„Niemand hat die Absicht, irgendetwas unter dem Deckel zu halten“
Raphael Brandmiller im DAZ-Interview
Raphael Brandmiller wollte sich im Frühjahr von seinem Amt als 1. Vorsitzender verabschieden, weil „zehn Jahre einfach genug sind“, wie er sagt, aber dann sollte alles ganz anders kommen. Der Stadtjugendring befindet sich in seiner größten Krise, seit es ihn gibt, und in dieser Situation will sich der 1. Vorsitzende nicht „aus dem Staub machen“, wie Brandmillers Abgang möglicherweise bewertet worden wäre. „Ich will das Amt solange weiter führen, bis alles komplett ausgeräumt ist“, so Brandmiller, der im DAZ-Interview zur Finanzkrise des Stadtjugendrings Stellung bezieht: „Eine solche Krisensituation ist auch immer eine Chance, Dinge neu zu ordnen, diese Gelegenheit sollten und müssen wir nutzen.“
DAZ: Herr Brandmiller, Sie sind für mich in Sachen Stadtjugendring der erste politische Verantwortliche. Sehen Sie das anders?
Brandmiller: Ich sehe das genauso. Ich bin als Vorsitzender der von der Vollversammlung gewählte politische Vertreter und bin somit für die Entwicklung und Durchsetzung der politischen Leitlinien des SJR sowie die Außenvertretung und Repräsentation des Stadtjugendrings verantwortlich. In diesem Rahmen ist es meine Aufgabe, für die Dinge zu kämpfen, die für die Jugendlichen in Augsburg wichtig sind und die ihnen wichtig sind. Allerdings befinde ich mich nicht im Tagesgeschäft des SJR, denn das Amt des Vorsitzenden ist ein Ehrenamt.
DAZ: Gut, dennoch die Frage, ob Sie mit eigenen Worten kurz und verständlich die Vorkommnisse beschreiben können.
Brandmiller: Der Sachverhalt ist eigentlich einfach, hat aber komplizierte Konsequenzen. Im Endeffekt geht es darum, dass innerhalb der Verwaltung wohl jahrelang gegen geltende Regeln und Vorgaben gehandelt wurde und vermutlich auch Befugnisse überschritten wurden. Die große Frage ist, warum dieses Handeln nicht aufgefallen ist. Das müssen wir lückenlos aufklären und die richtigen Konsequenzen daraus entwickeln und umsetzen. Klar ist allerdings jetzt schon, dass es sich dabei um Vorgänge handelt, die nicht so einfach nachvollziehbar oder offensichtlich waren. Deshalb sind diese Vorgänge wohl auch jahrelang keiner Prüfinstanz aufgefallen.
DAZ: Sie meinen die in der DAZ beschriebenen Vorgänge?
Brandmiller: Ja, ich meine den Gesamtkontext der dort beschriebenen Vorgänge.
„Offenheit hat für uns absolute Priorität“
Die drei Grünen Bewerber um die OB-Kandidatur (v.l.): Nico Kanelakis, Reiner Erben und Raphael Brandmiller
DAZ: Wenn es in Ihrem Sinne laufen sollte, werden Sie von den Grünen Mitgliedern in einer Art Urwahl bis zum 3. April zum OB-Kandidaten der Grünen gewählt. In diesem Falle würden Sie eine Partei in den Wahlkampf führen, die das Wort Transparenz quasi als Tattoo auf der Stirn trägt. Wie lässt sich diese politische Haltung damit vereinbaren, dass Sie von den Vorgängen seit beinahe drei Monaten wissen, ohne dabei die Öffentlichkeit informiert zu haben?
Brandmiller: Eine meiner wichtigsten Pflichten ist es, die Mitarbeiter des Stadtjugendrings vor öffentlichen Verdächtigungen oder Anschuldigungen zu schützen. Und deshalb ist es zuallererst wichtig, Fakten zu klären und keine öffentlichen Mutmaßungen zu verbreiten. Unabhängig davon haben Transparenz und absolute Offenheit für uns auch in diesem Verfahren absolute Priorität. Unsere größte Aufgabe als Vorstand besteht jetzt aber insbesondere darin, die richtigen Entscheidungen für den Stadtjugendring und seine Mitarbeiter zu treffen, Projekte und Arbeitsplätze zu sichern. Deshalb sprechen wir mit allen involvierten Partnern und Institutionen. Sofort nach Entdeckung dieser Vorgänge haben wir sowohl den Bayerischen Jugendring und dessen Innenrevision, wie auch die Stadt Augsburg in Kenntnis gesetzt sowie mit dem Personalrat nach konstruktiven Lösungen für diese Situation gesucht. Es stand und steht für uns als Vorstand aber absolut außer Frage, dass wir diese Vorgänge absolut transparent und rückstandslos aufklären und die Öffentlichkeit darüber informieren werden.
DAZ: Nach fast drei Monaten…
„Worüber hätten wir genau informieren können?“
Brandmiller: …worüber hätten wir in den letzten Wochen genau informieren können? Dieser Sachverhalt, der uns aus heiterem Himmel auf die Füße fiel, ist so komplex, dass er selbst für die Revision des Bayerischen Jugendrings bis heute noch nicht vollständig erklärbar ist. Außerdem ist es uns bei vielen Dingen auch juristisch sowohl arbeits- wie datenschutzrechtlich gar nicht erlaubt, diese zum jetzigen Zeitpunkt an die Öffentlichkeit zu geben. Deshalb ist es selbst heute eigentlich noch zu früh, den Vorgang öffentlich zu besprechen, da immer noch viele Fragen ungeklärt sind und auch der Prüfbericht der Innenrevision des BJR noch nicht vorliegt. Erst wenn das der Fall ist, ist eine seriöse Information der Öffentlichkeit, auf den diese auch einen berechtigten Anspruch hat, möglich und erst dann macht diese auch wirklich Sinn.
DAZ: Entschuldigung, aber auch komplexe Dinge kann man einfach darstellen. Außerdem: Ist es nicht naiv, zu denken, dass man in Vorgänge, die sehr viele Mitarbeiter des Stadtjugendringes direkt oder indirekt mitbekamen oder zu spüren bekamen, bis zum St.-Nimmerleinstag unter dem Deckel halten kann? Wann hat denn die Innenrevision begonnen, wann wird sie beendet sein? Und bis wann wollen Sie spätestens, wie Sie sagen, die „Öffentlichkeit seriös informieren“?
Brandmiller: Also, wie ich jetzt bereits mehrfach betont habe, hat niemand die Absicht, irgendetwas „unter dem Deckel zu halten“. Natürlich war es uns klar, dass eine solche Situation früher oder später eintreten kann.
DAZ: Sie meinen, dass die Presse davon Wind bekommt?
„Die Aufarbeitung läuft auf Hochtouren“
Brandmiller: Ja. Je mehr Menschen in einen Prozess involviert sind, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas passiert. Unabhängig davon würde es niemand weiterhelfen, wenn jetzt munter über letztlich noch nicht vollständig geklärte Sachverhalte spekuliert werden würde. Ich würde das, gerade den betroffenen Mitarbeitern gegenüber, für unverantwortlich halten. Wie gesagt, die Aufarbeitung und die Innenrevision laufen seit Jahresbeginn auf Hochtouren. Wann diese abgeschlossen sind, kann ich nicht sagen, da dies ja letztlich ein externer Vorgang ist, also beim Bayerischen Jugendring liegt. Ich hoffe aber bald.
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DAZ: Sie machten vor knapp einem Jahr in der Vollversammlung des Stadtjugendrings deutlich, dass ohne die viel kritisierten Rücklagen des Stadtjugendrings die Gehälter 2012 nicht mehr ausgezahlt werden könnten, da die zugesagten Zuschüsse der Stadt nicht ausreichen würden, um die Personalkosten zu decken. Damals befanden Sie sich in einem politischen Clinch mit Sozialreferent Max Weinkamm, der die hohen Rücklagen des Stadtjugendrings kritisiert hatte. Wie Sie jetzt wissen, hatte der Stadtjugendring damals nur auf dem Papier Rücklagen. Wenn man Ihre damalige Aussage ernst nehmen will, drängt sich die Frage auf, ob der Stadtjugendring nun ohne Rücklagen zahlungsunfähig ist – beziehungsweise sich in ernst zu nehmenden Liquiditätsproblemen befindet.
„Die befürchteten Liquiditätsprobleme sind nicht eingetreten“
Brandmiller: Wir haben gut gewirtschaftet, und deswegen sind die Liquiditätsprobleme nicht wie befürchtet eingetreten. Aber es wird so sein, dass bestimmte Dinge, die wir in den letzten Jahren machen konnten, nicht mehr machen werden. Eine Aktion wie 11Tausend bei der letzten Kommunalwahl wird es nächstes Jahr wohl nicht geben. Wir haben die letzten Wochen genutzt, um die Liquidität des SJR sicher zu stellen. Es war eine unserer höchsten Prioritäten, den laufenden Betreib des SJR und damit die Arbeitsplätze unserer Mitarbeiter zu sichern. Das ist uns gelungen! Allerdings ist es für den SJR jetzt wichtig, möglichst schnell wieder Rücklagen aufzubauen, wir brauchen diese Polster.
DAZ: „Gut gewirtschaftet“, sorry, aber das verstehe ich nicht ganz. Dem Stadtjugendring gehen Rücklagen von zirka 500.000 Euro ab. Noch vor einem Jahr haben Sie auf der SJR-Vollversammlung sinngemäß gesagt, dass man jeden Cent der Rücklagen brauche, weil man sonst die Löhne nicht bezahlen könne. War das geblufft?
Brandmiller: Eine seriöse Planung erfordert es, von einem Worst-Case-Szenario auszugehen. Dieses ist im letzten Jahr aber nicht eingetreten.
„Es darf keine Denkverbote geben“
DAZ: Sollte man angesichts der Tatsache, dass über viele Jahre, unbemerkt an der Geschäftsführung und an allen Kontrollinstanzen des Stadtjugendrings vorbei, sehr hohe Beträge zweckfremd verbraucht wurden, nicht einen externen Wirtschaftsprüfer einsetzen? Und sollte man nicht die gesamte geschäftliche Organisation näher bei der Stadt angliedern, die den Stadtjugendring zu 90 Prozent unterhält?
Brandmiller: Was diese Fragen angeht, muss jetzt erst mal der Abschlussbericht der Innenrevision abgewartet werden. Für mich ist allerdings klar, es darf keine Denkverbote geben. Denn eines zeigen mir die aktuellen Vorgänge auch: Die bestehende Struktur kann so nicht bleiben. Sie scheint den aktuellen Erfordernissen unserer Arbeit nicht wirklich gewachsen zu sein. Gerade die Option eines externen Wirtschaftsprüfers ist ein Thema, über das sich meiner Meinung nach der Bayerische Jugendring generell Gedanken machen könnte. Speziell bei den großen Jugendringen in Bayern. Eine solche Krisensituation ist auch immer eine Chance, Dinge neu zu ordnen, diese Gelegenheit sollten und müssen wir nutzen.
DAZ: Herr Brandmiller, vielen Dank für das Gespräch.
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Fragen: Siegfried Zagler