Nach 14 Jahren – endlich fertig
Gestern wurde das Textilmuseum eröffnet – ab heute darf der Bürger rein
Von Frank Heindl
„Der Klang der Stadt“ war der Titel eines Konzerts mit Neuer Musik, das im vergangenen November im noch nicht eröffneten Textilmuseum stattfand. Höhepunkt des Abends war die Komposition „komp-f.wbstuhl-e“, in der sich orientalische Klänge und zeitgenössische Jazzmusik mit den Rhythmen der Webstühle vermischten (siehe Galoppierende Webstühle und Interview mit Dirk Kaftan). Mit einem kurzen Auszug aus diesem Stück begann am Mittwoch die lang erwartete und immer wieder verschobene Eröffnung des Augsburger Textil- und Industriemuseums (tim).
Wenn Kultur auch Transformation bedeutet – und darauf hob schon Oberbürgermeister Dr. Kurt Gribl in seiner Eröffnungsrede ab –, dann konnte man kaum einen besseren Einweihungssound finden. Denn so, wie diese Komposition den Sound der Maschine in Musik verwandelt, so sind die Fertigkeiten, Gebräuche, Architektur und gesellschaftlichen Verhältnisse mit der Textilindustrie und durch die Textilindustrie verwandelt, transformiert worden – zu Kunst, aber auch zu Alltag, zu Lebensweise, zu Mode, zu Gesellschaft. Kurz gesagt: Die Textilindustrie hat Augsburg und uns Augsburger, auch wenn uns das nur noch wenig bewusst ist, geprägt, verwandelt, beeinflusst.

Vorne von links: Peter Grab (Kulturreferent), Bernd Kränzle (CSU-Fraktionsvorsitzender im Stadtrat, Landtagsabgeordneter), Wolfgang Heubisch (bayerischer Wissenschaftsminister), Paul Wengert (Altbürgermeister), Jürgen Reichert (Bezirkstagsvorsitzender). Hinten Oberbürgermeister Dr. Kurt Gribl, Museumsleiter Dr. Karl Borromäus Murr | Fotos: Stefan Steinhagen
Das alles und noch viel mehr will das neue Museum zeigen – gestern haben es die Eröffnungsgäste besichtigt, ab heute steht es den Bürgern offen. Eigentlich sollte der Sinneseindruck schon außen beginnen – dazu ist es im Moment allerdings noch ein bisschen früh. Weil dort noch nicht alles fertig ist, sollte man das wunderschöne Gebäude derzeit zunächst von innen genießen. Das Grazer Architekturbüro Klaus Kada hat Großartiges geleistet, hat die Form der alten Shedhallen äußerlich bewahrt und sich doch innen große gestalterische Freiheiten erobert, die das Haus schon beim Eintritt zu einem Erlebnis machen. Man darf hoffen, dass das Beispiel Schule macht, dass die Pläne der Stadt, in den Hallen nebenan in naher Zukunft das Stadtarchiv unterzubringen, nicht doch noch scheitern. Und vor allem, dass die weitere Erschließung des Textilviertels nicht doch noch in die Fahrwasser der grauenhaften Verhunzung des Fabrikschlosses gerät.
Dem Förderverein ist all das zu verdanken
Außen noch ein bisschen pfui: die unrenovierten Shedhallen der NAK, hoffentlich später einmal Heimat des Stadtarchivs …
Drinnen jedenfalls gab’s gestern einige Reden, die sich vor allem dahingehend zusammenfassen lassen, dass es ohne den Förderverein und dessen rührigen Vorsitzenden Werner Heidler das Textilmuseum aller Wahrscheinlichkeit nach heute gar nicht gäbe. Heidler, selbst einstmals Stoffdrucker bei der NAK – der Neuen Augsburger Kattunfabrik –, später hauptberuflicher Textilgewerkschafter, hatte den Förderverein vor 14 Jahren gegründet – zusammen mit Mitstreitern, die vom endgültigen Niedergang der Augsburger Textilindustrie betroffen waren und ihre Erinnerungen und die Augsburger Geschichte in ein Museum retten wollten. „Wir hatte keine Ahnung, aber davon viel“, fasst Heidler die damalige Lage zusammen. Tatkräftige Laien sind aber mitunter durchsetzungsfähiger als zaudernde Politiker, und so kann Heidler heute witzeln, während seines Kampfes habe er drei Ministerpräsidenten, drei Minister, drei Bürgermeister und drei Kulturreferenten überstanden. Heidler selbst ist immer noch im Amt und ließ sein offenbar eher sonniges Gemüt über die versammelten Gäste strahlen – da freute sich einer über das endlich vollbrachte Stück Lebenswerk.
Trotzdem – das tim ist kein Werk provinzieller Eigenbrötler. Man darf dem bayerischen Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch durchaus zustimmen, der sich eine Bedeutung des Museums im deutschlandweiten, ja europäischen Maßstab vorstellt. In der Tat gibt es ein Museum wie den Augsburger 21-Millionen-Bau hierzulande allenfalls – und ganz anders – in Bocholt an der holländischen Grenze. Und in der Tat ist in Augsburg museumspädagogisch alles auf dem neuesten Stand – Geschichtswissenschaftler werden ihre Freude an der perfekten Aufbereitung haben, die Geschichte anhand von Menschen, Maschinen, Moden nacherlebbar macht. Und vor allem: Die Geschichte nicht als abgeschlossenes und abgetanes Kapitel der Vergangenheit sieht, sondern sie auf ihre Bedeutung für die Gegenwart hin befragt und Antworten gibt, die auch Aussagen über das „moderne“ Leben von heute machen.
Maschinenlärm, Ölgeruch, Bikinimode
„Nicht nur sinnhaft, sondern auch sinnlich“ solle das Haus sein, sagt Museumsleiter Dr. Borromäus Murr. Der Besucher solle das Rattern der Maschinen hören, ihren Ölgeruch schnuppern. Das kann man in den neuen Hallen sehr wohl, muss sich allerdings nicht vor allzu heftigen Sinneseindrücken fürchten: Die Maschinenhalle ist akustisch durch Glaswände vom Rest des Museums getrennt und außerdem vibrationsgelagert – auch wenn die alten Webmaschinen heftig vor sich hin rattern, spürt man das im Rest des Gebäudes in keiner Weise, kann sich stattdessen in den Anblick von Bikinimode vom Anfang des vergangenen Jahrhunderts vertiefen oder leicht verrückte Klamotten der Gegenwart bestaunen, etwa die Hi-Tech-Lederhose von Lodenfrey, in der kein Hirschfänger mehr Platz hat, das Handy aber perfekt verkabelt ist – ein Ausblick in die Zukunft, der hoffentlich noch nicht so schnell wahr wird.
Nach Meinung von Prof. Uwe Brückner, dessen Büro für die Innenarchitektur des tim verantwortlich zeichnet, wird vor allem ein Höhepunkt des Museums „Designer aus der ganzen Welt anziehen“: die Präsentation der Stoffmustersammlung der NAK, die tatsächlich weltweit einzigartig sein dürfte. Schade, dass man die Musterbücher nicht selbst in die Hand nehmen kann – nur wenige von ihnen werden hinter Glas präsentiert, zu lichtempfindlich sind die historischen Objekte. Stattdessen hat man sich eine fast schon geniale Methode ausgedacht, mit der der Besucher die Stoffe nicht nur betrachten, sondern sogar selbst „ausprobieren“ kann: Mittels eines Computers und eines Beamers kann er die Muster auf eine der drei riesigen „Grazien“ projizieren, die den Mittelgang des unteren Stockwerks einnehmen. Die Muster lassen sich beliebig kombinieren, vergrößern, farblich verändern – ein Bastelprogramm für zukünftige Modedesigner.
Von denen hatten sich gestern ebenfalls viele im tim eingefunden: Die Deutsche Meisterschule für Mode in München präsentierte auf dem Laufsteg im ersten Stock des tim ihre Entwürfe in einer Modenschau. Menschen, Mode, Maschinen, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: Alles war am Eröffnungstag vertreten – ein guter Start.
Das tim ist täglich außer Montag von 9 – 18 Uhr geöffnet.
Eintrittspreis: 4 Euro, ermäßigt 3 Euro, am Sonntag 1 Euro
» www.timbayern.de