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Markus Stockhausens „Quadrivium“ beim Jazzsommer: Ein Abend mit fast zu viel Schönheit

Nicht wegen des Wetters, sondern wegen der für Musiker schon fast frostigen Temperaturen wurde am Mittwochabend das vorletzte Konzert des Jazzsommer 2019 ins Glashaus verlegt. Markus Stockhausen gastierte mit seiner Band „Quadrivium“ im Botanischen Garten, das Quartett spielte feinen Jazz mit wenigen Ecken und Kanten. 

Von Frank Heindl

Markus Stockhausen Quadrivium Foto: © TJKrebs

Er wolle „schöne Musik machen“, kündigte Markus Stockhausen schon vor Beginn des Konzertes an. Der Sohn des berühmten und am Ende etwas abgedrehten Neue-Musik-Komponisten Karlheinz Stockhausen (1928-2007) begann mit „Far into the Stars“, einem Titel der gleichnamigen, 2017 veröffentlichten CD, für die das Quartett einen Echo-Preis erhielt.

Jörg Brinkmann beginnt das Stück mit brüchigen Cello-Tönen, Christian Thomé streicht die Schlagzeugbecken gleichfalls mit einem Bogen, am Flügel schlägt Angelo Comisso nur einen einzigen Ton an, und auch Stockhausen intoniert an der Trompete zunächst nur einen statischen Ton. Damit ist schon ein Grundprinzip des Konzertabends angedeutet: Das Quartett entwickelt seine Stücke aus Klang, aus minimalen Strukturen, aus der unbearbeiteten Form. Erst danach werden Loop-Geräte genutzt, um Klänge zu vervielfachen und den Sound zu orchestrieren, erst dann nutzt Thomé das gesamte Drumset und lenkt den Rhythmus, wird das Klavier laut, akkordisch und harmoniegebend, wird das Cello zum Bass oder verstärkt das Geschehen mit melodiösen Hintergrundlinien.

Wohlklang in klaren Melodien

Diese Struktur alleine schon ist sehr spannend. Was die Musiker daraus zaubern, hält das Versprechen von musi­ka­li­scher Schönheit durch das komplette Konzert. Titel wie „En coeur“, „Better World“, „Ein Lächeln“ oder „Von der Seligkeit“ machen zusätzlich mehr als deutlich, dass Stockhausen und seine Band Wohlklang anstreben. Sie breiten dazu Klangteppiche aus, die meist in klare Melodien münden und oft auch in Harmoniestrukturen, die man aus der Popmusik kennt. Diesen Background verschönern die Musiker weiter mit Soli, die an Malerei erinnern. Besonders Stockhausen bewegt Trompete und Flügelhorn tatsächlich, als ob er eine, Pinsel in Mund führte, tupft mit dem Instrument in die Luft, führt hier einen Bogen aus und dort eine Schraffierung, hochkonzentriert und versenkt bisweilen, zumeist aber mit der (manchmal) freien Linken an seinem Laptop damit beschäftigt, den Sound zu justieren, sein Instrument zu vervielfältigen.

Comissos Klavierspiel ist stark von der Minimal Music beeinflusst, aber auch dem satten Akkordspiel verpflichtet – und schrammt oftmals und sogar in den Soli recht nah am poppigen Klischee vorbei; Brinkmann schlägt sein Cello auch mal wie eine Gitarre an – zum Beispiel im finale furioso von „Encoeur“, das dann aber doch in einem reinen Dur-Akkord endet – , ist aber vor allem für girlandenhaft-malerisch Verzierendes zuständig. Thomé führt den Rhythmus aus dem anfänglich flächigen Sound meist in einen vielfältigen, vielstimmigen, aber dann doch straighten Beat – und versteht es, sein Schlagzeug, ganz im Sinne der Band, in Tönen „singen“ zu lassen.

Nahe an Bach, Brahms, Beethoven

Bravourös ist das Quartett, wenn die gemeinsamen Improvisationen in ein kammermusikalisches Mit- und Gegeneinander münden. Zwar kann Comisso am Flügel auch ganz alleine hinreißende kleine, mehrstimmige Fugen improvisieren – doch vor allem wenn das alle vier Musiker gleichzeitig tun, liegt der Gedanke an J.S. Bach nicht fern, selbst wenn dann Ausflüge in die Romantik dazukommen mögen, Brahms und Beethoven ebenfalls nicht weit sind. In solchen Momenten hebt die Band ab, schwebt träumerisch-meditativ und auf Wolke sieben und in höchsten Sphären virtuoser improvisatorischer Kunst.

Das Publikum bejubelte dieses Schwelgen im Schönen, freute sich, wenn am Klavier mal „Guten Abend, gute Nacht“ oder „Bella Ciao“ angedeutet wurde – und doch fehlte dem Abend noch etwas zum Jazzevent: das Eckige und Kantige, das Scharfe, das Harte des Jazz, das Ungewohnte, das Überraschende.

„Quadrivium“ nennt Stockhausen sein Ensemble. Das meint die Zusammenfassung der so genannten freien Künste, mit deren Hilfe die Künstler der Renaissance das wahre Wesen der Realität erkunden wollten. Doch Kunst, die sich mit der Wirklichkeit auseinandersetzt, sollte auch wehtun, Jazz muss zumindest gelegentlich Grenzen auch dort überschreiten, wo es schmerzhaft wird. Das wird immer schwieriger, weil die Grenzen längst nach allen Seiten offen und ausgelotet scheinen. Aber gerade an diesem vor „Schönheit“ überquellenden Abend hätte die eine oder andere bewusst gesetzte echte Dissonanz, die eine oder andere Andeutung von Trauer, Wut oder Schmerz der Musik zu einer noch intensiveren Tiefe verholfen – an einem Abend mit fast zu viel des Schönen wäre der Jazz damit noch mehr zu seinem Recht gekommen.