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Donnerstag, 09.01.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Orient im Parktheater

Die „Nacht der spirituellen Musik“ mit hervorragenden Ensembles

Von Frank Heindl

Zu einer Nacht der spirituellen Musik unter dem Motto „Sounds of God“ hatte das Friedensbüro am Samstag ins Parktheater eingeladen. Ein anspruchsvolles Programm sollte die Gäste von 20 Uhr bis morgens um vier unterhalten. Fazit nach den 6 Stunden, die der Autor dieser Zeilen durchgehalten hat: Phantastische Musik, aber was „spirituell“ bedeutet, weiß er immer noch nicht.



Mit bewegter Stimme und ein bisschen zu salbungsvoll hatte die Moderatorin zu Anfang verkündet, die Musiken des Abends würden vor allem dadurch verbunden, dass sie „etwas Höherem“ gewidmet seien – und der Sehnsucht nach Frieden. So begann der Abend mit einem mehr als wunderschönen, mit einem überirdischen, glockenreinen „Halleluja“ aus den Kehlen der „Armenien Voices“, einem A-capella-Ensemble aus Armenien, das von dem Komponisten und Musiksammler Komitas notierte Gesänge darbot. Wenn „spirituell“ eine geradezu religiöse Feierlichkeit und Andacht meint, so stellte diese sich schon mit den ersten Tönen ein. Man wagte kaum sich zu rühren, empfand nachträglich eintrudelnde Besucher als Störung, war voll mit spießig-abendländisch-bürgerlicher Kulturwahrnehmung beschäftigt, zu der die gemütlichen Polster, Teppiche und Hocker in Rottönen, mit denen das Parkett orientalisch hergerichtet worden war, gar nicht so recht passen wollten. Das sollte sich später ändern, doch für den Einstieg war diese stille Konzentration das Richtige: Das wunderbar Melodische in Komitas‘ Werken entwickelt sich mitunter aus geradezu clusterhaften Zusammenballungen der sieben Stimmen, um oftmals in gregorianisch anmutende Einstimmigkeit zu münden – und spiegelte so ganze Jahrhundert von Gesangsüberlieferung. Von Zeit zu Zeit mischten sich orientalisch anmutende Melismen ins trotzdem okzidental bestimmte musikalische Geschehen, zeigte, wie in östlicher Tradition oftmals auch Abendländisches aufgegangen ist, wie eng einst Byzanz und Europa kulturell verwoben waren. Als die Musik ein wenig rhythmischer wurde, bewegten die Sänger sogar manchmal ein wenig ihre Oberkörper, zeigte sich bei den Musikern auch mal ein sanftes Lächeln – insgesamt aber hätte man hier den Eindruck mitnehmen können, dass „spirituell“ gleichzusetzen wäre mit großem Ernst, mit heiliger Feierlichkeit – und mit hoher, virtuoser Kunst.



Meditation, Kontemplation, spirituell und artifiziell


Beim Virtuosen blieb der Abend auch im dann folgenden Konzert des Kudsi Erguner Ensembles aus der Türkei. Die fünf Musiker zelebrierten traditionelle Klänge auf der Ney-Flöte, der kleinen Kniegeige, der großen Rahmentrommel und der Zither sowie mit der Stimme. Hier ging es zwar deutlich rhythmischer und emotionaler zu als bei den armenischen Sangeskünstlern, doch auch hier überwog die akademisch geschulte Darbietung auf höchstem künstlerischem Niveau mit der unausweichlichen Atmosphäre des Artifiziellen. Was ist an dieser Musik spirituell? – Man kann als nicht des Türkischen Mächtiger vermuten, dass mindestens ein Teil davon in den Texten zu finden wäre, die gesungen wurden, und hätte sich – wie schon bei den Armeniern – eine erklärende Moderation gewünscht. Doch das wäre in den Augen der Veranstalter wohl mit dem Wunsch kollidiert, dass an diesem Abend Musik mit den Sinnen, möglicherweise „mit dem Herzen“ genossen werden sollte und weniger mit dem Verstand – ein durchaus nachvollziehbarer Ansatz. In den Bann ziehen konnte das türkische Ensemble jedenfalls auch dann, wenn man nicht über die Bedeutung von Spiritualität, Religion, Andacht, Kontemplation und Meditation nachdachte. Die Klänge von Neyflöte und Kniegeige weichen weit ab von der westeuropäischen Definition des Wohklangs – zum Soundspektrum der Ney gehört das Strömen der Atemluft durchs Holz und der Klang der Kniegeige besteht zu einem nicht unwesentlichen Teil auch aus dem schabenden Geräusch, der der Bogen verursacht – archaisch anmutende Geräusche, die aus der westlichen klassischen Musik längst verbannt sind.

Die Ekstase kam nach Mitternacht



Es ging schon auf Mitternacht zu, als Asif Ali Kahn & Party die Bühne betraten. Das Ensemble besteht aus dem Vater, acht Söhnen, die singen, klastchen und das Harmonium bedienen, sowie einem Neffen an den Tablas. Asif Ali Khan, einer der Söhne, gilt als Nachfolger des berühmten und jung verstorbenen Nusrat Fateh Ali Khan, der in den 90ern die pakistanischen Sufi-Gesänge, Qawwali genannt, auch im Westen bekannt machte, unter anderem durch seine Zusammenarbeit mit dem Pop- und Worldmusiker Peter Gabriel. Dieser Teil nun begann sofort mit dem treibenden Rhythmus des Qawwali, unterstützt von rhythmischem Händeklatschen, knallenden Tablas, sich gegenseitig anheizenden Gesangsgruppen – und verhieß von Anfang Freude, Spaß und Ekstase. Qawwali-Gesang ist religiös, bezieht sich meist auf Koran-Suren – doch die Band war allzu sehr darauf bedacht, dem Publikum einzuheizen, es mitzureißen, animierte zu Mitklatsch- und Mitsing-Orgien, in denen ein bisschen unterging, dass der Zweck des Qawwali eigentlich die religiöse Ekstase ist und keineswegs die „Party“ im westlichen Sinne. Im Parktheater holte man sich bei dieser Stimmung aber Energie für den weiteren Verlauf des Abends, denn nun, halb zwei war’s schon, stand der amerikanische Jazz-Avantgardist Metthew Shipp auf dem Programm.

Der begann mit einem einleitenden Piano-Solo ohne erkennbare Struktur, ganz im Sinne des Freejazz. Das änderte sich auch nicht, als Bassist Michael Bisio kraftvoll dazustieß. Doch als Whit Dickey an den Drums komplexe Rhythmus entwickelte, die gleichwohl den straighten Drive des Swing entfalteten, entwickelte das Trio nachdrücklich den suggestiven Sog, für den Shipp berühmt ist. Doch da war es fast zu spät dafür – der größte Teil des verbliebenden Publikums hatte sich mittlerweile auf die Teppiche und Polster begeben, manche meditative Hingebung glitt dort in den Schlaf hinüber, Shipps Musik war ja auch durchaus anstrengend. Auch den Rezensenten überfiel an dieser Stelle bleierne Müdigkeit, die nicht den „Sounds of God“, sondern dem ganz gewöhnlichen Alltag geschuldet war. Die weiteren Informationen stammen daher aus zweiter Hand: Timo Köster vom Friedensbüro berichtete am Sonntagabend darauf, zum Sound des Marokkaners Abdelkebir Merchane (ab 3 Uhr morgens!) hätten noch gut sechzig Gäste nicht etwa geschlafen, sondern begeistert getanzt.

Sodass man den Abend wohl für ein sehr breites Spektrum an Musik loben kann, auch wenn ungeklärt blieb, was das Spirituelle in der Musik ausmacht und wo es in den einzelnen Konzerten zu finden war. Der Bogen von klassisch initiierter, Note für Note fixierter Musik über die Improvisationen der Sufi-Musiker und die rhythmische Ekstase des Qawwali bis hin zum Freejazz und dann noch zu getanzter Begeisterung zeigte wohl vor allem, dass der Zuhörer, wenn nicht in jedem Stil, so doch in vielen, ein „spirituelles Erlebnis“ finden kann, wenn er es denn sucht. Jedes der fünf Konzerte hätte man aber auch ohne diesen „Zusatznutzen“ mit großer Befriedigung hören können.