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Freitag, 14.02.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Sanfte Stimme, heftige Gegensätze

Enrico Rava mit seinem Quintett beim Jazzsommer im Botanischen Garten

Von Frank Heindl

Was mag das heißen, wenn einer schon im Veranstaltungsflyer als „legendär“ tituliert wird? Im schlimmsten Fall kann es bedeuten, dass da einer seit Jahrzehnten auf einer Erfolgsmasche schwimmt und längst die Gegenwart aus dem Blick verloren hat. Ganz anders Enrico Rava: Der Trompeter mit dem sanften Ton ist 70 Jahre alt, und – tatsächlich: In seiner Musik spiegelt sich die Geschichte des modernen Jazz. Doch der Zugriff auf das, was er in längst vergangenen Zeiten gelernt hat, geschieht reflektiert, vielfach gebrochen und verwoben – mit dem Jazz der Gegenwart und dem Stil einer ganz jungen Musikergeneration.

Die Summe vieler Jazz-Jahrzehnte: Enrico Rava macht auch mit 70 noch junge Musik

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Enrico Rava ist nicht nur wegen seiner Virtuosität (die er in Augsburg ein wenig unter den Scheffel stellte), sondern auch und vor allem wegen seines warmen, sanften, ruhigen Trompetentons zu Berühmtheit gelangt. Nicht selten glaubte man fast, auf der Bühne des Rosengartens keine Trompete, sondern ein Flügelhorn zu hören, dessen milder Klang ganz in heftigem Gegensatz stand zu Ausbrüchen extremer Hochspannung. Die jungen Wilden unter den italienischen Jazzmusikern repräsentierten vor allem der Posaunist Gianluca Petrella und der Pianist Giovanni Guidi – der Blechbläser ist 34, der Tastenmann gerade 24.

Zappelig, nervös, ungestüm

Petralla kann seiner Posaune durchaus das gängige Repertoire an melodischen „schönen“ Tunes entlocken, er kann swingen, kennt Samba und Salsa. Doch in seinem Element ist er, wenn er solche traditionellen Elemente mit heftiger Emphase beiseite stoßen und seine urwüchsige Energie durchs Rohr jagen kann. Sein Instrument jauchzt und stöhnt, vibriert vor Spannung, liebt die ungeraden, zwischen den sauberen Frequenzen liegenden Töne. Hochspannung merkt man Petrella auch rein äußerlich an: Er kann kaum stillhalten, wirkt zappelig und nervös, tigert, wenn er grade mal nicht dran ist, wie ein gefangenes Raubtier im Rund des Rosenpavillons hin und her, reißt ab und an ungestüm sein Instrument hoch, um ein paar heftige Einwürfe loszuwerden.

Seine Entsprechung findet er in Giovanni Guidi, der ihm an Nervosität in nichts nachsteht. Selten hört man solche schwindelig schnellen Soli, solche nicht abreißenden Sechzehntelketten, Triolenkaskaden – seine Linke kann in solchen Momenten der Rechten nicht mehr folgen, setzt keine akkordischen Akzente, gibt stattdessen durch die Luft zuckend den Rhythmus vor.

Von überbordend bis introvertiert

Das hört sich nach drei Solisten an – aber das Quintett wird von einer ebenso bewundernswerten Disziplin zusammengehalten. Man weiß selten, auf welchen Wink, welches Zeichen hin akzentuierende, gemeinsam intonierte Phrasen einsetzen – aber die kommen in verblüffender Exaktheit. Verblüffend deshalb, weil Ravas frühe musikalische Initiation fortwährend durchschimmert: Er hat in den wildbewegten 60er Jahren in den USA sein Handwerk gelernt, hat mit den Ikonen des Freejazz musiziert, mit Cecil Taylor, Don Cherry, Mal Waldron, Carla Bley. Und so sind Ausflüge ins weite Land der völlig freien Improvisation auch im Botanischen Garten die Regel. Dabei entstehen oftmals wunderbare Miniaturen, mal aggressiv überbordend, mal lyrisch introvertiert, die fast mehr schon dem Bereich der Malerei als dem der Musik anzugehören scheinen. So sehr dabei der Ideenreichtum der Italiener fasziniert – noch verblüffender ist, wie selbstverständlich sie die freejazzigen Komponenten ins traditionelle Material einflechten und dass dabei keinerlei Brüche entstehen. Die ganze erste „Halbzeit“ im Botanischen Garten bestand so aus mehreren nahtlos miteinander verbundenen Stücken, die am Ende doch wieder in den bodenständigen Groove des Anfangs mündeten. Dazwischen gab’s Ausflüge zu Marsch und Dixieland, gab’s phantastische Duo-Improvisationen mit Trompete und Posaune. Und selbstverständlich wurde das Ganze zusammen gehalten von zwei perfekten Rhythmikern. Pietro Leverato glänzte mit mehreren bemerkenswerten Soli, Fabrizio Sferra an den Drums durfte immer mal wieder laut, kräftig und eher monotonal mitsingen – auch das eine humorvolle Verbeugung vor Zeiten, in denen das respektlose, Grenzen einreißende Experiment als konstituierend für die Weiterentwicklung des Jazz galt.

Zum Schluss wurde dann auch das Publikum zum Singen motiviert, und das war gar nicht doof und kitschig, wie so oft, sondern ein Ohrenschmaus und eine perfekte Untermalung für ein paar letzte schöne Töne dieser außerordentlichen Band.