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Dienstag, 04.03.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Leute, es ist doch nur ein Spiel!

Ideologisch befrachtet, aber voll guter Ideen: das Klassikprogramm zur Fußball-WM

Von Frank Heindl

Dass Popbüro-Chef Richard Goerlich einen Teil seines Kulturprogramms rund um die Frauenfußball-WM am Mittwoch schon zum zweiten Teil vorstellte, mag etwas mit dem Sponsor zu tun haben: „Klassik Radio“, deutschlandweit zu empfangen und mit Hauptsitz im Hochhaus am Kongressgebäude, rührt bundesweit die Werbetrommel, und falls es in der Veranstaltungsarena auf dem Rathausplatz mal regnen sollte, kommen sogar die Regencapes vom Klassikfunk. Zum anderen passiert in zwei Wochen Frauen-WM aber tatsächlich so viel und so viel Außergewöhnliches (DAZ berichtete), dass man auf den Programmanteil der klassischen Musik durchaus in einer weiteren Pressekonferenz nochmal eigens eingehen konnte.

Nochmal betonte Goerlich also seinen Glauben „an die integrative Kraft des Fußball“, freute sich noch einmal über seine riesige Kulturarena „auf dem schönsten Platz Augsburgs – dem Rathausplatz“ mit bis zu 2000 Zuschauerplätzen und hat sich mittlerweile sogar von Franz Beckenbauer bestätigen lassen „dass wir zwei Wochen Sonne haben werden.“ Einen wesentlichen Teil des Goerlichschen Kulturprogramms macht tatsächlich die klassische Musik aus – zwar nicht, was die Zahl der Veranstaltungen anbelangt, deutlich aber, wenn man den Organisationsaufwand und die Zahl der involvierten Musiker berücksichtigt.

Orff als „klassischer Einheizer“

„Salaam – Friedenssinfonie“ heißt das Werk, das Komponist Enjott Schneider eigens für das Augsburger Kulturprogramm der Frauen-WM geschrieben hat.

„Salaam – Friedenssinfonie“ heißt das Werk, das Komponist Enjott Schneider eigens für das Augsburger Kulturprogramm der Frauen-WM geschrieben hat.


Stefan Reß, Leiter des Philharmonischen Chores und der Augsburger Sing- und Musikschule, zeichnet für die Eröffnungs-Veranstaltung hauptverantwortlich: Am Sonntag, 26.6. um 21 Uhr leitet der den „klassischen Einheizer“ (so dass Programmheft) auf dem Rathausplatz: „drums for peace meets carina burana“ heißt der Programmpunkt. Die „Schlagwerker“ des Hochschuldozenten Stefan Blum werden mit einem eigens komponierten Stück den Abend eröffnen. Anschließend folgen Carl Orffs „Carina Burana“, die ja, wie Reß betont, aus dem Rhythmus ihr „ureigenstes Kraftpotenzial“ schöpfen. Es spielt die von Reß gegründete „Sinfonia Augustana“, singen werden der Philharmonische Chor, der Konzertchor der Sing- und Musikschule sowie als Gäste die Solisten Cathrin Lange (Sopran), Ulrich Reß (Tenor) und Jan Friedrich Eggers (Bariton).

Zwischendurch gibt’s dann am Dienstag, 5.7. um 16 Uhr ein ganz anderes Format, eine „charmante Kleinproduktion“ (Goerlich): Auf dem Stadtmarkt (bei schlechtem Wetter im Augustana Saal) präsentiert das Münchner Ensemble „Musik auf Rädern“ sein „La Traviata im Taschenformat“. Kleine Aufführungen großer Opern habe es schon zu Verdis Lebzeiten gegeben, sagt Kulturamtsleiter Thomas Weitzel und zitiert einen Musikkritiker, der die Struktur der italienischen Oper folgendermaßen charakterisiert habe: „Ein Sopran und ein Tenor lieben sich, ein Bariton kommt dazwischen.“ Drei Sänger reichen also gut und gerne – im Übrigen gehe es dem Ensemble wie den Augsburger Veranstaltern darum, Menschen zu begeistern, „die nicht so ohne Weiteres den Weg ins Opernhaus finden.“

Klischees und Vorurteile – auch in der Sinfonie

Das Münchner Ensemble „Musik auf Rädern“ kommt mit einer Miniausgabe von Verdis „La Traviata“ auf den Stadtmarkt.

Das Münchner Ensemble „Musik auf Rädern“ kommt mit einer Miniausgabe von Verdis „La Traviata“ auf den Stadtmarkt.


Am Mittwoch, 6.7. um 20 Uhr ist dann Dirk Kaftans Philharmonisches Orchester dran. Seit er in Augsburg sei, sagt Kaftan, träume er von einem Konzert auf dem Rathausplatz, und zeigt sich begeistert von der „großartigen Offenheit“, auf die er mit seinen Plänen treffe – und die sich in seinen Plänen spiegeln wird, in denen es um „Öffnung, Vernetzung, interkulturelle Arbeit“ gehe. Unter dem Titel „Länderspiel“ soll eine Gegenüberstellung verschiedener Stile aus verschiedenen Ländern erklingen – aus der Perspektive Sinfonie, die schließlich „das Sprachorgan der abendländischen Musik“ sei. Klischees und Vorurteile – die es auch in der Musik gibt – sollen dabei entlarvt werden, indem sie auf die „echte“ Musik der Teilnehmerländer an der Frauen-WM treffen. Das, so Kaftan, erfordere viel Recherche- und auch Arrangierarbeit. Doch der GMD verspricht dem Publikum das, was er jetzt schon mit dem Projekt habe: „Enorm viel Spaß.“

Was die Größe anbelangt, wird vor allem das Schlussprojekt alles übertreffen, was das Fußball-Kulturprogramm bis dahin geboten haben wird. 450 Musiker versammeln sich zum Konzert am Sonntag, 10.7. um 20.30 Uhr in der Arena. Das große sinfonische Finale trägt den nicht wenig anspruchsvolle Titel: „Alle Menschen werden Brüder.“ Der Abend beginnt mit dem 4. Satz aus Beethovens Neunter mit dem berühmten Chor auf Schillers „Ode an die Freude“. Doch was kann nach einem derart „wuchtigen“ Werk noch kommen? Im Mittelteil folgt auf Beethoven zunächst das türkische Pera-Ensemble, das sich der klassischen türkischen Musik verschrieben hat, anschließend konzertieren zwei Hackbrettspeiler, von denen einer aus Afrika stammt, schließlich steuert die „Hamburg Klezmer Band“ die „jüdisch-östliche“ Komponente bei – bevor dann das Finale des Finales folgt.

Ideologie, Pathos, Spannung

Für einen „Minilohn am Rand der Selbstausbeutung“, so Goerlich, der international bekannte Komponist Enjhott Schneider ein Werk mit dem Titel „Salaam – Friedenssinfonie“ geschrieben. Nicht mit Geld, sondern mit den Inhalten habe man ihn locken können. Schneider betrachte – trotz der niedrigen Gage – dieses Werk als das wichtigste seiner derzeitigen Projekte, erzählt Ute Legner, deren Mehr Musik-Projekt an der Entstehung beteiligt ist. Ein neues, zeitgenössisches Stück steht als am Ende des Abends, und man darf hoffen, dass Schneider mit seiner Komposition ein wenig von dem vielen Pathos und der ideologischen Überfrachtung wieder herausnimmt, die sich über Fußball und Kultur-WM zu stülpen drohen.

Integration durch Fußball, Alle Menschen werden Brüder, Friedenssinfonie … „Leute, es ist doch nur ein Spiel“, möchte man zwischendurch ausrufen, und „Leute, es ist doch nur Musik.“ Trotzdem spannend zuzusehen, was sich aus dieser Kombination wohl entwickeln mag.