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Freitag, 22.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Oper mit gewaltigem Aufwand

Premiere am Freitag: Luigi Nonos „Intolleranza 1960“

Von Frank Heindl

Grafik: Programm-Flyer

Es ist eine radikale, ein verstörende, eine immer noch brandaktuelle Oper, die der Italiener Luigi Nono vor gut 50 Jahren unter dem Titel „Intolleranza 1960“ geschrieben hat. Ihre Inszenierung erfordert Kraft und – auch heute noch – Mut. Juliane Votteler hat diesen Mut, hat die Kraft, schultert gerne organisationsintensive Projekte, wenn sie der Realisation Sinn und künstlerische Relevanz abgewinnen kann. Was „Intolleranza“ anbelangt, so darf man davon ausgehen, dass sich die Intendantin des Augsburger Theaters auch eine Art „Jugendtraum“ erfüllt: Sehr oft erzählt und schwärmt sie von ihren Jahren als Chefdramaturgin an der Stuttgarter Staatsoper. Deren Intendant Klaus Zehelein war befreundet mit Nono und hat „Intolleranza“ 1992 inszeniert.

Zugang zu Nonos Oper fand Votteler zunächst über die Musik: „Ich komme aus dieser Ecke der Neuen Musik“, erzählt sie, sie schwärme für „spannende Musikhandschriften in der Oper.“ Das Problem in Augsburg mit einem aufwändigen Projekt wie „Intolleranza“: Man muss sich auf den Kern konzentrieren. Denn kostenintensive Extras, wie sie etwa zum Ruf des Regiestars Calixto Beito gehören, sind hier nicht drin – daran hat sich Votteler gewöhnt: „Ein Millionen teures Bühnenbild brauchen ich nicht – das sind für mich Welten“ – eine Aussage, an die sich auch prinzipielle Einsichten knüpfen, die Rolle der deutschen Stadttheater betreffend: „Unsere Zukunft liegt darin, nicht mehr die Flaggschiffe zu sein. Das machen andere mit anderer Ausstattung.“ Stattdessen müssten sich die Theater in den mittleren Großstädten wie in der Provinz sehr genau überlegen, „wo wir sind und für wen wir in der Stadt Theater machen.“

Theater als Ort kontroverser Diskussionen

Diese Überlegung könnte mit der Nono-Inszenierung einen großen Schritt weiter gekommen sein. Denn Vottelers Ziel, „eine Insel in der Stadt zu sein, wo Kommunikation stattfindet“, ist zwar noch lange nicht erreicht und kann ohne eine grundlegende Renovierung und Neuaufstellung ihres Hauses nicht gelingen (ein öffentliches Café etwa würde ihrer Meinung nach dazugehören). Doch den anderen Teil des Vorhabens geht man mit „Intolleranza“ mutig an: Die Zugbrücke nicht mehr hochzuziehen, sich stattdessen als einen offenen Ort zu präsentieren, „der keine Antworten gibt, aber kontroverse Diskussionen anschiebt.“

Darin ist das Theater einen großen Schritt weiter gekommen, seit Oliver Brunner in Augsburg ist. Der 44-Jährige, der als Projektleiter der Bayerischen Theatertage an den Lech kam und als Dramaturg hier blieb, hat in den letzten Monaten Türen und Tore weit geöffnet für die kulturelle Szene außerhalb des Theaters. Das Begleitprogramm zur Inszenierung von „Israel, mon amour“ in der vergangenen Spielzeit war Startschuss für Kooperationen über den traditionellen Tellerrand der Theater hinweg. Damals waren es Videoinstallationen und Filmnächte, die den auf der Bühne angesprochenen Themenkomplex inhaltlich wie künstlerisch ausweiteten. Bei Nono ist das weitaus mehr geworden: Vorträge und Podiumsdiskussionen gehören ebenso zum Rahmenprogramm wie die Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingsprojekt „Grandhotel“, der Theaterinitiative „blue spot productions“, einer Taxi-Audioinstallation, Musikveranstaltungen. Hinzu kommen Installationen im Rahmen der „Intolleranza“-Inszenierung, die das Theater erst mit der Premiere am Freitag öffentlich machen möchte.

Harte Töne, die zart klingen

Ganz unabhängig vom künstlerischen Erfolg der Nono-Oper in Augsburg werden hier Schritte in eine Theaterzukunft getan, die Votteler auch abgekoppelt von der aktuellen Inszenierung sehen will: „Ich möchte den Weg, den wir mit ‚Intolleranza‘ einschlagen, unbedingt weitergehen.“ Womit sie weniger die inhaltlichen Aspekt der Oper meint, als vielmehr den Weg des Theaters „weiter hinein in die Gesellschaft.“ Dieser Weg wird mit Nono zumindest kontrovers sein. Denn sein Stück ist nicht nur für die Ohren eine Herausforderung. Neben den hart neutönerischen Klängen (die dank der Inszenierung dann mitunter doch zart und verletzlich klingen) des Komponisten, der mit Arnold Schönbergs Tochter verheiratet war, ist auch seine Botschaft eine, die nicht jeder gerne hören mag. Fremdenhass und Ausbeutung werden in „Intolleranza“ thematisiert, Exil, Flucht, Folter und die deutsche Vergangenheit: „Ich habe das Foltern von den Nazis gelernt“, lässt Nono einen Gendarmen drohend ausrufen. Der bekennende Kommunist Luigi Nono scheut nicht zurück vor einer „eindeutigen politischen Aussage, überzeugend und außergewöhnlich verarbeitet“ (Votteler). Und in seinem Schlusschor wird ein alter Augsburger zitiert: Bertolt Brecht spricht da – in seinem berühmten Gedicht „An die Nachgeborenen“ – von den „Kriegen der Klassen.“

Dass Nonos Libretto gewaltigen Pathos verströme und damit vielleicht nicht mehr zeitgemäß sei, will Votteler so nicht gelten lassen. Zumindest soll diese Beurteilung das Publikum selbst treffen. Für die aktuelle Inszenierung bedeutet das: Nonos Oper bleibt im Kontext der 60er-Jahre, „im damaligen Zusammenhang“, wie Votteler sagt. Gleichzeitig aber werden zeitgemäße theatrale Effekte wie Videos für eine Anbindung an die Gegenwart sorgen – so blumig muss man bleiben, will man nicht Details verraten, von denen das Publikum erst bei der Premiere erfahren soll.

„Intolleranza“ wird nur achtmal gespielt

Nonos Musik indessen stellte das Augsburger Ensemble vor mehr Probleme als die Inszenierung selbst. Der Chor musste vergrößert, Gastmusiker engagiert werden – allein schon die Schlagwerker brauchen im Orchestergraben enorm viel Platz. Ein erster Besuch der Proben im Juli beeindruckte durch die Intensität, mit der sich die Philharmoniker dem Projekt widmen – und durch die hohe Professionalität, mit der GMD Dirk Kaftan und seine Musiker die Klippen der Komposition angehen und bewältigen. „Die Synkopen müssen zusammen kommen, da klappert’s noch!“; oder: „die zweite Silbe kommt nicht auf die Fünf, sondern auf die Eins“ – solche Einwände sind zwar Musikeralltag, doch ein Blick in Nonos Notenwerk macht deutlich, dass es hier um andere Schwierigkeiten geht als bei Mozart und Beethoven: „Intolleranza“ ist ein Werk voller rhythmischer und technischer Herausforderungen. Umso bemerkenswerter, mit welcher Gelassenheit Kaftan und sein Orchester sich an die Arbeit machten: „Ihr macht das eh bewundernswert!“, rief Kaftan im Juli mal dazwischen, „wir machen’s noch einmal, und wenn’s heute nicht klappt – wir haben ja noch zwei Monate Zeit.“

Für das Orchester sei es „ein langer Prozess, dahin zu kommen“, prophezeite Juliane Votteler vor der Sommerpause – und gab sich trotzdem sehr zuversichtlich: Dirk Kaftan werde die verbleibenden Probleme schnell in den Griff bekommen. Und auch der Chor habe seine Aufgabe, die anfänglich kaum zu bewältigen schien, mit großer Begeisterung in Angriff genommen, die neue Leiterin Katsiaryna Ihnatsyeva-Cadek sei hoch erfreut über das Können ihrer Leute.

Ob das alles so klappt, ob und wie Augsburger Musiker und Opernensemble eine Mammutaufgabe dieser Qualität bewältigen, wird man am Premierenabend feststellen können. Wegen des großen organisatorischen Aufwands – der Theaterraum, so viel sei verraten, wird für „Intolleranza“ anders als üblich genutzt – wird die Oper nur achtmal gespielt, pro Aufführung haben vierhundert Besucher Platz, auf der Theater-Homepage sind einige Abende bereits mit dem Balken „Restkarten“ versehen: Interesse am Neuen also scheint durchaus vorhanden – wenn das Publikum mitzieht, könnte aus Vottelers „Öffnung des Theaters“ mehr werden als nur ein Einzelaspekt im Spielplan 2013/14.

» Das Begleitprogramm zu „Intolleranza 1960“ zum Ansehen und Herunterladen (pdf, 459 kB)

» Der Spielplan des Theaters Augsburg