Pulvergäßchen bleibt Pulvergäßchen
Von Siegfried Zagler
Das Augsburger Pulvergäßchen wird nicht wie vorgesehen nach dem Schutzpatron der „Barmherzigen Schwestern“ umbenannt. Die Geschichte ist ein kleines Augsburger Politikum und wird somit von einer operettenhaften Dramaturgie getragen, ist aber schnell erzählt.
In der letzten Sitzung vor den Sommerferien lag dem Augsburger Stadtrat eine Beschlussvorlage vor, die eine Namensumwidmung des Pulvergäßchens in „Vinzenz-von-Paul-Weg“ vorsah. Diese Umwidmung ging auf den Wunsch des christlichen Ordens der „Barmherzigen Schwestern“ zurück, die mit dem ehemaligen Hauptkrankenhaus auch das Pulvergäßchen erworben haben. Das städtische Vermessungsamt hat daraufhin eine Beschlussvorlage erarbeitet, über die der Stadtrat vor der Sommerpause befinden sollte. Die Kernaussage des Vermessungsamtes ging in die Richtung, dass die historische Bedeutung des Pulvergäßchens eher gering sei, da das Pulvergäßchen an eine Pulvermühle erinnere, die von 1398 bis 1434, also nur 36 Jahre existiert habe.
Stadtarchiv widerspricht Vermessungsamt
Mit der gleichen Hemdsärmeligkeit, mit der die Umwidmung begründet wurde, wurde sie durch Stadtrat Rainer Schönberg (FW) gestoppt. Hätte Schönberg nicht die im Netz kursierende Mär von einem „Juden Tipsiles“, der im frühen 14. Jh. in Augsburg das Schießpulver erfunden haben soll, ausgegraben, wäre die Beschlussvorlage des Vermessungsamtes wohl per Sammelabstimmung im Stadtrat abgenickt worden. Der Stadtrat ließ sich von der Absurdität der Geschichte beeindrucken und beauftragte die Historiker des Stadtarchivs mit einer Stellungnahme, die nun vorliegt. Den Juden Tipsilis konnten die Stadtarchivare weder im ältesten Augsburger Bürgerbuch (1288-1496) noch in den Steuer- und Baumeisterbüchern des 14. Jh. finden. Dennoch vertreten die ausgebildeten Historiker in ihrer zwölfseitigen Stellungnahme – anders als das Stadtvermessungsamt – die Auffassung, dass eine Umbenennung nicht befürwortet werden könne. Grund: Damit würden die historischen Bezüge zu Gebäuden und Straßenbezeichnungen der Reichsstadt Augsburg abreißen.
„Ein vernünftiger Kompromiss“
„Die in keiner Weise Anspruch auf Vollständigkeit erhebenden Recherchen haben gezeigt, dass die Geschichte der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Pulvermühlen in Augsburg bisher völlig unzureichend erforscht ist, gerade deshalb ist der Benennung des Pulvergässchens, wo sich seit dem Spätmittelalter (1421) bis zum Jahr 1742 zwei Pulvermühlen sowie die städtischen Pulverstadel befanden, eine hohe Relevanz einzuräumen“, wie es in der Stellungnahme wörtlich heißt. Der Stadtrat muss sich allerdings inhaltlich nicht mehr mit dieser Empfehlung befassen. Laut Baureferent Gerd Merkle haben die „Barmherzigen Schwestern“ ihr Anliegen längst zurückgezogen. Das Pulvergäßchen wird somit weiterhin das Pulvergäßchen bleiben. Die bereits durch den Stadtrat bewilligte Benennung des Platzes vor dem zurzeit im Bau befindlichen neuen Gesundheitszentrum in „Vizenz-von-Paul-Platz“ bleibt bestehen. Nach Auffassung des Augsburger Stadtarchivs „ein vernünftiger Kompromiss“.
» Kommentar: Die Historizität der Stadt ist ein Wert, der mehr bedeutet als der Umstand, wer gerade besitzt, baut und begehrt
» Stadtrat schickt das Pulvergäßchen auf den historischen Prüfstand