Mahagonny: Warum eine Zensur, ausgerechnet bei Brecht, ausgerechnet in Augsburg?
Von Dr. Bernd Wißner
„Mag Mahagonny so kulinarisch sein, wie es sich für eine Oper schickt, so hat es doch schon eine gesellschaftsändernde Funktion; es stellt eben das Kulinarische zur Diskussion, es greift die Gesellschaft an, die solche Opern benötigt.“ So äußerte sich Bert Brecht einst über sein Werk. Ob er die Oper und ihr Publikum wirklich gut kannte, mag danach bezweifelt werden. Das wäre ein Thema für die Brechtforschung, ebenso wie der Eindruck, warum er einige seiner ihm nachgesagten Laster ausgerechnet auf ein Opernpublikum projizieren möchte. Und das „Kulinarische“, die Emotionen weckende Musik, führt bekanntlich schneller zu einer Einstellungsänderung als eine Holzhammeraussage. Davon lebt die klassische Oper und als Nachfolger der Film.
Im Auge des Hurrikans vollzieht sich der Zusammenbruch der gesellschaftlichen Solidarität
Mahagonny mag in den 30ern skandalös gewesen sein, aus heutiger Sicht ist die Handlung kalter Kaffee, die dick aufgetragene Aussage trivial und die Dramatik als solche fängt schwach an und lässt im dritten Akt stark nach. Keine gute Grundlage für eine zeitgemäße Inszenierung, gilt es doch, auf einer Glatze Locken zu drehen. Deshalb sind zwei schöne Regieeinfälle besonders hervorzuheben: Die Kritik, die Brecht an seinem Opernpublikum hatte, wurde im Bühnenbild aufgenommen, indem die Bühne die gleiche Holzverschalung wie der Augsburger Zuschauerraum bekam. Zuschauer und orgientreibende Protagonisten werden so eins. Und auch die zweite Idee ist von tiefer Symbolik: wenn sich der Vielzweckturm (u.a. Hamsterkäfig und Lusthöhle) hebt, bleibt ein riesiges Loch am Himmel, das Auge des Hurrikans. In diesem vollzieht sich nun der Zusammenbruch der gesellschaftlichen Solidarität. Im Weiteren ist die Regie aber eher blass, die Symbolik zu schwach, zum Beispiel beim Kindesmissbrauch. Das Drama bröselt so vor sich hin, selbst wenn die Menschen zu Tieren, zu Affen werden. (Nebenbei sollte zur Ehrenrettung dieser Gattung angemerkt werden, dass Affenherden höchst solidarische Gebilde sind).
Seicht wie der deutsche Schlager zu Beginn der 60er
Für manchen Zuschauer ist die Weillsche Musik ein Hörgenuss, besonders wenn sie so exakt und pointiert interpretiert wird, wie von Dirk Kaftan. Er und der Tenor Gerhard Siegel hatten hier einen großartigen Auftritt, der vom Publikum mit kräftigem Applaus und Bravos gewürdigt wurde. Doch es gibt auch Gegenstimmen. Anderen ist die Musik stellenweise unerträglich seicht wie der deutsche Schlager zu Beginn der 60er, der damals angenehmerweise von Beatles & Co. in wenigen Wochen aus den Hitparaden gefegt wurde. Die auf die seichten Stellen dann meist einsetzenden schrilleren Töne sind ebenso nicht nur Geschmackssache, sondern mitunter für nicht discogeschädigte Menschen einfach auch zu laut.
Befinden auch wir uns gerade im Auge des Hurrikans?
Um noch einmal auf Brechts Opernschelte zurückzukommen: Weiß er denn nicht, dass aus dem Namen Verdi vom Volk nicht umsonst ein aufrührerisches Akronym gemacht wurde? Kannte Brecht nicht die zahlreichen Gesellschaftskritiken, die gerade in den raffinierten Libretti versteckt waren und nicht selten trotzdem zur Zensur geführt haben? Womit wir beim eigentlichen Thema des Abends wären: Warum eine Zensur, ausgerechnet bei Brecht, ausgerechnet in Augsburg, ausgerechnet im Rahmen eines internationalen Festivals? Warum sollen Geistliche nicht bei einem Hingerichteten religiöse Handlungen vollziehen? Das gehört doch zu ihren Aufgaben. Hier hätte sich das Publikum gern selbst ein Urteil gebildet. Vielleicht, oder sogar wahrscheinlich hätte es gesagt: „Religiöse Gefühle zu verletzen, ist keine Kunst“ (im doppelten Sinne). Und die Regisseurin wäre ähnlich blamiert gewesen wie Neuenfels. Und diese Diskussion wäre es wert gewesen und für die christliche Kirche wahrscheinlich gewinnbringend. Befinden auch wir uns gerade im Auge eines Hurrikans?