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Freitag, 22.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

„Mehr Geld“ ist keine Lösung, sondern eine Zuspitzung des Problems

Von Siegfried Zagler



„Das Theater produziert den Regen, in dem man es nicht stehen lassen soll, selbst“, so die DAZ zu einer Art Happening der Theaterleitung am 2. März 2011 vor dem Augsburger Rathaus, als es darum ging, die Brecht-Bühne, die damals noch „Container“ hieß, in trockene Tücher zu bringen. Wie eine Pressemitteilung der Freien Wähler und Medienberichte bezüglich der schwer zu lösenden Probleme auf der Ebene der Theaterintendanz andeuten, hat sich daran nichts geändert. Ob Theaterintendantin Juliane Votteler ihren bis 2017 datierten Vertrag erfüllt oder nicht, könnte sich für die Zukunft des Augsburger Stadttheaters als Angelegenheit von großer Bedeutung erweisen, was damit zu tun hat, dass sich das Stadttheater im Allgemeinen und in Augsburg im Besonderen neu erfinden muss, um die in seiner Struktur gebundenen Probleme zu lösen. Weder von Juliane Votteler noch von Markus Trabusch darf man in dieser Hinsicht viel erwarten.

Das Gleiche lässt sich über die politische Kaste sagen. Von den politisch Verantwortlichen der Augsburger Kulturpolitik gehen diesbezüglich nur schwache Impulse aus. Die Grünen haben ein hemdsärmliges Positionspapier zur Zukunft des Theaters verfasst und Johannes Althammer und Dr. Werner Lorbeer (beide Pro Augsburg) ein kluges Analysepapier zum Sachstand veröffentlicht. Für die mächtigen Kulturpolitiker Bernd Kränzle (CSU) und Karl-Heinz Schneider (SPD) gilt die Devise, dass das Augsburger Theater in seiner jetzigen Struktur unantastbar ist. Ein politischer Aufbruch für ein Theater, das die Stadt auch finanziell zu stemmen in der Lage ist, sieht anders aus. Für Oberbürgermeister Dr. Kurt Gribl, Kulturreferent Peter Grab und den Fraktionschef der SPD, Dr. Stefan Kiefer „gehört das Drei-Sparten-Haus zu Augsburg wie zu Hamburg der Hafen“ (Kiefer). Die parteiübergreifende „Lösung“ lautet demnach, dass der Freistaat stärker beteiligt werden muss. „Mehr Geld“ ist aber keine Lösung, sondern eine weitere Zuspitzung des Problems. Dass die Denkungsart der Subventionsvermehrung nicht zielführend ist, sondern nur verzögert, was man zu verhindern glaubt, sollte als Grundthese in das Bewusstsein der städtischen Kulturpolitik eingehen. Dies wäre die Grundvoraussetzung eines Diskurses, der sich der Fragestellung widmet, welches Theater die Stadt Augsburg sich noch leisten kann und will. 100 Millionen Euro soll der Steuerzahler für die Sanierung des Stadttheaters aufbringen, 55 Millionen davon zu Lasten der Augsburger Stadtgesellschaft, die bei der Frage nach dem „Wofür“ allem Anschein nach nicht mit eingebunden werden soll.

Das Theater gehört weder der Intendanz noch der aktuellen Stadtregierung, sondern den Bürgern dieser Stadt. Ein Theater, das angesichts stetig steigender Kosten nicht mehr in der Lage ist, einen ausgeglichenen Wirtschaftsplan zu erstellen. Die DAZ hat wie kein anderes Medium dieser Stadt die Theaterkrise beschrieben und reflektiert. An den alten Problemen hat sich nichts verändert. Sie sind aktueller denn je. Aus diesem Grund bietet die DAZ ihrer Leserschaft die Möglichkeit, sich anhand einer Rückblende die Tiefenstruktur der Augsburger Theaterkrise komprimiert vor Augen zu führen. Die Rückblende ist als thematisch sortierte Serie zu verstehen. Eine Serie, die zunächst aus bereits veröffentlichten Texten besteht und im Lauf der kommenden Wochen durch aktuelle Kommentare und Interviews ergänzt wird.

Interview mit Kulturreferent Peter Grab zur Situation des Augsburger Stadttheaters

Es ist nur ein Wort. Ein Wort, das ein Kulturreferent nicht gerne sagt. Peter Grabs spektakuläres „Nein“ zur Frage, ob das Augsburger Theater, wie wir es kennen, noch eine Zukunft habe, wollte Augsburgs Kulturreferent jedoch über seinen Dreistufen-Plan hinaus nicht weiter kommentieren. „Ich beteilige mich zu diesem Zeitpunkt nicht an hypothetischen Worst-Case-Szenarien“, so Grab im DAZ-Interview. Selten wurde die Situation des Augsburger Stadttheaters so zugespitzt formuliert. Peter Grab setzt wie Oberbürgermeister Kurt Gribl in Sachen Stadttheater vorerst alles auf die „Karte Freistaat“. Man dürfe eine solide Finanzierung nicht aus den Augen verlieren, so Grab. „Viel zu lange wurde herumgedoktert, ohne das Grundproblem anzugehen.“

"Das Zielpublikum von heute muss nicht das von gestern oder morgen sein": Kulturbürgermeister Peter Grab

"Das Zielpublikum von heute muss nicht das von gestern oder morgen sein": Kulturbürgermeister Peter Grab


DAZ: Herr Grab, der Theaterbetrieb in Augsburg, aber nicht nur in Augsburg, steht auf dem Prüfstand wie nie zuvor. Das hat nicht nur mit der Debatte um die Interimsspielstätte und den maroden Spielstätten zu tun, sondern möglicherweise allgemein mit dem gesellschaftlichen Bedeutungswandel der Theaterkunst im Allgemeinen. Die DAZ schrieb vor nicht allzu langer Zeit, dass sich für Augsburg die Frage stelle, warum und für wen und zu welchem Preis wir in Augsburg ein Stadttheater brauchen. Also: Warum Theater?

Grab: Die Theaterkunst gehört zu den ältesten Kulturformen überhaupt und ist in einer kulturellen Großstadt nicht wegzudenken. Ohne ein Theater gibt es in Augsburg nicht die gebotene Vielfalt in der Kultur. „Das Theater und die Museen sind das Rückgrat der bürgerlichen Kultur“, heißt es nicht grundlos in den aktuellen „Kulturpolitischen Mitteilungen“ im Editorial.

DAZ: Welches Theater wünschen Sie sich für die Augsburger Stadtgesellschaft?



Grab:
Eines, das von den Rahmenbedingungen her so aufgestellt ist, dass ein möglichst breites Repertoire möglich wird.

„Ein Theater darf nicht ausschließlich an den Kosten gemessen werden“

DAZ: Kann sich die Stadt ein Stadttheater in dieser Kostendimension in der Zukunft noch leisten?

Grab: Ein Theater darf nicht ausschließlich an den Kosten gemessen werden. Es bringt auch einen unglaublichen Mehrwert – kulturell, sozialgesellschaftlich, Arbeitsplätze, Umwegrendite. – Ja, die drittgrößte Stadt eines der wichtigsten Bundesländer Deutschlands kann und sollte sich ein Dreispartentheater auch in Zukunft leisten!

DAZ: Für wen, also für welches Publikum soll das Stadttheater erhalten und finanziell gesichert werden?

Grab: Die kulturellen Interessen sind in einem stetigen Wandel und dementsprechend gibt es einen immerwährenden Veränderungsprozess. Das Zielpublikum von heute muss nicht das von gestern oder morgen sein. Es ist Aufgabe der Theaterleitungen, einerseits auf den Zeitgeist einzugehen, andererseits Klassiker zu bewahren – auf jeden Fall auch Neues auszuprobieren, was im kommerziellen Betrieb eines Wirtschaftsunternehmens oft nicht möglich wäre und daher die kulturelle Vielfalt darunter leiden würde, wenn es nicht öffentlich subventionierte Bühnen gäbe.

DAZ: Was verbindet Sie persönlich mit dem Stadttheater, welchen gesellschaftlichen, welchen künstlerischen Stellenwert hat es für Sie?

„Ein Drei-Sparten-Theater in dieser Größenordnung benötigt mindestens 26 Millionen Euro“

Grab: Es ist neben den Museen die wichtigste kulturelle Institution in unserer zweitausendjährigen, geschichtsträchtigen Stadt. Ich habe viele schöne, aufregende und auch nachdenkliche Stunden in unserem Theater erlebt. Besonders freut es mich, dass immer mehr jugendkulturelle Aufgaben – zum Beispiel das mehrjährige Projekt „Rap for Peace“ – aber auch interkulturelle Aufgaben – zum Beispiel die musikalischen Weltreisen des Orchesters – wahrgenommen werden. Dies entspricht bekanntlich meinen kulturpolitischen Zielen.

Jugendtanzprojekt "Rap for Peace": Programmheft Festival der Kulturen 2010

Jugendtanzprojekt "Rap for Peace": Programmheft Festival der Kulturen 2010




DAZ: Ist der aktuelle Gesamtetat dem Anforderungsprofil, das Sie dem Stadttheater wünschen, besser: das Sie dem Stadttheater zusprechen – angemessen?

Grab: Nein.

DAZ: Ein klares Wort. Wie hoch müsste der Etat im allerbesten Fall denn sein, damit das Theater gegenüber den Herausforderungen der Zukunft, aber auch mittelfristig bestehen kann?

Grab: Ein Drei-Sparten-Theater in dieser Größenordnung benötigt bei vergleichender Betrachtung mindestens 26 Millionen Euro im Jahr.

DAZ: Hat das Stadttheater, so wir es kennen, in Augsburg überhaupt noch eine Zukunft?

Grab: Nein.

DAZ: Das ist nun aus Ihrem Mund eine spektakuläre Antwort. Hängt die Zukunft des Augsburger Stadttheaters tatsächlich davon ab, ob sich der Freistaat – wie Sie es in Ihrem Drei-Stufen-Plan vorgestellt haben – an den Betriebskosten stärker beteiligt?

„Wir benötigen eine deutlich höhere Förderung des Freistaates als bisher“

Theater-Demo Anfang März 2011

Theater-Demo Anfang März 2011


Grab: Wenn das Theater drei Sparten aufweisen und ein abwechslungsreiches Repertoire anbieten können soll, wie es einer Großstadt würdig ist, dann benötigen wir eine deutlich höhere Förderung des Freistaats als bisher. Bedenkt man, dass Augsburg mehr Einwohner hat als die größten Städte von sieben Bundesländern und vergleicht man deren Theaterlandschaft, so wird verständlich, warum Pro Augsburg den Antrag gestellt hat, auch in Augsburg das Theater zu verstaatlichen.

DAZ: Herr Grab, falls sich der Freistaat, wie das ja auch Oberbürgermeister Kurt Gribl skizziert hat, nicht in dem Maße wie erforderlich an den Betriebskosten beteiligen sollte, worauf muss sich die Augsburger Stadtgesellschaft dann bezüglich des Stadttheaters einstellen? Schwebt Ihnen gegebenenfalls eine Strukturreform beim Theater vor? Wie sähe die dann gegebenenfalls aus?

Grab: Ich beteilige mich zu diesem Zeitpunkt nicht an hypothetischen Worst-Case-Szenarien. Das Theater hat bereits Reformen hinter sich. Optimierungsvorschläge gibt es genügend. Man darf dabei eine solide Finanzierung nicht aus den Augen verlieren. Viel zu lange wurde herumgedoktert, ohne das Grundproblem anzugehen. Es ist höchste Zeit.

DAZ: Herr Grab, vielen Dank für das Gespräch.

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Fragen: Siegfried Zagler | Das Interview erschien als „Erstausgabe“ am 7. September 2011 in der DAZ.