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Mathematik und Demokratie

Ist das Wahlsystem der Bundestagswahl gerecht? Dieser Frage geht am 5. September ein Workshop in Berlin nach. Einer der beiden Referenten ist der Augsburger Mathematiker Prof. Dr. Friedrich Pukelsheim.

Dass das deutsche Wahlssystem grundlegend geändert werden muss, hat das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 3. Juli 2008 festgestellt und dem Gesetzgeber bis 30. Juni 2011 Zeit gegeben, das Bundeswahlgesetz zu ändern. Das Bundeswahlgesetz verstößt nämlich gegen das Grundgesetz, weil ein Zuwachs an Zweitstimmen zu einem Verlust an Sitzen und umgekehrt ein Verlust an Zweitstimmen zu einem Zuwachs an Sitzen führen kann. Das paradoxe Phänomen heißt „negatives Stimmgewicht“ und tritt im Zusammenhang mit Überhangmandaten auf.

Grüner Anlauf zur Änderung des Wahlgesetzes gescheitert

Der Augsburger Mathematiker Prof. Dr. Friedrich Pukelsheim (zentrales Forschungsgebiet: die Repräsentation und Entscheidungsfindung in politischen Gremien), war in den vergangenen Monaten maßgeblich daran beteiligt, eine Lösung zur Vermeidung des negativen Stimmgewichts zu erarbeiten, das „Augsburger Zuteilungsverfahren“. Die Grünen gossen Pukelsheims Verfahren in einen Gesetzentwurf, mit dem die bisherige Divisormethode nach Sainte-Lague/Schepers im Wahlgesetz abgelöst werden sollte. Der grüne Vorschlag, der den beiden großen Parteien CDU und SPD Mandate nehmen würde, wurde allerdings am 3. Juli 2009 im Bundestag abgelehnt. Am 27. September wird also nach einem materiell verfassungswidrigem Wahlrecht gewählt.

Neben dem Phänomen des negativen Stimmgewichts werden Pukelsheim und der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Jürgen W. Falter von der Universität Mainz auf dem Berliner Workshop weitere Themen aus dem Komplex Wahlgerechtigkeit kommentieren, darunter auch die Frage „Wir wählen Parteien – und es regieren Koalitionen. Kommt da Volkes Wille noch zum Ausdruck?“ Der Workshop „Mathematik und Demokratie – wie gerecht ist die Bundestagswahl?“ findet am Samstag, 5. September 2009, von 12.00 bis 15.00 Uhr in der Geschäftsstelle der Helmholtz-Gemeinschaft in Berlin statt.

Augsburger Zuteilungsverfahren



Prof. Dr. Friedrich Pukelsheim - Foto: Christa Holscher

Prof. Dr. Friedrich Pukelsheim - Foto: Christa Holscher

Prof. Dr. Friedrich Pukelsheim von der Universität Augsburg entwickelte eine elegante Methode, Direktmandate innerhalb einer Partei bundesweit zu verrechnen und den Effekt des negativen Stimmgewichts zu beseitigen: die „direktmandatsbedingte Divisormethode mit Standardrundung“, besser bekannt als „Augsburger Zuteilungsverfahren“. Überhangmandate in einzelnen Bundesländern würden durch eine geringere Sitzanzahl der selben Partei in anderen Bundesländern kompensiert, die Gesamtzzahl der Sitze im Bundestag bliebe unverändert bei 598 (derzeit 614 durch Überhangmandate). Mehr Stimmen würden immer mehr Sitze und umgekehrt bedeuten, der Effekt des negativen Stimmgewichts würde nicht mehr auftreten.



» Wikipedia: negatives Stimmgewicht

» Wenn die Wählerstimme nach hinten losgeht