Lyrikerin in Brechts Tradition
Brechtpreis der Stadt Augsburg an Silke Scheuermann vergeben
Von Frank Heindl
Für Sonntagnachmittag hatte das Brechtfestival ein „Preopening“ in der Brechtbühne angekündigt. Die Veranstaltung im Goldenen Saal am Freitagabend war dann wohl das Pre-Preopening: Silke Scheuermann erhielt zwei Tage vor dem offiziellen Festivalstart den mit 15.000 Euro dotieren Brechtpreis der Stadt Augsburg.
Nach dem Höltypreis im Jahr 2014 ist dies in kurzer Zeit die zweite renommierte Auszeichnung für die 42jährige Autorin. Der Brechtpreis wird alle drei Jahre an Autoren verliehen, die sich in der Tradition Bertolt Brechts mit der Gegenwart auseinandersetzen. Die Jury hatte sich einstimmig für Scheuermann entschieden und ehrt sie insbesondere für ihr lyrisches Werk. Scheuermann hat aber neben Gedichten auch Romane, Erzählungen und ein Kinderbuch veröffentlicht.
Der Literaturkritiker Michael Braun rühmte Scheuermann in seiner Laudation unter anderem für ihre „Ernüchterungsgedichte über die Liebe“ – die Autorin habe „einige der finstersten Liebespoeme seit Ingeborg Bachmann“ geschrieben und schildere Liebe als einen Zustand permanenter Entzweiung. Innerster Kern ihrer Poesie sei die Auseinandersetzung mit Bildender Kunst, in Orientierung an Ovids „Metamorphosen“ habe sie den „Modus der Verwandlung“ zum „grundlegenden Verfahren“ ihrer Poesie gemacht.
Der notgedrungen etwas abstrakten Würdigung folgte eine kurze Rede der sympathisch bescheiden auftretenden Lyrikerin, in der sie sich unter anderem mit Brechts Gedicht „Beim Lesen des Horaz“ beschäftigte. Das Stück aus den Buckower Elegien gebe ihr Rätsel auf – und genau das gefalle ihr daran. Der Einblick in ihr Werk, den sie anschließend mit dem Vortrag von acht Gedichten gab, setzt sie dann allerdings – oberflächlich betrachtet – in starken Gegensatz zu Brecht. Wo der Namensgeber des Preises (im Gedicht „An die Nachgeborenen“) noch davon gesprochen hatte, dass in finsteren Zeiten wie der seinen „ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen“ sei, da redet Scheuermann an diesem Abend fast ausschließlich über die Natur, über aussterbende und schon ausgestorbene Pflanzen und Tiere, über Dodos und Wandertauben, Veilchen und Dahlien. Doch in ihrem ruhigen, leider etwas zu gleichförmigen Vortrag zeigt Scheuermann sehr schnell, dass es ihr nicht um ein oberflächliches – und billig zu habendes – „Rettet die Natur“ geht, sondern um eine tiefe, schmerzhafte und eindringlich vermittelte Einsicht in die menschliche Hybris des Zerstörenden und Machbaren, die in der Natur einen „Bausatz“ sieht, mit dem „Gott uns beschenkt“ hat.
„Du wirst unter den ersten sein, die wir machen“, verspricht das Lyrische Ich dem ausgestorbenen Dodo – mit ihrer auf faszinierende Weise traurigen und trauernden Sprache vermittelt die Lyrikerin existenziellen Schrecken über die abstoßende technokratische Arroganz des Vernichtens und nonchalanten Wiedererschaffens. Kein Wunder, dass in einem anderen Gedicht die geretteten Tiere unerwartet reagieren, als die nächste Sintflut überstanden ist: „Keiner stieg aus“. Die Welt, die Scheuermanns Gedichte schildert, ist zunächst keine, in der man unbeschwert verweilen könnte – und dann auch keine mehr, in der man das möchte. In dieser Haltung darf man eine Tradition erkennen, die mit dem Brechtpreis angemessen ausgezeichnet wurde.