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Dienstag, 23.07.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Neue Themen, neue Stücke, neue Kunden



Dem Theater laufen die Abonnenten in Scharen davon. Will es neue gewinnen, muss es einen Aufbruch wagen: Neue Themen, neue Stücke, neue Kunden. Der kommende Spielplan ist ein Schritt in die richtige Richtung, so Frank Heindl, der sich in seinem Kommentar auch Intendantin Juliane Votteler zur Brust nimmt.

Aufbruch? – Mehr davon!

Kommentar von Frank Heindl

Die Zahl der Theaterabonnements, so hatte der kaufmännische Direktor Steffen Rohr kürzlich vor dem Werkausschuss geklagt, sei „im Sinkflug begriffen“. Aus finanzieller Sicht mag das fürs Stadttheater tatsächlich ein Problem sein, auch aus planerischer Sicht sind per Abo vorweg verkaufte Tickets natürlich ein beruhigender Posten. Andererseits gelten Abonnenten nicht nur in Augsburg oftmals als künstlerischer Bremsklotz: Wer sich ein Abo leisten kann und will, gehört oftmals einer Bevölkerungsgruppe an, deren Vorlieben, nun ja, nicht eben allzu sehr dem modernen Theater zugetan sind.

In Augsburg stellt sich dieser Sachverhalt wohl noch etwas verschärft dar. Wer in der vergangenen Spielzeit die „Fledermaus“ gesehen hat, weiß, wovon die Rede ist: Die Inszenierung war künstlerisch gewagt, die Proteste dagegen waren teilweise beschämend kleinbürgerlich-intolerant und an einer althergebracht biederen Ästhetik orientiert, deren Fortführung jeden Fortschritt im Theater unmöglich machen würde. Noch schlimmer, noch mehr von Intoleranz und der Abwesenheit jedes Sachverstands geprägt waren genervte Nörgler, die während der Premiere des „Weißen Albums“ schon die ersten paar Minuten Stille kaum und das anschließende absurd-lustige Endlos-Durcheinander auf der Bühne noch weniger ertragen konnten.

Ein Theater, das sich ein Publikum für die Zukunft erhalten und aufbauen will, darf und kann sich nicht allzu sehr an solchen Zuschauerschichten orientieren. Es muss sich stattdessen neuen Themen, neuen Stücken, neuen Kunden zuwenden. Der am Montag der Öffentlichkeit vorgestellte Spielplan 2012/13 ist ein Schritt in die richtige Richtung: Das Augsburger Schauspiel bringt Stücke auf die Bühne, die ihren Fokus auf die Gegenwart legen, die mit den Problemen, Aufgaben und Sorgen heutiger Menschen zu tun haben.

Manches war allzu behäbig

Szene aus Heike Franks „Ermittlung“

Szene aus Heike Franks „Ermittlung“


In der Theaterleitung wie im Ensemble gibt es eine große Bereitschaft, sich mit der neuen Brechtbühne auch neuen Spielweisen, neuen Themen, neuen Interpretationen zu nähern. Viele wünschen sich hier prononciertere Inszenierungen, deutlich hörbar war in der letzten Saison nicht nur im Publikum, sondern auch aus dem Theater heraus die Kritik an gelegentlich allzu behäbigen Inszenierungen, an allzu unpolitischen „Räubern“, an einer Originaltreue, die dem gegenwärtigen Verständnis großer Bühnentexte entgegensteht. Und die Schauspieler freuten sich nicht nur hinter den Kulissen über neue Regisseure, sondern zeigten mit spürbarer – und auf das Publikum überspringender – Spielfreude ihre Lust auf Experiment, rasante, lebendige, mitreißende Inszenierungen. Die Regisseurin Heike Frank demonstrierte mit ihrer „Ermittlung“ im Justizpalast, dass ein moderner Zugang durchaus nicht oberflächlich sein muss, sondern anhaltende Aktualität umso drückender deutlich macht. Vor allem aber bewies sie, dass das Publikum für solche Inszenierungen da ist – wer hätte zu prophezeien gewagt, dass einem Stück des Kommunisten Peter Weiss über die Aufarbeitung der Judenvernichtung, aufgeführt im Justizpalast, im konservativen Augsburg ein solcher Erfolg beschieden sein würde?

Auch beim Musiktheater stehen durchaus moderne Stücke auf dem Programm. Möglicherweise könnte ja auch hier der Versuch fruchten, noch mehr aus dem ewigen Kreislauf des „Kanons“ auszuscheren. Ist es wirklich ein Manko, dass im „Wagnerjahr 2013“ in Augsburg kein Wagner, dass im „Verdijahr 2013“ kein Verdi inszeniert wird? Nein!, möchte man ausrufen, vor allem nicht, wenn viele Theater in der näheren und ferneren Umgebung ohnehin genau dies tun: Verdi und Wagner inszenieren, wenn ihnen der Jubiläumskalender Verdi und Wagner vorschreibt.

„Interkultur“ als Markenzeichen der Philharmoniker

Am konsequentesten geht Generalmusikdirektor Dirk Kaftan mit den Herausforderungen um: In den vergangenen drei Jahren habe er „fast keine Schule ausgelassen in Augsburg und Umgebung“, berichtete er bei der Spielplanpräsentation. Kaftans Orchester geht zu seinen zukünftigen Hörern, versucht, in breit angelegter Vermittlungstätigkeit den Besuchernachwuchs der Zukunft selbst zu generieren. Außerdem hat Kaftan den Anteil neutönerischer Musik in seinen Sinfoniekonzerten auf ein erstaunliches Ausmaß angehoben – und dazu noch die „Interkultur“ zu einem weiteren Markenzeichen der Augsburger Philharmoniker erhoben. Ergebnis: Sogar ins „abgelegene“ Gersthofen folgte ihm sein Publikum. Und mit dem vielen Sponsorengeld, das Kaftan neuerdings zur Verfügung hat, holt er nicht nur arrivierte Sänger und Instrumentalisten aus dem „E-Bereich“ nach Augsburg, sondern in der kommenden Spielzeit beispielsweise auch den indischen Perkussionisten Trilok Gurtu, der seine musikalische Heimat im Jazz und in der Weltmusik hat.

Gefordert ist auch Wagemut

Das sind Lösungen, die Schauspiel und Musiktheater nicht einfach abkupfern können – in deren Spielplan allerdings zeigt sich nicht einmal ein Ansatz dazu, mit Immigranten in Kontakt zu kommen. Da ist noch viel zu tun – und da ist Wagemut nötig. Ein Publikum und eine Stadt, die modernes Theater wollen, müssen das Misslingen einkalkulieren. Es muss möglich sein, dass hoch subventionierte Theatersessel auch mal leer bleiben – die Regel darf es nicht werden. Vonnöten ist dazu auch eine Theaterleitung, die feinnervig auf Kritik reagiert, ohne gleich dünnhäutig zu werden – auch das ist eine Kunst, die in Augsburg durchaus noch Fortschritte machen kann.

Braucht Augsburg vier Sparten? Lohnen die Millioneninvestitionen in Sanierungen, Ersatz- und Neubauten? Droht der „Kulturinfarkt“ den Gemeinden oder sogar den Konsumenten? Können Kulturinstitutionen wie die Theater sinnvoll an der Gestaltung der Gesellschaft mitarbeiten? Eine Antwort auf die vielen Fragen in der derzeitigen Diskussion kann das Theater selbst geben: mit noch mehr Aufbruch, noch mehr Neuentdeckung. Und mit mehr Zukunftsorientierung, mit der Gewinnung neuer Besucherschichten, mit der Verjüngung von Angebot und Publikum. Es müssen nicht gleich Abonnenten sein – ernsthafte Zuschauer und Zuhörer reichen schon.

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Frank Heindls Kommentar erschien erstmalig am 3. Mai 2012.