DAZ - Unabhängige Internetzeitung für Politik und Kultur
Donnerstag, 18.04.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

“Lieber Markus Weinzierl”

Ein kurzer Brief zum langen Abschied

Von Siegfried Zagler

Der Meister der Bescheidenheit beim Jubel: Markus Weinzierl

Auf seinem langen Lauf zu sich selbst: Markus Weinzierl


„Ich bin in New York. Bitte such mich nicht, es wäre nicht schön, mich zu finden.“ So beginnt einer der berühmteren fiktiven Briefe in der Literaturgeschichte. Die Rede ist von Peter Handkes Roman „Der kurze Brief zum langen Abschied“. Der Brief ist von einer Frau verfasst und an ihren jungen österreichischen Mann gerichtet, der sie natürlich sucht, und sich dabei auf eine lange Reise durch die USA begibt, um sie schließlich zu finden. Am Ende kann er sich von ihr endgültig trennen – auf einer höheren Ebene, da ihn die Suche nach seiner Frau näher zu sich gebracht hat.

„Lieber Markus Weinzierl, wir leben und leiden in Augsburg. Bitte geh endlich, wir werden dich nicht vermissen und nicht suchen. Es wäre nicht schön, wenn du bleiben würdest.“ So könnte ein kurzer Brief an den neuen Schalke-Trainer beginnen, der eigentlich noch zu 100 Prozent FCA-Trainer ist. “Er ist noch zu 100 Prozent unser Trainer”, so das letzte offizielle Statement des FCA zur Causa Weinzierl, die spätestens seit Mittwoch ein “doppelter Fall” ist, also eine Causa und ein Verlust an Höhe. Am Mittwoch erschien nämlich in der altehrwürdigen ZEIT, die sich eine Frauen-Fußballseite leistet, die auch “Mann im Spiegel” heißen könnte, eine “Familien-Ferienstory” zu Weinzierls Innenleben: Eine unsägliche PR-Kolportage (falls es die Gattung bisher nicht gegeben hat, dann hat sie Cathrin Gilbert mit dieser Story erfunden) bezüglich eines Phänomens, das im Profifußball seit vielen Jahren besondere Blüten treibt: Trainersuche.

Wer erinnert sich noch an den Hype um Jose Mourinho, als dieser mit Porto 2004 die Champions League gewann? Mourinho war 10 Jahre ein biederer Co-Trainer und hatte vor seinem Engagement in Porto gerade mal zwei kurze Stationen als Cheftrainer hinter sich. Wer erinnert sich noch an das Theater um Pep Guardiola, der möglicherweise überschätzte ehemalige Barca-Trainer, der bis zur seiner Auszeit nur in Barcelona gearbeitet hatte? Guardiola wurde vor dreieinhalb Jahren von mehreren Großklubs monatelang umworben – begleitet von einem weltweiten Medienhype. Thomas Tuchel stand ein Jahr auf den Wunschzetteln von Schalke, Dortmund, Leverkusen und Gladbach, nachdem er sich ein Sabbat-Jahr gegönnt hatte, weil ihn Mainz’ damaliger Manager Christian Heidel nicht wechseln lassen wollte. Vor seinem ersten Engagement als Mainzer Bundesligatrainer war Tuchel fast zehn Jahre als Jugendtrainer unterwegs. Ralf Rangnick galt bis zu seinem Burnout als Trainer der Zukunft, nachdem er fast 15 Jahre im Off der Amateurligen tätig war. Er war nach Udo Lattek, Hennes Weisweiler und Christoph Daum der erste deutsche Trainer, der sich ein wenig länger auf den Wunschzetteln der Klubmanager hielt, als die vorderen Platzierungen der von Rangnick trainerten Mannschaften: Nichts verblasst schneller als das Ansehen von Fußballtrainern, da die Wertschätzung ihrer Arbeit am Tabellenstand abgelesen wird.

Magath, Stanislawski, Neururer, Babbel, Keller, Gisdol, Veh, Schaaf, Slomka, Hyypiä und auch ein gewisser Van Gaal waren zu einer bestimmten Zeit Bundesliga-Shooting-Stars, die heute vergebens auf ein weiteres Bundesliga-Engagement warten. Trainerkarrieren lassen sich nicht planen, Trainer sind Spielbälle von Zufall und Fügung.

Man darf Weinzierl also nicht vorwerfen, dass er als Trainer einer großen Herausforderung folgen will. Und man darf ihm noch viel weniger vorwerfen, dass er seinen aktuellen Marktwert versilbern will und dazu zunächst nicht viel sagen wollte, was er dann nachholte, als er sich irrtümlicherweise sicher war, dass der Deal durch ist. Man kann Markus Weinzierl im Grunde gar nichts vorwerfen, im Gegenteil: Dass er Augsburg verlässt, ist nicht nur für ihn eine gute Sache, sondern auch für den FCA. Die Mannschaft ist überaltert und steht vor einem Umbruch. Aus der U23 gibt es keine ernstzunehmenden Erstliga-Anwärter. In jedem Mannschaftsteil gibt es Baustellen und es ist leicht vorstellbar, dass Markus Weinzierl und das FCA-Management die aktuelle Mannschaft im Großen und Ganzen als stark genug für eine weitere Bundesligasaison bewertet hätten. Ein Umbruch ist mit einem neuen Trainer einfacher zu realisieren. Ein neuer FCA-Trainer sollte einen radikalen Kurswechsel einleiten. Es sollte kein Harmoniemensch sein, kein Leisetreter und kein Lautsprecher, sondern ein Mann mit einem kühlen Verstand und einem klaren Blick auf das Wesentliche. Kein neuer Weinzierl eben, weshalb die Verlängerung des Weinzierl-Vertrages vor einem Jahr ein mächtiger Fehler der Ära Hoffmann gewesen wäre, wäre Schalke nicht Schalke.

Bei aller Kritik steht dennoch fest, dass Markus Weinzierls Verdienste um den FCA groß sind, groß genug jedenfalls, sodass er einen Abschied verdient hätte, der noch etwas mit dem Prozess des „Abschiednehmens“ zu tun gehabt hätte. Man muss dem FCA aber nicht vorwerfen, dass er einen verdienten Trainer einfach als Verhandlungsmasse verwendet. Nein, darum geht es nicht. Im Profigeschäft ist Dankbarkeit keine Kategorie. Ein Trainer, der seinen Vertrag um vier Jahre verlängert, um ein Jahr später zu erklären, dass er für sich beim FCA keine Zukunft mehr sehen würde, muss nicht mit großem Klimbim verabschiedet werden. Es geht vielmehr darum, dass sich die Öffentlichkeitsarbeit des FCA immer noch in der Drittklassigkeit bewegt. Dass der FCA einen laufenden Prozess nicht erklärt und das Feld der bedeutsamen Informationen, aus dem die ganze Branche Honig saugt, von der Bildzeitung beziehungsweise einer Fußball-Klatsch-Seite bestellten lässt, ist im Grunde ein schwerwiegendes Informationsdesaster. Wenn der FCA nicht in der Lage ist, sensibel mit Informationen umzugehen, die in Augsburg wie eisige Großgebirge im Raum stehen, dann versteht er das PR-Geschäft nicht. Dann versteht er die Hingabe der Fans nicht. Und er versteht die Medien nicht. Wie viel Unterwürfigkeit wird seitens des FCA von einem riesigen Medien- und PR-Partner (Augsburger Allgemeine), aber auch von der lokalen Sopress vorausgesetzt, wenn sie wochenlang nichts erfahren und der Bildzeitung hinterher schreiben müssen?

Das größte Kapital eines Vereins sind nicht die Trainer oder ein vermeintlich cleveres Management und auch nicht die Mannschaft, sondern die Fans. Ohne die Treue ihrer Zuschauer wären Vereine wie Schalke, Dortmund, Nürnberg, Düsseldorf oder Kaiserslautern längst in der Versenkung verschwunden. Die Zuschauer und Fans haben ein Recht auf eine angemessene Informationspolitik. Was wäre dabei gewesen, wenn Stefan Reuter zum passenden Augenblick gesagt hätte, dass Weinzierl ein Angebot von Schalke vorliegt und beide Seiten, also Schalke und der FCA einiges zu besprechen hätten?

Zu einer unerträglichen Posse mit Maximalbeschädigung für den FCA-Trainer wäre nämlich „Weinzierls Fall“ gewesen. Hätte Schalke Manager Christian Heidel überraschenderweise Plan B gezündet, hätte Weinzierl nicht viel mehr gehabt als den Vertrag, aus dem er so gerne herausgekauft worden wäre. Dass Weinzierl in Augsburg bleiben muss, ist zwar sehr unwahrscheinlich, aber immerhin noch möglich. In Gladbach, Wolfsburg oder Leipzig hat man Weinzierl längst Schalke überlassen. Bremen steht weiterhin zum angezählten Skripnik, Hoffenheim geht einen ganz neuen Weg, Ingolstadt hat sich mit Kauczinski einen richtig guten Mann geschnappt und Freiburg ist mit einem der besten deutschen Trainer, nämlich Christian Streich, über das heimatliche Idiom dergestalt tief verbunden, dass man sich schon einen quicklebendigen Fisch ohne Wasser vorstellen muss, will man Streich einem anderen Verein zuordnen.

Stil und Charakter sind die Komponenten, die Identität entwickeln. In Freiburg, Bremen, Darmstadt und bei vielen anderen Klubs (sogar in Ingolstadt) ist davon deutlich mehr vorhanden als in Augsburg. Das lässt sich an der derzeitigen Schattenkulisse der Augsburger Trainerfrage gut erkennen.