Medien: Zurück zur Bäuerin von Döpshofen?
Markus Günther ist an der Weiterentwicklung der Augsburger Allgemeinen gescheitert.
Von Siegfried Zagler
Dr. Markus Günther nahm am einzigen freien Tisch Platz, bestellte und schrieb im Lauf der nächsten Stunde Notizen auf weißes Papier. Es war einer der wenigen schönen Wintertage im vergangenen Jahr. Der damalige Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen trug einen weißen Norweger-Pullover, saß keine drei Meter vom Schreiber dieser Zeilen entfernt und befand sich im Zustand geistiger Erregung, was nicht weiter erwähnenswert wäre, wenn Günther nicht seine leidenschaftliche Freude am Nachdenken anzusehen gewesen wäre.
Was Markus Günther in den zurückliegenden Jahren auch immer kommentierte, er tat es leidenschaftlich, entschieden und mit einer Gedankenschärfe, die es in dieser Qualität in der Augsburger Allgemeinen noch nicht gegeben hatte. Günthers Leitartikel und seine Thesen zur Präimplantationsdiagnostik, zum Zölibat, zu Skandalbischof Mixa, zur CSU-Comicfigur Karl-Theodor zu Guttenberg („Ein Missverständnis“) waren Zumutungen, und zwar im allerbesten Sinne. Günther mutete seinen Lesern mit deutlichen und differenziert ausgeloteten Texten zu, ihre Denkweisen zu überprüfen. „Ich versuche, die Zeitung weiterzuentwickeln“, so Günther. Ob dieser Anspruch für seine Stellvertreter und Redakteure nicht mehr auszuhalten war, oder ob die Verleger-Familie Günthers inhaltliche Zumutungen nicht mehr aushalten wollte, wird derzeit nur auf der Gerüchte-Ebene kommuniziert.
„(…) Auch wer mit Leidenschaft die Freiheit verteidigt (auch die Freiheit des Eigentums), kann die Augen vor dieser Entfesselung kapitalistischer Kräfte nicht verschließen. Der Kapitalismus stößt an Grenzen – an Grenzen der Machbarkeit, aber auch an Grenzen der Menschlichkeit. Dabei muss man nicht an ferne Börsen denken. Schon in vielen Firmen bestätigt sich, was Marx schrieb: Gewinne werden privatisiert und Verluste sozialisiert“, so Günther vor wenigen Wochen in einem seiner letzten Leitartikel. Günther insistierte dabei auf einen politischen Gestaltungswillen, der sich deutlich „gegen jede Gleichmacherei und staatliche Lenkung abgrenzt“, aber auch gegen ein zynisches Spiel der Märkte, das den Menschen versklave.
Die soziale Marktwirtschaft der Bonner Republik der Achtziger sei eine Gesellschaftsordnung gewesen, die im heutigen Deutschland nicht mehr existiere, so Günther, der in seiner kurzen Ära als Chefredakteur den ehemals unlesbaren Mantelteil einer der größten und langweiligsten deutschen Regionalzeitungen mit seinen provokanten Beiträgen und urchristlichen Positionierungen zu einer scharfen Speerspitze eines entschiedenen Humanismus revolutionierte. Markus Günther ist mit seinem Ansinnen gescheitert, die Augsburger Allgemeine qualitativ und formal („Seit ich hier bin, wird jeder Leserbrief abgedruckt“) zu verbessern.
Eine dünnlippige Mitteilung auf Seite eins, kein abgedruckter Leserbrief zu Günthers Ausscheiden, aber jede Menge Gerüchte. Diese „Informationspolitik“ ist für die treuen Leser einer Zeitung eine Zumutung im negativen Sinne. Dass die bayerisch-schwäbische „Heimatzeitung“ wieder zur ihrer „Bäuerin-von-Döpshofen-Pflege“ zurückkehrt (alles soll so geschrieben sein, dass es die Bauern auf dem Lande verstehen), ist eine von vielen Befürchtungen, die aktuell durch die Stadt geistern. Markus Günther war in seiner Eigenschaft als intellektueller Chefredakteur eines Meinungsmonopolisten in der Stadt präsenter als einige Journalisten der Augsburger Lokalausgabe. Er hat nicht nur die Augsburger Allgemeine Zeitung, sondern auch die Stadt bereichert. Sein Scheitern muss als große Niederlage und als Verlust für die Stadt begriffen werden.