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Dienstag, 23.07.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Nicht nur heimlich ein Kinderstück: Hänsel und Gretel im Theater

Die Märchenoper Hänsel und Gretel im Großen Haus: Es handelt sich um eine gelungene Inszenierung, die mit orginellen Regieeinfällen glänzt und für jede Altersgruppe taugt.

Von Halrun Reinholz

Fotos: A.T. Schaefer

Eigentlich heißt das Kinderstück des Augsburger Theaters in dieser Spielzeit „Sindbad der Seefahrer“ und kommt von der Sparte Schauspiel. Noch vor dessen Premiere kam aber nun die Musiksparte mit einem Klassiker für die Vorweihnachtszeit heraus: Engelbert Humperdincks Hänsel und Gretel. Nun gilt die „Märchenoper“ des ehemaligen Assistenten von Richard Wagner in Bayreuth schon aufgrund ihres Namens und des allgemein bekannten Inhalts als „Einstiegsoper“ für musikalisch geförderte Kinder. Gleichzeitig wird sie aber wegen ihrer Transzendenz-Elemente und der durchaus nicht immer eingängigen Musik oft eher für Erwachsene inszeniert. Adelheid Witte, die Schwester von Engelbert Humperdinck, hatte als Librettistin wohl sicherlich auch Kinder zur Zielgruppe, als sie ihren Bruder um die Vertonung ihres Textes für eine häusliche Aufführung bat. Konsequenterweise inszeniert in Augsburg der Gastregisseur Aron Stiehl „Hänsel und Gretel“ ohne Abstriche als kindgerechtes Bilderbuch.

Begehrlichkeiten der Konsumgesellschaft

Das Regie-Team transportiert das Märchen in die heutige Zeit, ohne ihm den Charme des Märchenhaften und damit auch Zeitlosen zu nehmen. So wird die ärmliche Behausung des Besenbinders zu einem Wohncontainer und die Eltern kommen mit Discounter-Tüten daher. Dem gegenüber gestaltet Bühnenbildner Simon Holdsworth aber einen Märchenwald wie aus einem Jugendstil-Bilderbuch, in dem dann statt des Lebkuchenhauses ein Süßigkeiten-Kiosk steht. Hänsel und Gretel stört der vermeintliche Stilbruch ebenso wenig wie das Publikum, weil er in sich stimmig ist und der Märchenwelt entspricht. Selbst die Traumszene im Wald, wo es nicht um den Schutz der Engel geht, sondern um die Erfüllung der (Konsum-) Sehnsüchte der Kinder, zeigt nur, dass die menschlichen Befindlichkeiten über alle Zeiten unverändert sind und nur neue Ausdrucksformen haben – Hänsel träumt vom Weltmeistertrikot der Nationalmannschaft.

Spaßig und unverkrampft



Wunderbar besetzt sind die beiden Hauptprotagonisten Hänsel (Stephanie Hampl) und Gretel (temperamentvoll und mädchenhaft: Cathrin Lange). Als ihre Gegenspielerin zeigt sich die Hexe Rosina Leckermaul (Christopher Busietta) wandlungsfähig von der gestylten Old Lady (die im ersten Akt im Publikum sitzt) zur ungepflegten Alten, die unter der Kittelschürze eine beeindruckend ekelhafte Wampe zur Schau stellt. Ihr Double saust mit dem Besen durch die Luft, dass es eine Freude ist. Und zuletzt deutet sie im Sichtfenster des computergesteuerten Industriebackofens noch ein Striptease an. Originelle (aber nicht plumpe) Regieeinfälle sorgen immer wieder dafür, dass sich auch kleinere Kinder von dem Geschehen auf der Bühne angesprochen fühlen. Zumal auch der Zuschauerraum einbezogen wird und Gretel sogar ein paar Takte dirigieren darf. Umso erstaunlicher, dass die Planung im Spielplan nur eine einzige Nachmittagsvorstellung vorsieht. Für Schüler der Mittelstufe hätte man sich da auch noch die eine oder andere Schulvorstellung wünschen können.

Märchentraum für die Familie



Das „füllige spätromantische Orchester“ dominiert zwar manchmal die Sänger, doch die zeigen sich ausnahmslos souverän und spielfreudig. Gast-Darstellerin Irmgard Vilsmeier singt die Rolle der Mutter immerhin derzeit auch an der Pariser Oper, Dong-Hwan Lee als Vater ist aus dem Ensemble bestens bekannt. Eine echte Überraschung ist die junge Samantha Gaul: Ab dieser Spielzeit beschäftigt das Musiktheater neben den festen Ensemblemitgliedern eine Elevin, um ihr Gelegenheit zu Auftritten auf der großen Bühne zu geben. Samantha Gaul kommt als Erste in diesen Genuss und darf sich an den Partien des Sandmännchens und des Taumännchens mit Bravour erproben. Als Weihnachtsevent für die Familie taugt die altbekannte Märchenoper allemal.