DAZ - Unabhängige Internetzeitung für Politik und Kultur
Dienstag, 11.03.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Musik der Vorurteile und Missverständnisse

Festival der 1000 Töne: Das Ensemble Sarband spielte im Goldenen Saal

Von Frank Heindl

Wie sich Ost und West, Orient und Okzident musikalisch durchdringen – das war schon immer das Thema, dem sich das Ensemble Sarband mit seinen Konzerten und Aufnahmen widmete. Am Freitag im Goldenen Saal des Rathauses wurde es schwieriger: Wie sich die Musiken aus Ost und West im gegenseitigen Missverständnis entwickelten, wie Vorurteil, Klischee und schöner Schein auch in der Musik das Gegenüber unkenntlich machten, wie auch in der Kunst oftmals nur das Ich im Anderen gespiegelt wird – das war diesmal das Thema.



„Orientalismus“ – zu diesem Thema hatte Vladimir Ivanoff, der Leiter von „Sarband“ schon in der Woche zuvor einen erhellenden Vortrag gehalten (DAZ berichtete). Nun galt es, die Theorie am praktischen Beispiel zu erläutern. Und Sarband tat dies wiederum auf erhellende Weise: Da sind zunächst die osmanischen Kompositionen des 19. Jahrhunderts. Die Türkei war in ihrer Bedeutung für den Westen stark geschrumpft, man litt im Orient unter dieser Zurückstufung und reagierte mit Anpassung – auch in der Kunst. Sultan Abdülaziz etwa war ein Kenner der klassischen türkischen Musik – komponierte aber auch „klassisch westlich“, unter anderem fürs Klavier. Sarband nun schaffte den doppelten Kunstgriff, die türkische Musik des 19. Jahrhundert von allen Seiten zu beleuchten: Türkische Kompositionen erklangen nicht nur mit klassisch europäischen Instrumenten, sondern wurden auch „rückinstrumentiert“, indem zum Beispiel Ney-Flöte und arabische Kniegeige neben Cello und Flügel eingesetzt wurden. So schien im Gewand europäischer Musiktradition die orientalische Herkunft der Stücke durch.

Was ist „orientalisch“, was verfälscht?

Wurde den akustischen Anforderungen nur schwer gerecht: Goldener Saal


Doch auch von der westlichen Seite aus lässt sich der Entfremdungsprozess analysieren. Maurice Ravels „Séhérazade“ etwa gibt sich nicht nur im Titel orientalisch, sondern auch im Tonmaterial. Und doch ist dieser „orientalische“ Sound eine Schimäre: Ravel verwendet Skalen, die sich zwar für den Europäer exotisch anhören, im Orient aber nie Verwendung fanden – der Komponist bedient ein europäisches Bild vom Orient, das sich im 19. Jahrhundert vollkommen vom realen Osten gelöst hatte. „Das Morgenland“, so Ivanoff, sei zur Projektionsfläche von europäischen Phantasien geworden: Gewalt, Erotik, Homosexualität – das Verdrängte und Verbotene durfte sich in den Phantasien von Haremsleben und Sultans-Allmacht austoben, die Musiken von Ravel oder Chausson boten den Hintergrund für einen „Orient ohne Ort“, wie er in Europa geträumt wurde, aber nie existiert hat – westliche Ideologie und Komponisten-Ego waren allemal stärker als echtes Interesse an musikalischen Traditionen.

Was am Ende „echt orientalisch“, was verfälscht und erfunden ist, lässt sich so genau längst nicht mehr sagen, weil die Durchdringung gegenseitig war. Dieses Vexierspiel, das Oszillieren verschiedener Welten und Vorstellungen in ein und derselben Musik, wurde während des Konzertes noch unterstützt durch zurückhalten-illustrierende Diaprojektionen. Auch die dabei präsentierten Gemälde zeigten einen vorgestellten Orient – westliche Interpretationen, bei denen stets offen bleiben musste, wie viel Phantasie und wie viel „Wahrheit“ sie enthalten.

Dass man es der aus dieser Vermischung von Klischee und Vorurteil entstandenen Musik nur schwer anhört, wie sehr sie auf Ignoranz und Missverständnis beruht, ist wiederum ein Problem von genauem Hinhören und dem Grad des Interesses an der anderen Kultur. Insofern war das Konzert in der Tat auch ein volkskundlich-musikwissenschaftliches Experiment – mit vielen Parallelen dazu, wie die einander immer noch fremden Kulturen noch heute miteinander umgehen.

Der Goldene Saal ein akustisches Problem

Umso mehr trat die Theorie in den Vordergrund, als der Goldene Saal einmal mehr den akustischen Anforderungen nur schwer gerecht werden konnte. Dilek Geçers Sopran und die orientalischen Instrumente konnten sich noch leidlich gegen die äußerst hallige Indifferenz durchsetzen – der Flügel aber blieb vor allem bei Franz Liszts „Grande paraphrase“ allzu diffus, Liszts Akkordtürme und Sechzehntelkaskaden verschwammen zumindest in der hinteren Hälfte des Saals zum Tonbrei – und auch vom Cello war mitunter nur wenig zu hören, Differenziertes wurde wohl gespielt, ging aber auf dem Weg zum Ohr verloren. Umso mehr spricht es für die Qualität der Darbietung, dass die Musik faszinieren konnte und am Ende den verdienten, langen Applaus erhielt.