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Sonntag, 21.07.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Luther, Münzer und Fugger – Satire und Reflexion

Luther, Münzer und Fugger als Satire und Reflexion am Stadttheater Augsburg: Eine andere Sicht auf die Reformation

Von Halrun Reinholz

Fugger (Andrej Kaminsky) auf dem Thespis-Karren, mit Kardinal Kajetan (Sebastian Müller-Stahl) und Friedrich von Sachsen (Kai Windhövel) Foto: Jan-Pieter Fuhr

Fugger (Andrej Kaminsky) auf dem Thespis-Karren, mit Kardinal Kajetan (Sebastian Müller-Stahl) und Friedrich von Sachsen (Kai Windhövel) Foto: Jan-Pieter Fuhr


Noch was zum Lutherjahr!? Eigentlich war das doch schon abgeschlossen, meinte man. Aber dann noch dieses seltsame Stück in der Brechtbühne: „Martin Luther & Thomas Münzer oder die Einführung der Buchhaltung“. Kein Auftragswerk zum Lutherjahr, wie man meinen könnte. Das Stück von Dieter Forte wurde bereits 1970 geschrieben, dokumentarisches Theater zur Geschichte der Reformation, auf gut zehn Stunden Spielzeit angelegt. Regisseur Maik Priebe hatte Mitleid mit dem Publikum und kürzte auf knapp drei Stunden. Wer ob dieser Prämisse Schlimmes erwartete, war zunächst positiv überrascht. Als pralle Satire präsentierte sich die Geschichtsdarstellung.

Die Darsteller – sieben Schauspieler und zwei Schauspielerinnen – kamen zunächst in Einheitsbodies mit weißen Gesichtern daher, zogen einen Thespiskarren auf die Bühne und einen reichen Kostümfundus. Ein Musikant im Narrenkostüm (Stefan Leibold) flötete, klingelte und gongte in einer Art Käfig begleitend zu der Handlung. Wie in einem Comic wurden die vielschichtigen historischen Ereignisse des 16. Jahrhunderts bis zum Tod Kaiser Maximilians auf einige markante, satirisch bis grotesk überhöhte Szenen heruntergebrochen: Fugger und sein Buchhalter Matthäus Schwarz haben als Repräsentanten des Kapitalismus alles im Griff. Der Papst und Kardinal Kajetan stehen den ehrgeizigen Fürsten von Brandenburg und  von Sachsen gegenüber, dazwischen wird Luther, hier als Naivling ohne tiefergehende Ziele dargestellt, zum Spielball der Interessen, die Fugger gönnerhaft (teils vom Dach des Thespiskarrens aus) beobachtet und steuert.

Großartiges Kabarett! Hervorragend dargestellt von den Ensemblemitgliedern Marlene Hoffmann, Natalie Hünig, Sebastian Baumgart, Andrej Kaminsky, Klaus Müller, Sebastian Müller-Stahl, Patrick Rupar, Daniel Schmidt und Kai Windhövel in teils wechselnden Rollen. Die Zuordnung wird dem Zuschauer, der die neuen Gesichter noch nicht so kennt, nicht leicht (oder gar unmöglich) gemacht, denn weder die Fotos im Programmheft sind mit Namen beschriftet, noch werden in den Schauspielportraits auf der Theaterhomepage die aktuell gespielten Rollen erwähnt. Herausragend  (der zum Glück bekannte)  Klaus Müller als stets klammer Kaiser Maximilian mit Wiener Schmäh („herst Burschi, hast an Tausender fir mi?“), die hervorragende Natalie Hünig als Transen-Papst mit modischen Stiefeln, Sebastian Baumgart als tuntiger  Ablassprediger Tetzel, Sebastian Müller-Stahl als Kardinal Kajetan oder Daniel Schmidt als feister Fürst von Brandenburg. Marlene Hoffmann spielt zunächst das schüchterne Mönchlein Luther, danach dessen radikalen Gegenspieler Thomas Münzer.

Diese vergnügliche Geschichtslektion entlässt das Publikum gut gelaunt in die Pause. Danach findet man sich jedoch in dem Szenario wieder, das man am Anfang wegen des Etiketts „dokumentarisches Theater“  erwartet (und befürchtet) hatte: Die Komödie ist vorbei, man „schreitet ernst einher“, um aus Reinhard Meys Satire auf die 68er zu zitieren. Die Folgen der Reformation – Kriege, Spaltung, noch mehr Kapitalismus – werden der Satire offenbar nicht für würdig empfunden. Nun ist die Zeit reif, mit erhobenem Zeigefinger Kluges von sich zu geben. Kein Spaß mehr, hohe Konzentration wird dem Zuschauer abverlangt, die aber nicht den Lernerfolg der kabarettistisch erworbenen Erkenntnisse erbringen kann.

Warum diese Regisseur Priebe diese Zweiteilung, diesen Bruch des Tonfalls dramatisiert, erschließt sich nicht. Möglicherweise handelt es sich um einen Verweis auf den Zeitgeist der 70er Jahre, der den politischen Diskurs nicht kabarettistisch verwässert haben wollte. Im heutigen kulturellen Klima sieht man das mit Verwunderung. Und so fühlt sich das Publikum am Schluss auch etwas befremdet, fällt der Applaus verhaltener aus, als es die Darsteller verdient hätten.

Und doch – insgesamt eine erfrischend schräge Sicht auf die Reformation. NSA, Fake News und Manipulationen aller Art längst vorweggenommen.