Romeo und Julia getanzt
Spagat zwischen Shakespeare und West Side Story
Von Halrun Reinholz
Abendfüllende “Ballettgeschichten” sind beim Publikum beliebt, in einem kleinen Ensemble wie in Augsburg jedoch nur sehr eingeschränkt möglich. Dennoch gibt es sie immer wieder. In diesem Jahr Prokofjews Romeo und Julia, neu choreografiert von Young Soon Hue und schon lange vor der Premiere Stadtgespräch.
Die Choreografin ist in Augsburg nicht unbekannt: 2013 setzte sie auf der Freilichtbühne “Carmina Burana” in fließende Bewegung um. Nun holte Robert Conn sie für Romeo und Julia, eines der bekanntesten Ballette überhaupt, an dem Star-Choreografen wie Neumeier oder Cranko sich bereits abgearbeitet und in dem Ballerinen wie Marcia Haydee brilliert haben. Die koreanische Ballettmeisterin schafft es dennoch, dem Geschehen nach Shakespeare ihren eigenen tänzerischen Stempel aufzudrücken – unverkennbar ihr schon bei der Carmina aufgefallener Stil mit runden, fließenden Bewegungen und durchaus auch überraschenden Übergängen.
Dreigestirn kreativer Frauen
Die bei Shakespeare mittelalterliche Geschichte zweier verfeindeter Familien aus Verona wird aus der Zeit herausgehoben, ohne in ein aufdringliches Heute abzugleiten. Die Kampfszenen werden nicht mit dem Florett, sondern zuerst mit Billard-Queues und danach mit Messern ausgetragen. Das wiederum erinnert nicht zufällig an die West Side Story, eine weitere Lesart des selben Plots. Entsprechend zeitlos sind auch die schlicht und elegant wirkenden Kostüme von Verena Hemmerlein. Sie ist auch für das luftige, unprätentiöse und durch seine Lichteffekte verblüffend wirkungsvolle Bühnenbild verantwortlich. Insgesamt handelt es sich um eine sehr “weibliche” Produktion, denn neben Choreografie und Ausstattung ist auch die musikalische Leitung in den Händen einer Frau, der temperamentvollen hauseigenen Kapellmeisterin Carolin Nordmeyer.
Kongeniales Zusammenspiel der Tänzer
Die Ovationen des Publikums galten aber vor allem dem Ensemble, das in dieser Konstellation alle Register seines Könnens ziehen kann. Die Hauptprotagonisten der Premiere André Silva (Romeo) und Ana Dordevic (Julia) brillieren neben einem quirlig-komischen Theopilus Jeremias Vesely (Mercutio), Yadil Suarez Llerena (Benvolio), Riccardo de Nigris (Tybalt) oder Jiwon Kim (Rosalind). Auch Julias Amme ist in dem tragischen Geschehen komisch angelegt und wird von Avianna McKee (als Gast) mit harlekinesker Spielfreudigkeit verkörpert. In dynamischem Gegenüber dazu stehen die Gruppenauftritte der Herren- und Frauenensembles. Unter den eher statisch angelegten Nebenrollen gibt neben Lord und Lady Capulet (Armin Frauenschuh, Janet Sartore) Roman Payer einen besonders würdevollen Pater bzw. Herzog ab. Dass es sich bei dem Augsburger Ensemble insgesamt um ein kongeniales Miteinander handelt, zeigt schon die Liste der Doppelbesetzungen: die Tänzerinnen und Tänzer wechseln sich bei einzelnen Rollen teilweise ab. So ist André Silva auch mal als Mercutio zu sehen oder Jiwon Kim als Julia. Was sich dem Zuschauer vermittelt, ist, bei aller Ernsthaftigkeit und Präzision, der Eindruck einer fast ungehemmten Spielfreude, deren Funke ins Publikum überspringt. So bleibt das Ballett Romeo und Julia sicher auch noch weiterhin Stadtgespräch in dieser Spielzeit.
Fotos: Theater Augsburg