Oh Scheibe, ist das schön!
Brechtfestival-Nachtrag: Dominique Horwitz
Von Frank Heindl
„Oh Scheibe, ist das schön!“ – Der Seufzer, den Dominique Horwitz ganz am Schluss ausstieß, war herrlich doppeldeutig. Denn zum einen meinte er damit Jan-Christof Scheibe, den Arrangeur, Keyboarder und Gitarristen seiner Band. Zum anderen aber drückte sich damit aus, was Horwitz in seinem „Best of Drei-Groschen-Oper“-Konzert konsequent umgesetzt hatte: Schönheit in den Brecht-Songs als, Verzeihung, Scheiße zu brandmarken und deren Schönheit in der verqueren Kombination von Hardrock, Punk und ungeschönter Stimme so herauszustellen, wie Brecht sich das gewünscht hatte: Keine Chance dem Schunkelwillen, der Mitklatsch-Wut des Publikums, höchstes Augen- und Ohrenmerk stattdessen auf Text und Aussage.
Fein, wie Horwitz da als kleinster der großen Gesangsstars des Festivals zeigte, dass die vor ihm den alten Brecht letztendlich – man muss es sagen: verraten hatten. Ute Lemper mochte ernsthaft zu Werke gegangen sein bei ihren Interpretationen. Brecht auf die Höhe der Gegenwart zu bringen, war ihr nicht gelungen – Horwitz zeigte es. Robyn Archer hatte schon durch ihr Vom-Textblatt-Singen augenfällig gemacht, dass sie den Brecht wörtlich nehmen wollte und so die Chance vergab, etwas Neues aus ihm rauszuholen. Und Maria Farantouris Darbietung war eine Hommage mehr an ihre eigene Vergangenheit als an Brechts Gegenwart. Das Neueste vom Neuen sind zwar auch Scheibes Arrangements und Horwitz‘ Interpretationen nicht – auch wenn er das mehrfach betont. Doch immerhin werden hier nicht die 20er-Jahre assoziiert und auch kein Club in New York. Horwitz ist musikalisch auf einem Niveau, dass Gegenwart und Gegenwärtigkeit möglich macht – endlich einmal war das Brechtzitat auf diesem Festival nicht eine Reminiszenz an einen längst schon toten Dichter.
Diesen Anspruch führte Horwitz wiederholt auch bildlich vor Augen, indem er schon ganz zu Anfang auf stockdunkler Bühne und dann immer wieder scheinbar versuchte, einen schunkel- und mitsing-seligen „Mackie Messer“ aufzuführen – und seine Musiker mit ein paar heftigen Hardrock-Attacken dem Publikum einen dicken Strich durch die Rechnung machen ließ. Schon der Kanonen-Song kam hart, laut, aggressiv: Da war ein guter, alter Hass auf das verachtenswerte Soldatentum zu spüren, da war gegenwärtig, was man (ganz besonders in den 20er- und 30er-Jahren des vergangene Jahrhunderts) gegen diesen Beruf nicht nur haben konnte, sondern haben musste. Horwitz schrie es mehr heraus, als dass er sang, und marschierte dazu brutal über die Bühne – ein furioser Einstieg, eine Attacke, die nur dadurch gebremst wurde, dass da eben ein Publikum saß, das gekommen war, um seinem Brecht zu huldigen, keineswegs aber, um sich von ihm verunsichern zu lassen.
Doch Scheibe kann nicht nur Hardrock und Horwitz kann nicht nur toben. Durch den Barbara-Song, beispielsweise, durfte er sich swing-bluesen, eine durchsichtig und dünn instrumentierte „Ballade von der sexuellen Hörigkeit“ steckte voll An- und Selbstanklage, und die Krönung des ersten Sets war eine Seeräuber-Jenny mit mutigen, in Hardrock- und Punkattacken gepackten Allmachtphantasien – ein Racheengel, eine Rocker-, eine Punkerbraut stellte Horwitz da vor, einen Horror-Song voller geköpfter Bürger. Auch das steckt im Brecht – wenn’s einer wagt, das herauszuholen.
Bemerkenswert präzise ging Horwitz die Songs an: Nie übertrat der die Grenze zur Show, immer waren Stimme und Interpretation ganz nah am Text, hoch konzentriert, immer bündelte er die Kraft seines Ausdrucks am passenden Ort. Und immer wieder spielte er sich selbst jenes Brecht-Publikum vor, das jetzt aber endlich mal seinen Mackie Messer hören will. Konsequent, mutig und am meisten zu loben: Dass er ihm das kein einziges Mal gönnte, Scheibe sei Dank.