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Dienstag, 23.07.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Städtewettbewerb

UNESCO-Welterbe: Gibt es andernorts eine ähnlich kunstvolle Wasserwirtschaft?

Wer auf die vermessene Idee kommt, die bayerische Landeshauptstadt München mit der Stadt Augsburg zu vergleichen, dem soll gesagt sein, dass das Haushaltsvolumen Münchens um das 8-fache (8,1 Milliarden) höher ist als das der Stadt Augsburg.

An der Kultur lässt sich das sehr deutlich ablesen. München hat eine weltweit beneidete Theaterlandschaft, eines der besten philharmonischen Orchester überhaupt, ein Literaturhaus, einen Überhang an Konzertsälen und insgesamt eine überbordende kulturelle Struktur, die man mit Paris, London oder eben gerade noch mit dem hoch subventionierten Berlin vergleichen kann. Was München im Vergleich zu den aufgeführten Metropolen fehlt, ist ein UNESCO-Welterbetitel. Deshalb ist es in der Tat bemerkenswert, dass sich München nun seit Jahrzehnten genau darum erfolglos bemüht.

Zum Welterbe in Deutschland gehören (Stand 2021) 51 UNESCO-Welterbestätten, darunter 48 Stätten des Weltkulturerbes und drei Stätten des Weltnaturerbes. Acht Welterbe-Titel sind in Bayern verortet. Die Landeshauptstadt München ist, wie gesagt, nicht dabei. Die aussichtsreichste Bewerbungen wurden bereits in den Achtzigern eingereicht: Im Jahr 1984 wurden zwei Objekte auf die offizielle Vorschlagsliste Deutschlands gesetzt: der Schlosspark Nymphenburg und das Ensemble Ludwigstraße, Königsplatz, Odeonsplatz und Feldherrnhalle – ohne Erfolg. Im Gespräch waren der Viktualienmarkt und das Oktoberfest – als immaterielles Kulturerbe. Das Olympiastadion und der Englische Garten wurden als Möglichkeiten angeführt und verworfen. Und nun steht wieder das Schloss Nymphenburg zur Debatte, auch wegen seiner Technik zur Wasserversorgung.

Keine neue Idee, die allein schon deshalb zum Scheitern verurteilt ist, weil sich die Stadt Augsburg mit diesem Strukturthema beworben hat. Erfolgreich beworben hat, wie man von Augsburg aus mit ein wenig Schadenfreude Richtung München rufen möchte. Wer nun in München oder anderswo das Augsburger Gesamtkunstwerk Wassersystem verstehen möchte, dem sei ein Buch empfohlen, das für die DAZ kein geringerer als Professor Karl Ganser besprochen hat. Eine grandiose Besprechung eines grandiosen Buches zu einer erfolgreichen Bewerbung, die bereits im November 2016 in der DAZ erschien und heute aus aktuellem Anlass leicht verändert neu aufgelegt wurde. (Siegfried Zagler)

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Ein Kompendium der Extraklasse

Von Karl Ganser

„Augsburgs historische Wasserwirtschaft“ Ein Buch von Martin Kluger

„Augsburgs historische Wasserwirtschaft“  Ein Buch von Martin Kluger

2011 bekundete Augsburg die Absicht, die historische Wasserwirtschaft der Stadt in die Liste des UNESCO-Welterbes aufnehmen zu lassen. Martin Kluger hatte die Idee und verfasste auch den Text der Interessenbekundung.  Er legte dazu ein „Begleitbuch“ auf, das die ganze Faszination dieses Themas bewusst macht. Und er fasste nach. Er sichtete Quellen mit der Frage: Gibt es andernorts eine ähnlich kunstvolle Wasserwirtschaft?
In der Bewertung der Kommission, die mit der Bewertung einer großen Zahl an Interessenbekundungen aus Deutschland betraut war, ist bestätigt: „Wasserbau und Wasserkraft, Trinkwasser und Brunnenkunst in Augsburg“ gehört zu den Interessenbekundungen, die für die Aufnahme in das Welterbe in 2019 weiter verfolgt werden sollen.
In fünf Kapiteln breitet das Buch „Augsburgs historische Wasserwirtschaft. Der Weg zum UNESCO-Welterbe“ die Bausteine der kultivierten Nutzung des Wassers in der Stadt aus und fügt sie wieder zusammen. Im ersten Kapitel werden die „natürlichen Wasserläufe“ Lech, Wertach und Singold sowie die Quellbäche ausführlich geologisch und hydrologisch dargelegt.

Das zweite Kapitel widmet sich der Wasserbautechnik: Mit „Wasserbau“ wurden die Flüsse als Antriebskraft nutzbar gemacht, ausgestaut aus Lech und Wertach, über ein weit verzweigtes System von Kanälen geleitet und am Ende auf und bei der Wolfzahnau wieder vereint. Treib- und Trinkwasser wurden säuberlich voneinander getrennt und kreuzten sich zuweilen mittels Düker oder Wasserbrücken. Flüsse und Kanäle im Stadtgebiet sind zusammen fast 200 Kilometer lang. Sie sind in diesem Buch vollständig aufgelistet und beschrieben. Die ständigen Veränderungen in 500 Jahren wurden in mühsamem Quellenstudium verfolgt. Das ist ein erstmaliges Gesamtverzeichnis.

Kapitel drei analysiert die Augsburger Wasserkraftnutzung: Hunderte Wasserräder lieferten über mehrere Jahrhunderte hinweg „Kraft“, bis die Turbine kam. Wasserkraft war im 19. Jahrhundert die Grundlage für den Aufstieg der Stadt zu einer führenden Industriestadt. Der einmalig starken Wasserkraft war es zu verdanken, dass Pioniere der Industrialisierung nach Augsburg kamen. Martin Kluger beschreibt diesen Prozess und gibt für jedes Werk auch eindrucksvolle Bilder dazu. Die meisten Industrieanlagen sind stillgelegt und großteils abgerissen. Bis heute aber erhalten sind die Wasserkraftwerke. Sie sind die letzten Zeugen dieser großen Zeit. Mehr als 40 Kleinkraftwerke erzeugen heute „Ökostrom“.

Augsburgs Trinkwasserversorgung dokumentiert das Kapitel vier: Reines Trinkwasser wurde säuberlich getrennt von den „Kraftwässern“ zu Wasserwerken geführt und dort mithilfe wasserradgetriebener Kolbenpumpen in hohe Wassertürme befördert. Wer wissen will, wie das kunstvoll entwickelte System technisch, baulich und künstlerisch gestaltet war, wird bei der Lektüre dieses Kapitels in Staunen versetzt.

“Brunnenkunst” ist das Kapitel über die künstlerische Gestaltung der Brunnen überschrieben. 50 öffentliche Brunnen und nur 640 Hausanschlüsse mit „Röhrwasser“ gab es um 1750 in der Stadt. Sie waren etwas Besonderes, denn die Normalversorgung geschah aus 95 öffentlichen und 1690 privaten Schöpf- und Pumpbrunnen sowie 36 solcher Brunnen in Amtsgebäuden. Nur das Röhrwasser kam aus Quellbächen und Grundwasserbrunnen. Es wurde in den Wassertürmen derart hoch gepumpt, dass es im freien Fall auch hochgelegene Orte in der Stadt erreichte. Diese technische Meisterleistung – europaweit ein Vorbild – wurde an ihren Endpunkten mit Prachtbrunnen inszeniert. Berühmte Bildhauer der Renaissance wurden dafür von der Stadt gerufen. Sie schufen mit ihrer Kunst Denkmäler für die gesamte „Wasserkunst“ vom Quellbach über die Pumpwerke bis zu den Wassertürmen. In diesem Kapitel stellt der Verfasser Bezüge her, die kunsthistorisch beachtlich sind.

Kluger hat die Zusammenhänge von der Natur des Fließwassers über die technische Innovation bis hin zur künstlerischen Gestaltung aller Werke herausgearbeitet. Das ganze System ist ein Gesamtkunstwerk, das weit über den üblichen Kunstbegriff hinausreicht. Das macht das Verständnis dieses Themas mit Welterbe-Ambition nicht eben leicht. Aber Kluger bereitet den Weg dafür. Dennoch wird sich manch einer – überfordert von den vielen Details, Bildern, Karten und Grafiken – fragen: „Muss ich das alles wissen?“ Die Details und Fakten lassen sich in diesem Buch nachschlagen. Aber die Erkenntnis der Zusammenhänge sollte im Gedächtnis haften bleiben.

So ein Zusammenhang ist zum Beispiel: Wer oder was ist die Singold? Die Singold ist ein Fluss, der bei Waal südlich von Buchloe entspringt. Er floss ursprünglich immer neben der Wertach her um die westliche Stadtmauer von Augsburg und wurde erst nördlich der Stadt von der Wertach „erobert“. Das ist ein glazialgeologisches Phänomen. Hunderte Jahre lang trieb diese Singold die Mühlen vor der Stadt an. Schon die Römer nutzten den Fluss, um das Wasser für ihre Bäder – nur mit Gefälle und ohne Aquädukte – in die Stadt zu führen. Davon zeugt ein Graben als archäologischer Befund. Doch 1588 brach die Singold bei einem Hochwasser in die Wertach ein, schon bald darauf floss Wertachwasser im alten Singoldbett – der Senkelbach war geboren. So erzählt die Singold einen nicht eben weit verbreiteten Aspekt der Stadtgeschichte bis hin zum Augustusbrunnen von Hubert Gerhard und zum Gemälde Hans Rottenhammers im Goldenen Saal. Am Beckenrand des Brunnens wie auf dem Gemälde ist die weibliche Singold neben der männlichen Wertach zu sehen. Doch erst Rottenhammer hat in seinem um 1620 entstandenen Bild den Senkelbach hinzugefügt, weil der damals schon eine feste Größe im Kanalsystem geworden war.

Und kennen Sie schon Caspar Walter? In diesem Buch von Martin Kluger steht viel über Caspar Walter, vergleichsweise wenig über Elias Holl. Holl ist den meisten geläufig, aber Caspar Walter? Dieser Walter war – zirka einhundert Jahre nach Holls Tod – Augsburgs Brunnenmeister. Brunnenmeister  und Stadtwerkmeister waren damals gleichrangige „Spitzenbeamte“ der Stadt – doch Caspar Walter war im 18. Jahrhundert der „Star der Wasserkunst“.

M
artin Kluger hat unzählige Quellen gesichtet, Archive durchforstet und dabei auch Details gefunden, die bislang unbekannt waren. Nach jedem Kapitel sind die Quellen gelistet. Das macht das Buch „Augsburgs historische Wasserwirtschaft. Der Weg zum UNESCO-Welterbe“ zum Kompendium von 500 Jahren „Wasserkunst“ in Augsburg.
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„Augsburgs historische Wasserwirtschaft“
Ein Buch von Martin Kluger
mit dem Untertitel: Der Weg zum UNESCO-Welterbe
context verlag Augsburg 2015, 432 Seiten, 553 Abbildungen.