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Mittwoch, 12.02.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Noch Geräusch – oder schon Musik?

Grenzgebiet zwischen Elektronik und Mensch: im „abraxas“ hat lab.30 begonnen

Von Frank Heindl

Ist schon merkwürdig, wie manche Themen lange Zeit ganz out und dann plötzlich wieder total en vogue sind. Wie auf einmal viele Künstler zur gleichen Zeit sich um dasselbe Thema kümmern. Zum Beispiel lab.30, das „Augsburger Kunstlabor“, zum 8. Mal in diesem Jahr, am vergangenen Donnerstag im Kulturhaus abraxas eröffnet: Wer oder was hat bloß dafür gesorgt, dass sich mit einem Mal ganz viele Künstler um das Thema Biologie kümmern?

Kling, Pflänzchen, klingelingeling: hängender Soundgarten aus Lyon

Kling, Pflänzchen, klingelingeling: hängender Soundgarten aus Lyon


„Hoffnung – ich habe Angst, aber ich liebe“ heißt eine der elektronischen Installationen. Doch Jongwon Choi aus Köln geht es nicht nur um eine geschickte, überraschende, neuartige elektronische Anwendung. Er sucht nicht nur nach raffinierten Schaltungen und Verknüpfungen, sondern – tja, darf man das sagen bei so ganz moderner, so ganz abstrakter Kunst? – nach Sinn. Hoffnung, so interpretiert der Künstler fernöstliche Lebensweisheit, macht Mut und Mut macht Hoffnung. Deshalb misst er mit einem Elektroenzephalographen (EEG) bestimmte Hirnströme des Betrachters und überträgt das Ergebnis auf ein winziges Musikinstrument. Die Hoffnung des Probanden wird hörbar, zeigt, dass sie vorhanden ist – und zeugt, elektronisch vermittelt, neuen Lebensmut.

"Schatz, dein Haar klingt so schön!" - Verena Friedrichs "Transducers"

"Schatz, dein Haar klingt so schön!" - Verena Friedrichs "transducers"


Oder die Installation „transducers“ von Verena Friedrich: Sie analysiert die Gene einzelner Haare, auch sie wandelt das Ergebnis in Töne um, und siehe da: Jedes Haar klingt anders. Der Versuchsaufbau der Frankfurterin ist nicht nur optisch ansprechend – er erzeugt auch leises Gruseln. „Schatz, dein Haar klingt so schön!“ – werden wir bald in der Lage sein, unsere Lieblingscharaktere in Reagenzgläsern aufzubewahren und bei Bedarf zum „Klingen“ zu bringen? Hat die Jahrtausende alte Suche nach der Seele des Menschen dazu geführt, dass wir ihre Aspekte nun elektronisch erfahrbar machen und in kleine Glaskolben sperren können?

Aus Frankreich kommt „Akousmaflore“ – ein „interaktiver Klanggarten“, in dem man durch Berührung von Pflanzen Klänge erzeugen kann. Spätestens bei diesem Objekt wird der Betrachter dann doch ein bisschen skeptisch: zu willkürlich erscheinen die erzeugten Klänge – sie sind schön und idyllisieren, aber was sagen sie sonst noch aus? Können Pflanzen auch schreien, grölen, aggressiv tönen? Man könnte auch einfach Glöckchen an die hängenden Pflanzen binden – wäre der Effekt nicht im Prinzip derselbe? Zwar reagieren die Pflanzen hier unterschiedlich auf individuelle Berührungen – aber dieser Pflanzensound sagt wohl doch mehr über die Programmierer als über die Pflanzen aus.

Nur drei Beispiele – lab.30 bietet aber viel mehr. Die lustige Roboterrennstrecke namens „Flankierende Maßnahmen im Schienenersatzverkehr“ lässt einen mit Mikrofon und Sender ausgestatteten Roboter Rückkopplungen erzeugen, diese wieder aussenden und erneut einfangen. So etwas kann auch Roboter ermüden: Bei einem letzten Besuch kurz vor Mitternacht kurvte der Kleine nur noch sinnlos im Kreis um den eigenen Mittelpunkt. Der „Wies’n Writer“ beschriftet den Garten nach Wunsch, bei „Souvi“ kann man wunderschöne und sehr vergängliche elektronische Bilder erzeugen …

Und dann ist da noch die „Kühlrippenmessluftschnüffelleuchtstofforgel“, die zwölf Auszubildende der Lechwerke gebaut haben. Die Musiker und Künstler Erwin Stache und Sebastian Giussani haben sie angeleitet und über ein ganzes Jahr hinweg regelmäßig mit ihnen gearbeitet. Da seien, berichtet Stache, „schon zwei Kulturen aufeinander getroffen“. Es sei nicht einfach gewesen, den zukünftigen Elektronikern für Betriebssysteme (alle derzeit im zweiten Lehrjahr) den völlig anderen Zugang zu ihrem Metier schmackhaft zu machen: „Da ist viel Skepsis geblieben.“ Stutzig machte den ostdeutschen Künstler vor allem die Arbeitseinstellung, die ihn oftmals an „sozialistische Verhältnisse“ erinnert habe: „Um 16 Uhr ist Schluss, ab 15.30 wird aufgeräumt“ – diese Bequemlichkeit kenne er als Freiberufler nicht. Es sei letztendlich nicht zu erreichen gewesen, dass die Auszubildenden „selbst Verantwortung übernehmen für ein Gesamtprojekt“. Immerhin: Die Arbeit habe Spaß gemacht und auf beiden Seiten Lernprozesse gefördert. „Es schon interessante Diskussionen gegeben: Wo hört Geräusch auf und wo fängt Musik an, wie definiert man das eigentlich?“

Stache findet die Idee nach wie vor „genial“, zwei mal zwei Welten zu verbinden – zum einen die Welt der Elektronik mit der der Musik, zum anderen diejenige der Azubis mit der Welt der Kunst und des Künstlers. Angestoßen wurde das Projekt von „Mehr Musik“, der Initiative, die sich zum Ziel gesetzt hat, Neue Musik an Augsburger Kinder und Jugendliche zu vermitteln. Von solchen Projekten, meint Erwin Stache, „müsste es mehr geben.“ Im abraxas-Saal kann man das Ergebnis dieses Zusammenpralls der Kulturen sehen und hören: Staches Azubis haben unter anderem Heizlüftern beigebracht, Töne zu erzeugen, bringen einen Uralt-Strommesser dazu, von innen zu leuchten, und wenn es zufällig mal ein bisschen leiser zugeht, ertönt ein wunderbar ruhiges, fast schon meditatives, vom Publikum initiiertes Konzert.

Ein Festival der Elektronik also auf der Suche nach was? Sicherlich lässt sich das nicht einheitlich sagen. Auch auf jeden Fall nach der natürlichen, menschlichen Komponente der Technik, nach einer modernen Interpretation von Natur und Ästhetik, von Schönheit und Mystik. „Trace: L“ von zwei Künstlern aus Montréal: gravitätische Säulen, kahle Glühbirnen, die auf den Besucher zu reagieren scheinen. Manchmal wird, sobald jemand sich nähert, alles dunkel. Das ist tatsächlich hypnotisch und konfrontiert heftig die Rollen von Kunst und Betrachter. Beide sind wohl noch immer auf der Suche nacheinander.

„Trace: L“: Kunst sucht Betrachter – und umgekehrt



Lab.30 – noch am heutigen Samstag, 7. November ab 15 Uhr

» www.lab30.de

» www.erwin-stache.de