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Freitag, 19.04.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Menschen in Augsburg

Marcus Ertle hat in Augsburg ein neues journalistisches Format etabliert: „Das Zufallsinterview“. Ein glanzvolles Mosaik in der nicht gerade mit Juwelen gespickten Augsburger Medienlandschaft.

Ertle interviewt Passanten, Flaneure, Stadtstreicher und zwischendrin auch mal einen „Brecht-Professor“. Ertles Interview mit dem wissenschaftlichen Berater des Augsburger Brecht-Festivals Jan Knopf erschien Anfang Februar in der Neuen Szene. Jan Knopfs Aussagen über Brecht, Gott und die Welt sind während des Brecht-Festival 2012 gemacht worden und als Nachschlag zu verstehen. Ein Interview, das die DAZ ihren Lesern nicht vorenthalten möchte.

Neue Szene: Okay, wenn ich Fotos mache?

Jan Knopf: Natürlich, ich werde ja momentan dauernd abgelichtet.

Auch wenn die Frage blöd kommt, wieso werden Sie denn dauernd abgelichtet?

Ich bin der wissenschaftliche Berater des Brechtfestivals.

"Darf ich ein bisschen ordinär werden?": Jan Knopf

"Darf ich ein bisschen ordinär werden?": Jan Knopf


Das glaubt wieder kein Schwein, dass wir uns zufällig in der Fleischhalle getroffen haben.

Warum denn nicht? Hier ist es preiswert und gut, wenn man mal was zwischendurch essen will und muss.

War Brecht eigentlich Vegetarier oder Fleischesser?

Er war beides, er hat alles gegessen, aber immer sehr wenig. Darf ich ein bisschen ordinär werden?

Gerne.

Ein berühmter Regisseur sagte mal über Brecht: “Er aß wenig, er trank wenig, aber er fickte sehr viel.” Wobei seine Jugend relativ harmlos war, die üblichen kleinen Liebesgeschichten, das Ficken fing erst später an. Man hat ja viele Gedichte Brechts direkt auf ihn übertragen, aber das ist höchst gefährlich.

(zitiert)

Und im Arme noch das Säuchen

Das uns nachts die Eier schliff.

Zwischen Weiden tat ein jeder

In den morgenroten Äther

Einen ungeheuren Schiff.

Das schrieb der junge Brecht, aber das ist nicht autobiographisch.

Keine Orgien in Augsburg?

Ja, eine Orgie am Lech, das ist Wunschdenken, in der damaligen Zeit wurden die Jugendlichen ja noch von ihren Lehrern und den Bürgern kontrolliert. Es gab Gablers Taverne, das war auch nicht so ungeheuer orgiastisch, er hat da zur Klampfe gesungen und den Hut hingehalten.

War Brecht ein Erzkommunist?

Nein, mit dem offiziellen Kommunismus hatte er nichts zu tun, er hat diesen Kommunismus Murksismus genannt.

Kein Murksist, was war er dann?

Er war ein linker Gesellschaftskritiker mit sehr viel Engagement und hat auch versucht, die Marktgesetze des Kapitalismus zu durchschauen. Und ich muss sagen, der wusste mehr, als unsere Gesellschaft heute. Der wusste, wie die Finanzmärkte funktionieren und wer wen reinlegt.

Wie funktionieren die Finanzmärkte laut Brecht?

Die Finanzmärkte operieren ganz virtuell, es gibt sozusagen nichts Materielles, man diktiert irgendwelche Preise und immer dann geht es ans Eingemachte, wenn jemand sehen will, ob das, was einem der andere anbietet, überhaupt gedeckt ist. Das ist der heikle Punkt und danach fragen die Leute viel zu wenig. Dadurch kommt es dazu, dass virtuelle Werte entstehen, die es überhaupt nicht gibt. Der andere Punkt ist der, dass man lebensnotwendige Waren künstlich verknappt und damit werden die Preise nach oben getrieben. Diese Waren müssen Lebensmittel sein, weil sie unbedingt gebraucht werden und verbraucht werden müssen. Dieses Nebeneinander von Reichtum und Armut, was wir heute in gesteigerter Form erleben, das ist das Thema der Stücke Brechts in den 20er Jahren, da hat er durchgeblickt.

War Brecht ein Morgenmuffel?

Nein, er stand ganz früh auf.

War Brecht ein sympathischer Typ?

Nee!

Keiner, mit dem man gern ein Bier trinken geht?

Nein, das ist auch so eine Unart, dass die Leute immer denken, die Wissenschaftler müssten die Personen, mit denen sie sich beschäftigen, gern haben.

War Brecht ein Arschloch?

In vieler Hinsicht schon, er konnte ausrasten, das hat er schon früh gemacht. Frauen gegenüber weniger, da hat er sich viel besser verhalten, als es allgemein dargestellt wird. Gut, er hat von der normalen Ehe nichts gehalten, hatte also auch während der Ehe weitere Beziehungen. Aber wenn wir mal ehrlich sind, wo sind die intakten Ehen?

Ja, wo sind sie denn?

Ja, wo sind sie! Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert, in dem die Frauen anfingen, sich zu emanzipieren, der Krieg hatte die Männer dahingerafft und damit hat die Gesellschaft die Ehe kaputtgemacht.

Wieso hatte Brecht eigentlich so viel Erfolg bei Frauen?

Weil er einen ungeheuer witzigen Intellekt hatte, gut singen konnte und insgesamt eine nicht unattraktive Erscheinung war, trotz seiner Hässlichkeit.

Sie sind aber streng.

Also ein Adonis war er nicht.

Erst das Fressen, dann die Moral. Stimmen Sie Brecht da zu?

Ja!

Was ist mit Moral und Religion?

Brecht hat ja an gar nichts geglaubt, er hat immer gesagt, dass der Zweifel das Sicherste ist und er hat sich für die Frage nach Gott überhaupt nicht interessiert. Er meinte: Wer die Frage nach Gott stellt, braucht einen Gott. Mich interessiert die Religion auch nur innerhalb der Welt, wie sie sich materiell niederschlägt, die Rolle der Kirche, wie der Glaube innerhalb der Gesellschaft wirkt. Der Glaube ist ja auch eine materielle Macht, es sind Glaubenskriege geführt worden, unsere Gesetze sind nach christlichen Grundsätzen gemacht und, und, und.

Müssen wir überhaupt an etwas glauben?

Nö, es ist besser, zu zweifeln. Dann überprüft man alles an der Wirklichkeit.

Und was kommt raus?

Es kommt raus, dass man meistens die Entdeckung macht, dass alles ziemlich daneben ist.

In welcher Hinsicht?

Ich mache mir zum Beispiel nicht vor, dass ich mein doch relativ gutes Leben nicht im Grunde einer Gesellschaftsform verdanke, die andere Menschen in die Armut, den Hunger und sogar den Hungertod zwingt. Mein gutes Leben wird bezahlt von den Leuten, die überall verrecken. Aber sich jetzt das gute Leben nicht zu leisten, wäre auch Blödsinn, denn wenn ich sage, ich leiste mir nichts mehr, dann ändert sich auch nichts. Außer wenn es jeder machen würde, aber es macht niemand. Genau wie die eheliche Treue, es hält sich niemand dran, aber alle vertreten es.

Wie geht’s dann weiter mit der Welt?

Es sieht so aus, dass der Reichtum weiter zunimmt und die Armut immens wird und täglich mit Millionen von Toten bezahlt wird. Nur sehen wir die nicht, die kommen noch nicht mal im Fernsehen vor.

Wo wären Sie jetzt gern?

Ich mache ungeheuer gerne Kreuzfahrten.

Wird es Ihnen da nicht langweilig?

Überhaupt nicht, man kann sehr viel erleben und beobachten, wie Menschen miteinander umgehen.

Wie gehen sie denn miteinander um?

Meistens wie die Berserker, am Buffet wird einem schlecht.

Wer sind die schlimmsten?

Die Engländer, die saufen von morgens bis abends, ich muss jetzt aber gleich weiter.

Gut, auf die Schnelle: Sinn des Lebens?

Der Sinn des Lebens liegt darin, dass man möglichst viele und gute Freundinnen und Freunde hat.

Platonisch, oder wie Brecht?

Beides.

Gleichzeitig oder nacheinander?

Rudelbumsen ist nicht so mein Ding.

Danke fürs Gespräch.