„Nach dem 1:0 haben wir balla balla gespielt“
Bremen vs. Augsburg: Großes Spiel auf großer Bühne!
Von Siegfried Zagler
Der Auftritt des FC Augsburg und seiner 3.000 köpfigen Anhängerschar im DFB-Pokal-Halbfinale vergangenen Dienstagabend ist in der Sportöffentlichkeit bundesweit mit Respekt und Anerkennung aufgenommen worden. Die Augsburger Performance auf dem Rasen und den Rängen des Bremer Weserstadions war erstklassig. Für die Augsburger Mannschaft gilt das allerdings eingeschränkt.
„Wir müssen uns den Vorwurf gefallen lassen, dass wir den Respekt zu spät abgelegt haben“, so FCA-Kapitän Möhrle, der zusammen mit Michael Thurk nach dem Spiel zu den wenigen Augsburgern gehörte, die nach dem Pokal-Aus im Halbfinale nicht reflexartigartig und fatalistisch ergeben auf die überlegene „individuelle Qualität“ der Bremer verwiesen. Werder Bremen hat im DFB-Pokal seit 1988 keine Heimspiel mehr verloren. Ausgeschieden sind die Bremer in den letzten 22 Jahren nur auswärts. Am vergangenen Dienstag war diese unglaubliche Serie nicht ernsthaft gefährdet, obwohl die Bremer – wie Claudio Pizzaro in perfektem Fußballerdeutsch bemerkte – nach dem „1:0 balla, balla gespielt haben“, was sich für in der Fachsprache Unkundige mit „Fußball ohne Hirn und Verstand“ übersetzen lässt. Wenn man dann noch hinzufügt, dass eben bis zum 1:0 – und das ist die doppelte Ironie des Fußballabends – der FCA sich in ersten halben Stunde beinahe selbst (er)schlug, muss man mit aller Schärfe zu dem Schluss kommen, dass es an diesem Abend nicht nur die Qualität der anderen war, sondern auch eigene falsche taktische Ausrichtung, die dem FCA den Einzug ins DFB-Pokalfinale nach Berlin vermasselte.
„Erklärungsversuche aus der Mottenkiste der unverstehbaren Phänomene“
Hätten die Bremer zur Pause mit drei Toren Unterschied geführt, hätte sich niemand unter den Augsburgern Anhängern beschweren können. Als Ursache der Bremer Option das Spiel frühzeitig zu entscheiden, sind aber nicht die strapazierten Erklärungsversuche aus der Mottenkiste der „unverstehbaren Phänomene“ anzuführen („völlig verschüchtert“, „beeindruckt“ „zuviel Respekt“ usw.), sondern die verwegene Idee von FCA-Trainer Jos Luhukay „Ibo“ Traore von der Außenbahn in die Sturmspitze zu stellen. Luhukays Einfall, Traore von Beginn an zusammen mit Thurk als zweite Spitze spielen zu lassen, ist als taktischer Kniff zwar nachvollziehbar, hätte aber nach spätestens 20 Minuten korrigiert werden sollen. So aber folgte eine Bremer Angriffswelle, nach der anderen, ohne dass der FCA etwas Entlastendes dagegen zu setzen in der Lage gewesen wäre. Traore fehlte als Anspielstation und Tempoaufnehmer in der eigenen Hälfe an allen Ecken und Enden und phasenweise schien es, als würde der FCA ohne seinen kreativen Schlüsselspieler zu Werke gehen. Traore fand in der ersten Halbzeit kaum einen Laufweg, der ihn als Stürmer kennzeichnete. Beide Spitzen hingen wirkungslos in der Luft und wurden lediglich mit schwer verwertbaren weiten Bällen bedient. Thurk und Traore sollten – anders waren die ersten 30 Minuten des Spiels nicht zu verstehen – von einer tief gestaffelten FCA-Defensive mit weiten Bällen in Szene gesetzt werden.
Zweiter Ball? Fehlanzeige! Nach vorne gab es bei den Augsburgern in den ersten 30 Minuten weder kontrollierte Initiative, noch kontrollierten Spielaufbau noch engagiertes Aufrücken. Ballbesitz der Augsburger führte in der in der ersten Halbzeit meist postwendend zum Ballverlust, da Traore und Thurk als mögliche Quasi-Adressaten der weiten Bälle von der Bremer Abwehr problemlos abgelaufen wurden, beziehungsweise im Luftkampf gegen die beiden Bremer Innenverteidiger Naldo und Mertesacker den Kürzeren zogen. Augsburger Vorwärtsbewegung fand bis zum 1:0 der Bremer nur ansatzweise statt oder war zu strukturlos und ohne die notwendige Verve, um das Spiel in Balance zu halten.
„Das Ganze zählt mehr als die Summe der Einzelteile“
Marins 1:0 in der 30. Minute löste beim FCA eine Trotzreaktion aus, die dazu führte, dass die Augsburger vorübergehend ihre taktische Ausrichtung vergaßen. Thurks spektakulärer Innenpfostenball kurz vor der Ende der ersten Halbzeit entstand aus einem der zwei drei kreativen Momente des FCA in Halbzeit eins. Eine Aktion die die Augsburg-Fanfare zu einem Fußballspiel auf Augenhöhe blies. Thorsten Frings Interpretation, dass Werder in den ersten 30 Minuten ein Tempo angeschlagen habe, dass der FCA aus von der Zweiten Liga her nicht kenne, kann man nur bedingt gelten lassen. Freiburg und Köln wurden mit Tempofußball und Traore vom FCA aus dem Pokal gekegelt.
Selbstverständlich haben Özil, Pizarro, Frings, und „Mikro-Messi“ Markus Marin in der Summe mehr kreative Qualität als Brinkmann, Ndjeng, Traore und Thurk. Doch das zählt im Pokal weniger als im Ligabetrieb. Vermutlich ist Werder sogar auf jeder Position objektiv besser besetzt als der FCA, weshalb diese Form der Qualitätszuschreibungen für ein Pokalspiel wenig Sinn ergibt. In einem Fußballfight mit finalem Charakter zählt das Ganze ohnehin mehr als die Summe der Einzelteile. Mit „das Ganze“ ist das Zusammenwirken des Teams zu verstehen.
In Halbzeit zwei zeigte der FCA zirka 25 Minuten den besten Fußball in dieser Saison. Luhukay hatte die erste Halbzeit richtig gelesen und verordnete Traore die linke Außenlinie. Traore hielt sich konsequent an diese Order und gestaltete mit seinem Positionshalten die Offensive breiter und flexibler. Ndjeng schaltete sich aktiver und wirkungsvoller in den Angriff ein und urplötzlich agierte der FCA flüssig und gefährlich in Richtung Tim Wiese. Hätte Thurk die größte FCA-Chance in der 50. Minute genutzt, wäre es – so mutmaßte Werder-Trainer Thomas Schaaf – ein spektakuläres Spiel geworden. In der zweiten Halbzeit war zirka bis zur 70. Minute der FCA die bessere Mannschaft. Aus Ballbesitz wurde tatsächliche Ballkontrolle und wie von Geisterhand und den frenetischen Gesängen des phantastischen Anhangs geleitet, spielten der FCA kultivierten Druckfußball, suchte man „hintenrum“ nach freien Räumen und tödlichen Pässen. Wäre in dieser großartigen Augsburger Phase der Ausgleich gefallen, wäre alles möglich gewesen. Dass sich die Bremer zu Hause vom FCA mit spielerischen Mitteln unter Druck setzen ließen, beeindruckte die bekanntermaßen nicht sattelfeste Werder-Abwehr und verursachte Fehler im Spielaufbau der Bremer. „Balla, balla“, wie Pizarro richtig analysierte. Der läuferische Aufwand beider Mannschaften war durchgehend hoch und als Luhukay in der 60. Minute (Rafael für Sinkala) und in der 67. Minute (Baier für Brinkmann) versuchte, den kreativen Offensivschub des FCA zu verstärken, fand Werder-Trainer Schaaf die passende Antwort. In der 62. Minute kam Borowski für Hunt und in der 75. Minute Almeida für den ausgepowerten Dauerläufer Özil.
„Augsburg ist viel schöner als Berlin“
FCA Mannschaftsaufstellung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: Besser kann man sich als Stadt nicht präsentieren"
Die spielerische Überlegenheit des FCA verpuffte zusehends und Pizarro sorgte im Zusammenspiel mit Hugo Almeida wieder für mehr Gefahr vor dem FCA-Kasten. Das Match schien trotz des knappen Spielstands gelaufen. In der 84. Minute entschied eine „Mütze Sekundenschlaf“ die rassige Partie. Ein schnell ausgeführter Frings-Freistoß an der Mittellinie erreichte den völlig freistehenden Pizarro, der im Strafraum den Ball in aller Ruhe annehmen – und eins zu eins gegen Jentzsch verwerten konnte.
Vor 31.650 Zuschauern im Weserstadion und 5,87 Millionen Zuschauern an den Fernsehschirmen unterstrichen die Augsburger auf großer Bühne ihre Bundesligatauglichkeit nicht nur auf dem Rasen. Als sich das Tor nach Berlin für den FCA endgültig zu schließen begann, skandierten die Fans „Augsburg ist viel schöner als Berlin“. Laut Auskunft der Pressestelle der Bremer Polizei gab es keinen einzigen negativen Zwischenfall aus den Reihen der FCA-Fans zu notieren. Weder die Kulturhauptstadtbewerbung noch das Augsburger Friedensfest hatten annäherungsweise jene positive bundesweite mediale Resonanz erhalten wie der Auftritt der Augsburger Kicker in der Hansestadt Bremen. Im Vorfeld wie in der Nachlese stand nicht nur der FCA in allen großen Tageszeitungen im Fokus der Betrachtung. Fugger, Diesel, Brecht, Bernd Schuster und Puppenkistengründer Walter Oehmichen seien die wichtigsten Augsburger aller Zeiten, so ein Berliner Blatt. Viel besser hätte das Götz Beck auch nicht sagen sagen können.