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Freitag, 22.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Muss Theater wirklich sein?

Leere Kassen, gigantischer Sanierungsrückstau: Für Augsburg stellt sich die Frage, warum und für wen es welches Theater braucht – und zu welchem Preis.

Von Siegfried Zagler

Hinterhofromantik mit Dampfheizung: Theaterwerkstätten in Augsburg

Hinterhofromantik mit Dampfheizung: Theaterwerkstätten in Augsburg


Augsburg ist mit seinen Sorgen nicht allein: Marode bauliche Zustände und Etatkürzungen bedrohen eine Reihe von Theatern in der einzigartigen deutschen Theaterlandschaft. Rostock, Erlangen, Heidelberg, Mannheim und nicht zuletzt Wuppertal – die Liste der sanierungsbedürftigen Stadt- und Staatstheater ließe sich beliebig weiterführen. In Augsburg ist die Situation bezüglich des Sanierungsrückstaus im Großen Haus ähnlich dramatisch wie im Wuppertaler Schauspielhaus, das noch 2009 für 6,5 Millionen Euro saniert werden sollte, aber 2010 aus Haushaltsgründen komplett geschlossen wurde.

Der Stadtsäckel ist nicht nur in Augsburg leer. Die Krise der Kommunen ist in aller Munde und die städtischen Sparkommissare kennen kein Pardon und keine Tabus. Deshalb hat Kulturreferent Peter Grab kürzlich ein Papier vorgelegt, das einen kulturpolitischen Sparweg vorzeichnet. Betroffen sind alle städtisch subventionierten Festivals und eine Vielzahl kultureller Einrichtungen. Das Augsburger Stadttheater soll aber von gravierenden Etatkürzungen verschont bleiben. Ein deutliches politisches Signal für das Augsburger Stadttheater, das von Peter Grab und der städtischen Kulturpolitik insgesamt offensichtlich reflexartig geschützt wird. Öffentliche politische Bekenntnisse für ein städtisches Theater mit drei Sparten gibt es zwar zahlenmäßig beinahe so viele wie Schreckensmeldungen über die baulichen Mängel, ob allerdings die Stadtverwaltung die Gesamtsanierung tatsächlich zu stemmen gewillt ist, ist genauso unklar wie die Frage, ob die Augsburger Stadtgesellschaft ihr Theater in der bisherigen Form mitzutragen noch bereit ist.

„Theater muss sein!“

Für die Gesamtsanierung gibt es immerhin einen von Finanzreferent Hermann Weber zu Beginn dieses Jahres vorgestellten Finanzierungsplan. Fast 90 Millionen Euro würde das gigantische Sanierungsprojekt benötigen, über 60 Millionen für den Neubau eines Schauspielhauses, der Verwaltung und der Werkstätten, 27 Millionen für die Sanierung des Großen Hauses. Ein Drittel würde der Freistaat zuschießen. Den Eigenanteil von 60 Millionen müsste die Stadt über 20 Jahre finanzieren, drei Millionen Euro jährlich. Dem städtischen Haushalt drei Millionen Euro jährlich für die Gesamtsanierung des Theaters abzuringen, dürfte nicht nur haushaltstechnisch schwer zu jonglieren sein, sondern auch, angesichts der sechs Millionen Euro Sparvorgaben pro Jahr, politisch schwer vermittelbar sein.

„Theater muss sein!“ Mit diesem Slogan ging der Deutsche Bühnenverein vor vielen Jahren auf Sendung. Natürlich muss Theater sein. Die Frage ist nur, welches und warum, für wen, mit welchen Strukturen und für welchen Preis? Ist die Stadtgesellschaft, der man in den kommenden Jahren nicht wenige Sparmaßnahmen zumutet, noch gewillt, ein Stadttheater in dieser Kostendimension zu tragen? Ist ein Theater, das mit 13 Millionen Euro städtischer Zuschüsse im Jahr für den laufenden Betrieb zirka 50 Prozent des gesamten Kulturetats in Anspruch nimmt, in Augsburg noch zukunftsfähig?

„Muss Theater, wie wir es kennen, wirklich sein?“

Diese Fragen müssen jenseits der Programmvorworte und Sonntagsreden der jeweiligen Theaterleitung beantwortet werden. Muss Theater so wie wir es heute kennen wirklich sein? Brauchen wir noch die beinahe ungebrochene, im 19. Jahrhundert von den Fürstenhöfen übernommene Repräsentationsbühne mit einem festem Haus, einem festen Ensemble und festem Repertoire, als Ort der Orientierung, Pflege der Aufklärung und der kulturellen Bildung? Diese Frage ist nicht rhetorisch gestellt, sondern angesichts der zunehmenden kommunalen Finanzierungsschwierigkeiten und angesichts einer sich in Lichtgeschwindigkeit verändernden Gesellschaft eine ernsthaft zu untersuchende Frage.

Was verbindet die Bürgerschaft mit dem Augsburger Stadttheater? Verbindet man damit eine gewachsene Struktur für die unerschrockene Auseinandersetzung der eigenen Existenz, einen fernen Spiegel, ohne den unsere Lust, uns selbst und unsere Gesellschaft verstehen zu wollen, ihre Kraft verliert? Verstärkt das Theater unsere Reflexionsfähigkeit und verbindet man mit seiner jeweiligen „Hausbühne“ den kulturellen Stellenwert seines Wohnortes? Was kann uns das Spiel auf der Bühne heute und in der Zukunft geben? Kann sich das das Augsburger Stadttheater aus sich selbst heraus begründen, da es tief in der Stadtgesellschaft verankert ist? Oder steht das Theater nur für sich selbst? Ist eine „Schließung aus künstlerischen Gründen“ (Bert Brecht) notwendig oder eben gerade nicht? Oder kann die seit vielen Jahren brachliegende Augsburger Kulturpolitik diese sehr schwierige Frage einfach umschiffen, indem man das Theater buchstäblich „von innen heraus“ an seiner maroden Bausubstanz zu Grunde gehen lässt? Die DAZ hat sich vorgenommen, diese Fragen in den kommenden Wochen, Monaten und Jahren dergestalt hartnäckig abzuarbeiten, dass es weder für die die Theaterleitung noch für die Politik ein Entrinnen geben kann.