DAZ - Unabhängige Internetzeitung für Politik und Kultur
Sonntag, 27.10.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Reise zu den “Orten des Grauens” – Teil 2

Wenn Kunst doch schönmachen könnte!

Hinterhofromantik mit Dampfheizung: Hier arbeiten die Modistinnen

Hinterhofromantik mit Dampfheizung: Hier arbeiten die Modistinnen


Verena Schimpf arbeitet auch an der Puntila-Inszenierung. Als Regieassistentin. Toller Job. Eine “Kreative”. Kennt man aus Film und Fernsehen. Dort sitzen sie vor hohen Fenstern mit Blick auf den Park. Hier gibt’s auch ein Fenster. Und das ist auch hoch. Hoch oben. Es lässt wenig Licht rein, aber das ist vielleicht gut so, denn dann sticht der bröckelnde Putz an den Wänden nicht so ins Auge. Verena Schimpf hat mit Blumen drapiert, was nicht zu übersehen ist. Und vor ihrer Tür hat ein Witzbold eine Postkarte aufgehängt: “Kunst macht schön” steht drauf. Schön wär’s.

“Orte des Grauens” nennt Trabusch die finsteren Gelasse, in denen seine Mitarbeiter hausen, die dunklen, schmalen, vollgestellten Gänge, die zu ihren Verliesen führen. In der Dramaturgie haben die Mitarbeiter eine Teeküche. Steht ihnen zu. Auch eine Toilette steht ihnen zu – und auch die haben sie. Schade nur, dass beide im selben Raum untergebracht sind. Man muss es einfach mal deutlich sagen: das Geschirr türmt sich auf einer Ablage gegenüber der Kloschüssel. Kann das wahr sein?

Steile Treppen, exotische Gerüche: der Abstieg in die Theaterkantine

Steile Treppen, exotische Gerüche: der Abstieg in die Theaterkantine


Wahrhaft kafkaeske Ausmaße bekommt die Führung, als wir uns den Fundus zeigen lassen. Der ist nämlich überall. Im ganzen riesigen Haus scheint es kaum einen Flur zu geben, der nicht mit Regalen vollgestellt ist. Wer Schuhe sucht, steigt Treppen hoch, Treppen runter, quert labyrinthische Gänge, landet schließlich in einer Dachkammer, in der man nicht aufrecht stehen kann. Die Schuhe sind unter der Dachschräge. Viel hunderte von Schuhpaaren. Die hintersten fünfzehn Meter weit weg. Nur tief gebückt zu erreichen. Elisabeth Wittig, die Leiterin der Kostümabteilung, fällt es schwer, für diese Situation noch Humor aufzubringen. “Wir hausen praktisch in jedem Loch”, konstatiert sie lakonisch. In der Tat: Auf jedem Flur, in jedem Durchgang hängt was, liegt was, ist was gestapelt. “Fast alle Mitarbeiter klagen über Rückenprobleme”, sagt Frau Wittig. Kein Wunder, wenn jeder Materialwunsch eine Höhlenexpedition erfordert. Wenn Kostüme, Puppen, Rüstungen eine Viertelstunde weit getragen werden müssen.

Der legendäre Ort der Kommunikation

Bis zum nächsten Aufzug? Nein, bis zum einzigen Aufzug. Wir stehen jetzt drin. Zu zweit ist’s angenehm. Zu sechst wäre das Gefährt voll, aber man kann sich auch vorstellen, dass zur Not zehn Leute reinpassen würden. Draußen hängt ein Schild: “17 Personen”. Kein Witz.

Kabelrollen, Dachschrägen, Damenschuhe: Schauspieldirektor Markus Trabusch in den Niederungen des Fundus

Kabelrollen, Dachschrägen, Damenschuhe: Schauspieldirektor Markus Trabusch in den Niederungen des Fundus


Glücklicherweise neigt sich die Führung dem Ende zu. Wir fahren in die Kantine. “Ein legendärer Ort der Kommunikation” sei das anderswo, schwärmt Markus Trabusch, die wichtigste Stelle im Unternehmen Stadttheater, der Platz, an dem die Künstler sich treffen können, an dem diskutiert wird, an dem Schauspieler auf Handwerkern treffen, an dem aus der direkten Begegnung Ideen entstehen. Steile, enge Treppen geht’s hinunter. Immerhin: Im vergangen Jahr wurde neu und hell gestrichen, wurden große Lampen aufgehängt, um den Burgverlies-Charakter zu bekämpfen. Vorne zeigt ein Schild: Kantine. Wir biegen um die Ecke: ein langer, langer Flur. Ein neues Schild. Und noch ein Flur. Rechts geht’s zur Kantine, links zum Klo. Und so riecht’s auch. Grauenhaft. Und nicht aus mangelnder Hygiene: alles frisch gestrichen, alles frisch geputzt. Aber der jahrzehntealte Geruch von Feuchtigkeit, von Moder, von Weiß-der-Herr-was hängt in den alten Wänden, in den Böden und Weiß-der-Herr-wo. Wer möchte hier unten zu Mittag essen? “Kaum einer”, sagt Trabusch. Wer sich’s leisten kann und Zeit hat, der nutzt die Gastronomie der Innenstadt. Hier runter verirrt man sich nur selten und nur wenn’s sein muss. “Das kommunikative Zentrum des Hauses fehlt.”

Keiner kommt, keiner sieht sich’s an

Flohmarktmüll für Gaststars: Hier üben externe Sänger

Flohmarktmüll für Gaststars: Hier üben externe Sänger


Genug? Genug. Von der alten Dampfheizung, die nur die Zustände “on” und “off” kennt und somit entweder für Frösteln oder für maßlose Hitze sorgt, wollen wir nun nicht mehr reden. Nicht von dem fetten Schlüsselbund, den Markus Trabusch mit sich trägt, um dann doch in viele Räume nicht reinzukommen. “Generalschlüssel” ist hier ein Fremdwort. Nicht vom scheußlichen Chorraum, der randvoll ist, wenn die 32 Sänger und Sängerinnen sich versammeln – akustisch eine Katastrophe, belüftungstechnisch schlicht unerträglich. Nicht vom Medienraum, in dem sich beispielsweise von andernorts engagierte Ersatzsänger mittels Video auf ihren Einsatz vorbereiten sollen – ein peinlicher, abgrundtief hässlicher, enger, mit Ramschmöbeln vollgestellter Abstellraum. Auch kein Wort mehr über die drei (3!) Waschmaschinen, mit denen die Kostüme gewaschen werden. Sie stehen quer übers Haus verteilt an drei verschiedenen Orten – eine in der Tänzergarderobe -Mitarbeiter tragen Körbe mit Schmutzwäsche im ganzen Haus herum. Genug? Genug!

Von einem “Gefühl mangelnder Wertschätzung” spricht Markus Trabusch. Von einer großen Lieblosigkeit, die das Haus ausstrahle. Und von mangelnder Perspektive. “Wir bräuchten so dringend das Gefühl, dass sich die Stadt für eine Veränderung interessiert. Dass man unsere Probleme sieht, dass man etwas dagegen tun will.” Alle Mitarbeiter tun ihren Job mit Enthusiasmus, mit Freude – “und trotzdem wirkt die Situation auf unsere Arbeit zermürbend und lähmend. Jeder, der das hier sieht, muss das doch verstehen.”

Nur: es sieht keiner. Elisabeth Wittig etwa, die Leiterin der Kostümabteilung, kann sich nicht erinnern, dass jemals in all den Jahren, in denen schon über die Theatersanierung debattiert wird, ein Politiker sich angeschaut hätte, wo und wie sie ihren Fundus aufzubewahren gezwungen ist. Was auch wieder verständlich ist: Wer hat schon Lust, sich den Rücken zu verrenken.

« zurück:

Reise zu den “Orten des Grauens” – Teil 1