze sind schon alle. Stehen also. Schrecklicher Abend! Wenn die Laune jetzt noch besser werden soll, dann müssen die sich aber schwer reinhängen.
„minimal post“ heißt die Veranstaltung. Ein kleiner Querschnitt durch die Musikströmung der „minimal music“, die in den 70ern hochmodern war, schon in den 80ern ihren Zenit weit überschritten hatte und zum Mainstream, wenn nicht zum Pop der Neuen Musik wurde. Philipp Glass galt als ihr „Erfinder“. Wenn man heute in der Klanghalle des H2 sein „Company“ für Streichquartett hört, kann man die Aufregung von damals nur schwer verstehen. Denn klanglich war die minimal music ja von Anfang an eine Erholung von all dem neutönerisch Schrillen, Schrägen, Anstrengenden, den Hörer auch intellektuell Herausfordernden, was die Neue Musik der Nachkriegszeit dem Konzertbesucher aufgegeben hatte. Glass löste die Gegensätze der Atonalität in den Wohlklang des Seriellen auf, verschmolz Indisches mit Europäischem, Dur mit Moll, Pop mit Klassik. Der Esoterikvorwurf lag nah bei so viel meditativer Versenkung ins Immergleiche, das sich an einem Konzertabend nur minimal veränderte, doch das Ohr, immerhin, blieb verschont.
Manchmal scharf am Klischee
Wie sehr man sich ans Minimalistische gewöhnt hat, zeigte am Samstagabend am deutlichsten Michael Nymans Filmmusik zu „Drowning by numbers“ des Regisseurs Peter Greenaway. War das damals wirklich spannend? Heute jedenfalls bewegt sich Nymans Filmmusik scharf am Kitsch, steuert dramatische Höhepunkte auf konventionellste Weise mit Hilfe sich steigernder Lautstärke, sich verdichtender Instrumentierung und höchst vorhersehbaren Harmoniefolgen an – das hat Ennio Morricone mit anderen Mitteln nicht sehr viel anders gemacht.
Anders klangen die beiden Sätze aus Marc Mellits 2. Streichquartett: Hier konnte man verfolgen, wie sich die vier Stimmen verwoben, wie sich neues herausschälte, wie in der „groove machine“ das rhythmische Pulsieren die Macht über das harmonische Gefüge übernahm und so eine Spannung schuf, für die das von Oscar Córdoba choreografierte Ballett gar nicht nötig gewesen wäre. Im anschließenden Solostück für Klavier von David Lang hatte man, angeregt vom Programmzettel mit Langs Einlassungen zum Schaffensprozess, das Zögernde, Suchende, Mühsame, Wellenartige, Kantige im Vorgang des Komponierens nachempfinden können. Hier traf der Vorwurf des Maschinellen, der oft gegen die minimal music erhoben wurde, in keiner Weise: „this was written by hand“, postuliert der Komponist, und wer wollte, konnte das hören.
Die Sinne schweifen …
Der Saxophonist Hans-Christian Dellinger erfreute zwischendurch mit zwei Eigenkompositionen, umrundete dabei das Publikum räumlich wie akustische mit Klängen, die in der echoreichen H2-Halle zu großen Gebilden anwuchsen. Ja, das Meditative des Minimalen kam zur Wirkung, und man konnte ruhig die Sinne schweifen lassen und die Bilder verknüpfen. Ein junges Paar, das sich, musikalisch wohl ein bisschen verzaubert, hingerissen ansieht und einander zärtlich die Wangen tätschelt; die enormen, zigfach unterteilten Fenster des Glaspalastes, die den Blick freigaben auf den winterlichen Regensturm draußen, auf von Scheinwerfern beleuchtete Gräser und Büsche und die Unwirtlichkeit der Natur; und dagegen die Wärme von Kunst und Musik im schummrig erleuchteten Saal – solcher emotionalen Offenheit leistet minimal music sicherlich mehr Vorschub als es Penderecki oder Hindemith taten. Und auch dass ein Zweijähriger auf dem Schoß des Vaters hingebungsvoll und vernehmlich gähnt, erlebt man bei Neuer Musik eher selten.
Die verschiedenen Balletteinlagen unterstützten dieses Phänomen: Die Konzentration allein auf die Musik fiel schwer, und nach und nach durfte man akzeptieren, dass gerade dies womöglich im Sinne dieser Musik liegt. Ein Abend voll anmutiger Bewegung, schöner Bilder und schöner Musik – man muss zugeben, dass es sich gerade deshalb sehr gelohnt hat und dass sich die Rückkehr zu Stieg Larsson im warmem Wohnzimmer ein bisschen unpassend und schäbig anfühlte – etwa wie ein Vergleich zwischen Döner und Beethoven.